Das Weiße Haus am Meer. Hannes NygaardЧитать онлайн книгу.
Hannes Nygaard ist das Pseudonym von Rainer Dissars-Nygaard. 1949 in Hamburg geboren, hat er sein halbes Leben in Schleswig-Holstein verbracht. Er studierte Betriebswirtschaft und war viele Jahre als Unternehmensberater tätig. Hannes Nygaard lebt auf der Insel Nordstrand.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
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© 2020 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: Hayden Verry/Arcangel.com
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
Lektorat: Dr. Marion Heister
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-96041-656-2
Hinterm Deich Krimi
Originalausgabe
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Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur Editio Dialog,
Dr. Michael Wenzel (www.editio-dialog.com).
Die Welt wird nicht bedroht
von den Menschen, die böse sind,
sondern von denen,
die das Böse zulassen.
Albert Einstein
EINS
Die Neonröhren gaben ein unnatürliches Licht ab. In der Werbung wurden Warmtonlampen angeboten, die mit einem geringeren Blauanteil ein gemütlicheres und augenschonendes Licht abstrahlen sollten. Dieses wirkte kalt, fast gleißend.
Ebenso ungemütlich war der Blick aus dem Fenster. Obwohl es erst früher Nachmittag war, leuchteten in den Fenstern der umliegenden Gebäude ebenfalls die Lampen. Der grau verhangene Himmel verschluckte das natürliche Tageslicht. Aus den tief hängenden Wolken regnete es schon seit Stunden. In den Wassertropfen auf der Fensterscheibe brach sich das Licht. Mit ein wenig Phantasie konnte man in jedem einzelnen ein kleines Kaleidoskop erkennen, auch wenn die Farbe fehlte.
Lüder war froh, den norddeutschen Winter aus dem Hausinneren beobachten zu können. Vier Grad und Regen, wohlgemerkt nicht Schauer, versprach die Wetter-App. Die Vorhersage im lokalen Fernsehen verhieß auch keine Besserung. In knapp zwei Wochen war Weihnachten. Wie in jedem Jahr beschäftigte viele Menschen die Frage, ob es weiße Weihnachten geben würde. Nicht bei uns, schweiften seine Gedanken ab. Gefühlt gab es schon seit Generationen keinen Schnee mehr zu den Feiertagen. Doch immer noch verbanden viele Menschen diese Festtage mit Schnee, klarer Winterluft, Schlitten, vielleicht Bergen und kleinen Kirchen in malerischen Dörfern.
Kiel war anders. Grau. Regnerisch. Nasskalt. Hektisch. Aber das waren andere Städte in diesen Tagen auch. Man wünschte sich »besinnliche Festtage«, hetzte aber in den Wochen zuvor durch die Straßen. Nein! Durchs Leben.
Lüder atmete tief durch und trank einen Schluck heißen aromatischen Kaffees aus dem Becher. Er saß auf der Schreibtischkante und lächelte Edith Beyer an, die das Vorzimmer des Leiters der Abteilung 3 des Landeskriminalamts hütete. Es war eine liebe Gewohnheit geworden, dass er sich dort mit Heißgetränken versorgte.
»Was machen Sie über die Feiertage?«, fragte sie Lüder, nachdem sie erzählt hatte, dass sie selbst mit ihrem Lebenspartner Heiligabend zu Hause verbringen und dann bis zu Beginn des neuen Jahres mit ihm und ein paar Freunden in ein großes und komfortables Ferienhaus nach Dänemark fahren würden. »Fanø ist unsere Trauminsel«, hatte sie angefügt.
