David Copperfield. Charles DickensЧитать онлайн книгу.
sich hier niemand um mich kümmerte. Das machte mich derart unglücklich, dass ich mich in einen Zipfel der Bettdecke wickelte und mich in Schlaf weinte.
Hörte dann jemand sagen, »hier ist er«, und wachte auf mit glühheißem Kopf. Meine Mutter und Peggotty hatten mich aufgesucht, und eine von beiden musste die Worte gesprochen haben.
»Davy«, sagte meine Mutter, »was fehlt dir?«
Ich fühlte es als etwas sehr Sonderbares, dass sie mich noch fragen konnte, und antwortete: »Nichts.« Ich legte mich aufs Gesicht, damit sie meine zitternden Lippen nicht sähe, die ihr besser Auskunft gegeben hätten.
»Davy«, sagte meine Mutter. »Davy, mein Kind!«
Keine Worte hätten mich mehr rühren können, als dass sie mich ihr Kind nannte. Ich verbarg meine Tränen in den Kissen und drängte meine Mutter weg, als sie meinen Kopf aufheben wollte.
»Das ist dein Werk, Peggotty, du grausames Ding!« schrie meine Mutter. »Ich zweifle gar nicht daran. Wie kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren, meinen eignen Jungen gegen mich oder irgendjemand, den ich lieb habe, aufzuhetzen? Was soll das heißen, Peggotty?«
Die arme Peggotty erhob Hände und Augen zum Himmel und antwortete nur mit einer Art Paraphrase des Tischgebets, das ich nach dem Essen herzusagen pflegte: »Gott vergebe Ihnen, Mrs. Copperfield, was Sie in dieser Minute gesagt haben. Mögen Sie es niemals ernstlich bereuen!«
»Es ist zum Verrücktwerden!« rief meine Mutter, »noch dazu in meinen Flitterwochen, wo man denken sollte, mein erbittertster Feind müsste Erbarmen haben und mir nicht das bisschen Ruhe und Glück neiden. Davy, du nichtsnutziger Junge! Peggotty, du wildes Geschöpf! Ach Gott, ach Gott!« rief sie in ihrer kindischen Art. »Wie ist die Welt doch widerwärtig, grade wenn man so viel Angenehmes von ihr erwartet!«
Ich fühlte die Berührung einer Hand, der ich sogleich anmerkte, dass sie weder meiner Mutter noch Peggotty gehörte, und sprang rasch aus dem Bett. Es war Mr. Murdstones Hand, der meinen Arm fasste. Ich hörte, wie er sagte:
»Was ist das, liebe Klara, hast du vergessen? Festigkeit! meine Liebe!«
»Es tut mir recht leid, Edward«, sagte meine Mutter. »Ich habe mir alle Mühe gegeben, aber mir ist so unbehaglich.«
»Wirklich!« antwortete er. »So bald schon. Das ist ja recht schlimm, Klara.«
»Es ist recht bitter, dass es mich jetzt so treffen muss«, sagte meine Mutter schmollend. »Sehr, sehr bitter, nicht wahr!«
Er zog sie an sich, flüsterte ihr etwas ins Ohr und küsste sie. Als ich sah, wie meine Mutter ihren Kopf an seine Schulter lehnte und ihren Arm um seinen Nacken schlang, da begriff ich damals so gut wie jetzt, dass er ihrem weichen Charakter jede beliebige Gestalt geben konnte:
»Geh hinunter, meine Liebe«, sagte er. »David und ich wollen auch hinunterkommen.«
»Meine Gute«, fuhr er mit einem finstern Gesicht zu Peggotty fort, als er meine Mutter an die Tür begleitet und mit einem Nicken und einem Lächeln verabschiedet hatte. »Sie kennen doch den Namen Ihrer Herrin!«
»Sie war lange genug meine Herrin, Sir«, antwortete Peggotty, »als dass ich ihn nicht kennen sollte.«
»Das ist richtig«, antwortete er, »aber mir schien es, wie ich die Treppe heraufkam, als ob Sie sie mit einem Namen anredeten, der nicht der ihrige ist. Sie wissen doch, dass sie meinen angenommen hat. Vergessen Sie das nicht.«
Mit einigen besorgten Blicken auf mich knixte Peggotty sich aus dem Zimmer heraus, ohne zu antworten. Sie begriff, dass sie gehen sollte, und fand keinen Vorwand, um dazubleiben. Als wir beide allein waren, machte er die Türe zu, setzte sich auf einen Stuhl, stellte mich vor sich hin, während er mich immer noch am Arm festhielt, und sah mir unverwandt in die Augen. Ich fühlte meinen Blick fest an ihn gebannt. Wenn ich mir vorstelle, wie wir uns damals Auge in Auge gegenüberstanden, kommt es mir vor, als hörte ich wieder mein Herz schneller und lauter schlagen.
