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Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.

Sophienlust Paket 4 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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jetzt nicht länger Englisch, sondern Mathematik.« Miss Scott ging hinaus, um die entsprechenden Lehrbücher zu holen.

      Verblüfft starrte Torsten auf das oberste Bord des Bücherregals. Mit welchem Recht nahm Miss Scott ihm etwas weg? Dass es keinen Sinn hatte, sie danach zu fragen, wusste Torsten längst. Hier konnte er sich nur selbst helfen.

      Rasch schob der Junge den Stuhl vors Regal und streckte sich. Doch seine kurzen Ärmchen reichten nicht bis zum obersten Bord. Ängstlich sah er sich nach einem Gegenstand um, der höher war und auf den er klettern konnte. Aber außer dem schweren Tisch gab es hier nichts. Die einzige Möglichkeit war, am Regal wie an einer Leiter emporzuklettern.

      Torsten überlegte nicht lange. Schon stand er auf dem nächsten Brett. Geschickt zog er sich weiter hoch. Doch dann war der Abstand zwischen den Fächern zu groß. Torsten musste sich weit zurücklehnen, um ins oberste Fach fassen zu können. Dabei klammerte er sich krampfhaft an dem Regal fest. Zu spät merkte er, dass sein Klettergerüst nach vorn kippte. Er hatte gerade die Glasschale erreicht und nach seinem Ball gegriffen, da wurde sein Standort plötzlich unsicher. Sofort sprang er in weitem Satz auf den Boden. Es gab einen dumpfen Laut, und sein Po schmerzte.

      Doch es blieb gar keine Zeit, das zu registrieren. Torstens Hoffnung, dass das Regal, von seiner Last befreit, in seine ursprüngliche Halterung zurückrutschen würde, erfüllte sich nicht. In buntem Wirbel flogen die Bücher zu Boden. Es klatschte und klirrte, denn die dazwischenstehenden Porzellanfiguren wurden nicht verschont.

      Das schwere Regal folgte mit dumpfem Poltern. Glücklicherweise ging es einige Zentimeter neben Torsten zu Boden. Doch er erschrak so sehr, dass er liegen blieb, als sei er getroffen.

      Der furchtbare Krach musste im ganzen Haus zu hören gewesen sein.

      Da wurde auch schon die Tür aufgerissen. Miss Scott stürmte wie ein Racheengel herein. Sie hatte ihre dünnen Arme ausgebreitet, der Stoff ihres grauen Kleides flatterte. Hinter ihr kam Frau Jüngert, die Hausdame, vor der Torsten nicht weniger Respekt hatte.

      Unwillkürlich zog das Kind den Kopf zwischen die Schultern und drückte ängstlich die Augen zu. Seine kleinen Hände hielten krampfhaft den Ball.

      *

      Die kleine Eisentruhe, die die Kinder von Sophienlust in dem alten Gang gefunden hatte, stand neben Klaus Herzberg auf dem Beifahrersitz. Während er über die schnurgerade Straße nach Maibach fuhr, sah er immer wieder hinüber. Was mochte die Kassette enthalten? Würde ihr Inhalt ein Geheimnis aus längst vergangenen Zeiten preisgeben?

      Gleich morgen würde er, im Beisein von einigen Zeugen, die Truhe mit einem Dietrich öffnen. Klaus überholte einen Lastwagen und sah zuvor in den Rückspiegel. Was er dort entdeckte, ließ ihn die Kassette sofort vergessen. Zwischen den Sitzen erschien ein blonder Haarschopf.

      Klaus Herzberg beeilte sich, wieder auf die rechte Fahrbahn zu kommen. Er fuhr an den Straßenrand und hielt an. Ruckartig drehte er sich um und sah über die Lehne seines Sitzes hinweg nach hinten. Seine Vermutung bestätigte sich. »Tanja!«, rief er laut und überrascht.

      Wie erwartet, schob sich der Blondschopf hoch. Zwei ängstliche blaue Kinderaugen sahen ihn an.

      »Bitte, nimm mich mit«, flüsterte das kleine Mädchen. »Du fährst doch jetzt sicher zu Torsten.«

      Klaus schüttelte den Kopf. »Eigentlich hatte ich es nicht vor. Ich wollte nach Hause.«

      »Aber du musst ihn doch fragen, wie es in dem Gang war und ob er das Kreuz gesehen hat«, piepste Tanja furchtsam.

      »Wie kommst du in meinen Wagen?«, fragte der junge Lehrer streng.

      »Ich …,?ich habe mich versteckt, als du bei Frau Rennert warst.« Tanja musste mehrmals schlucken. »Nicht böse sein, bitte, nicht böse sein«, jammerte sie.

      »Und warum hast du es getan?« Klaus Herzberg sah zurück und wartete auf eine günstige Gelegenheit zum Wenden.