»Wir werden Weihnachten traditionell im Familienkreis verbringen.« Lüders Augen leuchteten. »Heiligabend und am ersten Weihnachtstag ist das Haus voll. Meine Eltern kommen. Und alle Kinder sind da.«
»Alle vier?«
Lüder nickte. »Das ist ein Großkampftag für meine Frau. Aber sie wird dabei tatkräftig von den Mädchen und meiner Mutter unterstützt.«
Edith Beyer stieß einen Seufzer aus. »Schön, dass es Ihrer Frau wieder besser geht. Dass sie die psychosomatischen Störungen allmählich in den Griff zu bekommen scheint. Den Geiselnehmern ist gar nicht klar, was sie da angerichtet haben.«
Lüder nickte versonnen. Das traf zu. Noch war Margit nicht die Alte, aber in zunehmenden Maßen bewältigte sie den Alltag und nahm auch wieder das Zepter in vielen Bereichen ihrer bunten Patchworkfamilie in die Hand. Familie. Das waren sie nach vielen Jahren Partnerschaft jetzt wirklich. Im Frühjahr hatten sie geheiratet.
Edith Beyer zeigte zum Fenster hinaus. »Gruseliges Wetter. Wie gut, dass es derzeit ruhig ist.«
»Diese Zeit, in der viele Menschen auf den Weihnachtsmärkten Spaß haben, in der Glühwein und herzhafte Imbissangebote dazugehören, bedeutet für die Sicherheitsorgane immer eine besondere Anspannung, spätestens seit der irre Amri in Berlin mit dem Lkw viele Menschen ermordet hat. Leider gibt es Verrückte, die das christliche Fest zum Anlass nehmen, ihrem Hass auf unsere Kultur und unsere Werte Ausdruck zu verleihen und das durch Gewalt zu bekunden.«
»Hoffen wir das Beste«, meinte Edith Beyer. »Wenn es bei uns in Kiel schon keine weißen gibt, dann sollen es doch wenigstens friedliche Weihnachten werden.«
Beide tranken schweigend aus ihren Kaffeebechern und hingen ihren Gedanken nach. Sie wurden durch das Klingeln des Telefons unterbrochen.
»Beyer. Herr Dr. Starke?« Sie hörte kurz zu, dann sah sie Lüder an. »Der ist hier. – Gut, ich richte es ihm aus.«
Lüder zeigte auf die verschlossene Tür, hinter der Kriminaldirektor Dr. Starke saß, der Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes im Landeskriminalamt Kiel. »Hat er Sehnsucht?«
Edith Beyer kam nicht mehr dazu, zu antworten. Die Tür öffnete sich, und der auch zu dieser Jahreszeit gut gebräunte Abteilungsleiter erschien. Er war – wie immer – tadellos gekleidet. Graue Hose, graues Sakko, hellblaues Hemd und eine passende Krawatte dazu. Mit Sicherheit war Dr. Jens Starke der bestangezogene Beamte im Polizeizentrum Eichhof. Er streckte Lüder die manikürte Hand entgegen.
»Guten Tag, Lüder. Wir sollen sofort zum Vize kommen.«
Der »Vize« war der stellvertretende Leiter des LKA, der Leitende Kriminaldirektor Jochen Nathusius.
»Moin, die Herren«, begrüßte sie Nathusius und zeigte auf den Besprechungstisch. »Bitte.« Es war eine Eigenart des scharfsinnigen Analytikers, ohne lange Vorreden sofort zum Thema zu kommen. »Uns ist ein Riesenproblem auf die Schienen genagelt worden. Wir bekommen einen überraschenden Staatsbesuch. Und das in vier Tagen.«
Lüder und Dr. Starke wechselten einen raschen Blick.
»Der amerikanische Präsident kommt.«
Die beiden Beamten vom Staatsschutz sahen sich an.
»Das ist nicht wahr«, entfuhr es Lüder. Es war rhetorisch gemeint. Nathusius scherzte nicht mit solchen Aussagen.
»Doch. Leider. Wir wissen aus den Medien um die Sprunghaftigkeit dieser Person. Er hat es auf dem von ihm bevorzugten Weg über Twitter angekündigt. Berlin ist ebenso überrascht wie die gern zitierten ›gut informierten Kreise‹.«
»Das geht doch nicht«, warf Dr. Starke