»David«, sagte er und presste seine Lippen ganz dünn zusammen, »wenn ich einen eigensinnigen Gaul oder Hund vor mir habe, was glaubst du wohl, tue ich dann mit ihm?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich prügle ihn!«
Ich hatte ihm mit einem atemlosen Geflüster geantwortet, aber in meinem Schweigen fühlte ich, dass mein Atem noch kürzer wurde.
»Ich haue ihn, dass er sich windet vor Schmerz. Ich sage mir, ich will den Burschen bezwingen, und wenns ihm alles Blut im Leibe kosten sollte. Was hast du im Gesicht?«
»Schmutz«, sagte ich.
Er wusste so gut wie ich, dass es Tränenspuren waren. Aber wenn er mich zwanzigmal gefragt hätte, jedes Mal mit zwanzig Hieben, so glaube ich doch, mein Kinderherz wäre eher gebrochen, ehe ich ihm das eingestanden hätte.
»Du bist recht gescheit für dein Alter«, sagte er mit dem ernsten Lächeln, das ihm eigen war. »Und ich sehe, du hast mich ganz gut verstanden. Wasche dir das Gesicht und komme mit mir herunter.«
Er deutete auf den Waschtisch, der mir wie Mrs. Gummidge vorkam, und machte eine Bewegung mit dem Kopf, ich solle sofort gehorchen. Ich zweifelte damals nicht und jetzt noch viel weniger, dass er mich ohne das geringste Erbarmen zu Boden geschlagen haben würde, wenn ich gezögert hätte.
»Meine liebe Klara«, sagte er, als er mit mir in das Wohnzimmer trat, immer noch meinen Arm festhaltend, »ich hoffe, du wirst jetzt keinen Verdruss mehr haben. Wir werden unsre jugendlichen Launen schon ablegen und uns bessern.«
Gott helfe mir, ich hätte für mein ganzes Leben gebessert werden können, ich wäre ein ganz anderer Mensch geworden durch ein einziges freundliches Wort damals. Ein Wort der Ermutigung und Erklärung und des Mitgefühls für meine kindliche Unwissenheit, des Willkomms in der Heimat, eine Versicherung, dass das alte mütterliche Haus noch ganz dasselbe sei, hätten mich zu einem gehorsamen Sohn gemacht, anstatt dass ich jetzt Gehorsam heuchelte, – hätten mich ihn achten gelehrt anstatt hassen. Mir kam es so vor, als ob es meiner Mutter leid täte, mich so scheu und fremd im Zimmer stehen zu sehen. Und dass sie mir mit sorgenvollen Blicken folgte, als ich nach meinem Stuhle schlich. Das Wort aber wurde nicht gesprochen, und die Zeit dazu war vorüber.
Wir speisten alle drei allein am Tisch. Er schien meine Mutter sehr gern zu haben, – ich fürchte fast, er war mir deshalb nicht weniger zuwider, – und sie war sehr zärtlich zu ihm. Aus seinen Reden merkte ich, dass eine ältere Schwester von ihm ankommen sollte und bei uns bleiben. Ich weiß nicht mehr, ob ich schon damals oder erst später erfuhr, dass er einen