      »Weil ich so gern zu meinem Bruder möchte«, gestand die Kleine und hob flehend die Händchen. »Bitte, dreh nicht um! Nimm mich mit!«

      Wieder schüttelte Klaus Herzberg den Kopf. »Das geht nicht. In Sophienlust wird man dich suchen. Es weiß doch sicher niemand, dass du heimlich in mein Auto geklettert bist.«

      »Niemand«, bestätigte Tanja vertrauensvoll. »Kannst du nicht Tante Isi anrufen?« Die Kleine hatte längst herausgefunden, dass ihr der junge Lehrer keine Bitte abschlagen konnte, wenn sie sich aufs Schmeicheln verlegte.

      »Frau von Schoenecker? Sie wird mit mir schimpfen, wenn sie erfährt, was geschehen ist.« Klaus seufzte.

      »Tante Isi schimpft mit niemandem. Großes Ehrenwort!« Tanja hielt drei Finger hoch, als wollte sie schwören. Das sah so ulkig aus, dass Klaus lachen musste. Damit war das Eis gebrochen. Jubelnd fiel Tanja ihm von hinten um den Hals.

      »Du bringst mich zu Torsten!«, schrie sie voll Übermut.

      Klaus nickte versöhnlich. Er konnte Tanja nicht böse sein.

      Seufzend ließ er den Motor an und fuhr bis Maibach. Bei der ersten Telefonzelle hielt er an, um in Sophienlust Bescheid zu sagen. Er rief auch seine Mutter an und teilte ihr mit, dass es später werden würde.

      »Und jetzt fahren wir zu Torsten«, jubelte Tanja, als Klaus zum Wagen zurückkam. Ungeduldig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her.

      Die Villa des reichen Fabrikanten Johannes Ertel kannte hier jedes Kind. Klaus fand sie ohne Mühe. Er hielt etwas abseits von dem hohen schmiedeeisernen Tor und drückte wenig später den Knopf der Gegensprechanlage. Er nannte seinen Namen und gab an, dass Tanja ihren Bruder besuchen wolle. Ein leises Summen ertönte, das Tor öffnete sich wie von Geisterhand.

      Klaus Herzberg ging mit seinem kleinen Schützling über den Plattenweg zum Haus. Man führte die beiden in die düstere Halle und bat um etwas Geduld.

      Tanja wich nicht von der Seite des jungen Lehrers. Ängstlich schoben sich ihre Finger in Herzbergs Hand. Sie hatte sich das Haus des Onkels ganz anders vorgestellt. Nicht so groß, so vornehm und so düster. Die wandhohen Gemälde in der Halle flößten ihr Furcht ein.

      »Darf man hier nicht laut reden?«, wisperte Tanja, sobald das Hausmädchen verschwunden war. »Es ist so still wie in einer Kirche.«

      Klaus Herzberg musste Tanja recht geben. Trotzdem schüttelte er den Kopf. »Das kommt dir nur so vor, Kleines.«

      »Und warum hört man Torsten nicht? Ist er nicht da?« Um Tanjas

      Mündchen zuckte es verräterisch.

      »Ich weiß es nicht«, wich der junge Mann aus. Da sah er die hagere Engländerin, die geradewegs auf ihn zukam. Etwas unbehaglich drückte er Tanjas Fingerchen fester.

      »Ein bedauerlicher Irrtum, dass man Sie hereingebeten hat«, erklärte die Erzieherin in tadellosem Deutsch. »Torsten kann heute keinen Besuch empfangen, da er Stubenarrest hat.«

      »Was ist das?«, flüsterte Tanja und drängte sich enger an Herzberg.

      »Könnte man diesen Arrest nicht für einige Stunden aussetzen?«, meinte Klaus und lächelte amüsiert. Die strenge Engländerin hatte in seinen Augen Seltenheitswert. Kaum noch fand man heute Erzieher, die so auffällig alten Idealen nacheiferten. Eigentlich hatte er geglaubt, dass sie nur noch auf den Witzseiten der Illustrierten erscheinen würden.

      »Auf gar keinen Fall«, antwortete Miss Scott ernst. »Torsten war ungezogen und hat seine Strafe verdient. Milde oder auch nur eine kleine Erleichterung wären völlig unangebracht.«

      »Ich bin selbst Pädagoge und weiß, dass Güte in den meisten Fällen mehr ausrichtet als Strenge«, versuchte Klaus seine Kollegin umzustimmen. »Kinder, die man zu streng bestraft, werden bockig und unzugänglich. Aus Trotz wiederholen sie ihre Unarten und stellen die Erwachsenen damit auf eine harte Geduldsprobe.«

      »Sparen Sie sich Ihre Belehrungen«, meinte Miss Scott reserviert, »Sie werden mich doch nicht umstimmen. Torsten bleibt heute und morgen auf seinem


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