Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht. Julia FritzЧитать онлайн книгу.
Tabelle 1:
Entwicklung der Lernerzahlen für das Fach Französisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien
Es bleibt also zu konstatieren, dass das Fach von den SchülerInnen der Sekundarstufe II weiterhin aus den Stundenplänen gestrichen wird, sobald die erforderliche Anzahl an Mindest-Lernjahren erfüllt ist. Darüber hinaus lassen sich u.U. mit einer neu beginnenden Fremdsprache in der Oberstufe bessere Noten erzielen – ein Umstand, der die Abwahl der zweiten Fremdsprache am Ende der Sekundarstufe I noch attraktiver machen dürfte.
Bevor genauer mögliche Gründe für das Abwahlverhalten erläutert sowie entsprechende Forschungsarbeiten vorgestellt werden, soll zunächst in Form einer kontrastierenden Darstellung die aktuelle Situation des Unterrichtsfaches Spanisch in den Blick genommen werden.
2.2 Das Unterrichtsfach Spanisch
Schenkt man den Reden um den vermeintlichen Boom des Unterrichtsfaches Spanisch und dem Klagen so manch besorgter Französischlehrkraft Glauben, könnte man meinen, eine Welle des Spanischen erfasse derzeit die schulische Fremdsprachenlandschaft und würde dem Französischen als zweiter Fremdsprache den Rang ablaufen. Und auch in der fachwissenschaftlichen Diskussion bildet sich dieser vermeintliche Hype ab, wenn dort bspw. der „Virus der Hispanophilie“ beschworen wird (vgl. u.a. Bernecker 2006; Bär 2012). Doch rein statistisch betrachtet, fällt das Fach Spanisch an Gymnasien weit hinter Englisch, Französisch und Latein zurück. Der nachfolgende Blick auf die schulsprachenpolitischen Rahmenbedingungen und die Entwicklung der Lernerzahlen soll helfen, die aktuelle Situation des Faches besser einzuordnen.
2.2.1 Schulsprachenpolitische Rahmenbedingungen
Ohne Zweifel hat die Attraktivität der spanischen Sprache in den vergangenen Jahren zu einem Aufschwung und einer damit verbunden höheren Nachfrage, Spanisch zu lernen, geführt. Als Weltsprache neben Englisch, Chinesisch und Hindi öffnet ihre Beherrschung Kontaktmöglichkeiten zu einer Vielzahl an SprecherInnen und „deckt in politischer, wirtschaftlicher, literarischer und kultureller Hinsicht ein breites Interessenspektrum ab“ (Weller 1995:635). Zudem gilt Spanisch als eine Sprache, die im Anfangsunterricht eine schnelle Progression und Lernerfolge ermöglicht (vgl. Christ 2004:75), sodass ihre steigende Beliebtheit keineswegs verwundert. Dennoch stand die Einführung und Entwicklung des Unterrichtsfaches unter ganz anderen Vorzeichen als die des Französischen und blickt vergleichsweise auf eine eher kurze Tradition zurück.
Erst mit dem Ende des Ersten Weltkrieges rückte das Spanische als Weltsprache ins Bewusstsein der Deutschen. Aufgrund sich intensivierender Beziehungen zu den spanischsprachigen Ländern sowie der wirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas stieg auch das Interesse am Erlernen der spanischen Sprache. Im Unterschied zum Französischen richtete sich der Fokus jedoch von Beginn an vor allem auf den praktischen Gebrauch: „Man lernt Spanisch nicht zum Zwecke philologischer Studien, sondern zur Erreichung von Sprachkenntnissen für die spätere Tätigkeit als Kaufmann, Fabrikant, Ingenieur usw.“ (Steinhilb 1985:38)
An Schulen spielte das Spanische im Fächerkanon zunächst keine Rolle. Im Jahr 1919 an einigen preußischen Schulen mit nur wenigen Wochenstunden als Wahlfach eingeführt (vgl. ebd.: 47f.), wurde die Sprache nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an deutschen Schulen wieder abgeschafft. Implementiert wurden lediglich die Fremdsprachen Englisch und Französisch im Westen sowie Russisch in Ostdeutschland. Während dann die Reform der gymnasialen Oberstufe in den 1970er Jahren für den Französischunterricht eine deutliche Schwächung bedeutete, verhalf sie der Fremdsprache Spanisch schließlich zu ihrem Platz an deutschen Schulen (vgl. Christ 2003:14). Dennoch verliefen die Anfänge des Spanischunterrichts eher schleppend – nicht zuletzt wegen der im Spanien der 1960er und 1970er Jahre anhaltenden Franco-Diktatur und einem damit verbundenen Negativ-Image der spanischen Sprache (vgl. Steinhilb 1985:51ff.).
Im Gegensatz zur staatlich unterstützten Einrichtung und Förderung des Französischunterrichts lässt sich die Einführung des Unterrichtsfaches Spanisch vor allem auf die Bemühungen des im Rahmen des 1970 stattfindenden Philologentages gegründeten Deutschen Spanischlehrerverbandes (DSV) (vgl. Bernecker 2006:155) zurückführen, der u.a. „[d]ie Einführung des Spanischen als 2. und 3. Wahlpflichtfremdsprache in der 7. und 9. Klasse der Gymnasien und Gesamtschulen“ (Steinhilb 1985:86) forderte. Begleitet wurden diese Bestrebungen jedoch von einer allgemeinen Kritik, „den Fremdsprachenunterricht mit dem Argument wieder zu beschneiden, er sei ein Selektionsinstrument, das gebildete Kreise privilegiere und Chancengleichheit verhindere“ (Bernecker 2006:156). Wenngleich diese Schwierigkeiten alle Fremdsprachen gleichermaßen betrafen, galten sie jedoch besonders für Spanisch und Französisch, weil „sich eine weitverbreitete Kritik gegen die zweite Fremdsprache als Voraussetzung für das Normalabitur richtete“ (ebd.).
Die Veränderungen im Zuge der Neugestaltung der Oberstufe erschwerten in den 1990er Jahren die Bedingungen des Spanischunterrichts aufgrund administrativer Vorgaben erneut. Diese betrafen u.a. „Festlegungen von Mindestzahlen für Lerngruppen […], Bestimmungen hinsichtlich des Lateinunterrichts bei gleichzeitiger Einschränkung der Zahl der Wochenstunden [sowie] den Leistungskurs Spanisch, der nur noch in einer begrenzten Zahl von Kombinationen möglich sein sollte“ (ebd.). Die im Verlauf der darauffolgenden Jahre sukzessive Vorverlegung der ersten und zweiten Fremdsprache sowie die bereits angesprochene Attraktivität der Sprache zusammen mit dem Einsatz des Deutschen Spanischlehrerverbandes und anderer Interessensverbände haben jedoch letztlich auch den Stellenwert des Spanischen gestärkt.
Als schulische Fremdsprache kann Spanisch traditionell als „klassische“ Tertiärsprache – also dritte oder vierte Schulfremdsprache – hinter Englisch, Französisch und/oder Latein bezeichnet werden. So ist das Erlernen der spanischen Sprache in der Grundschule in keinem Bundesland für den obligatorischen Fremdsprachenunterricht vorgesehen. Es bestehen aber fakultative Angebote in Form von Arbeitsgemeinschaften sowie die Möglichkeit bilingualen Unterrichts ab der ersten Klasse an ausgewählten Grundschulstandorten (vgl. Michel 2006:29).1
In der Vergangenheit wurde Spanisch zumeist erst ab der Klassenstufe 8 (G8-Jahrgang) bzw. 9 (G9-Jahrgang) oder als spät einsetzende Fremdsprache in der Oberstufe gewählt. Dass das Fach jedoch immer häufiger als zweite Fremdsprache ab Klasse 5, 6 oder 72 gewählt wird, hat auch weitreichende Konsequenzen für den Bedarf an Lehrkräften. So hat die Nachfrage nach Spanisch an deutschen Schulen und die dadurch entstandene „Versorgungslücke“ auch zu steigenden Studierendenzahlen geführt. Immer mehr StudienanfängerInnen entscheiden sich – vor allem im Gymnasialbereich – für ein Lehramtsstudium mit dem Fach Spanisch (vgl. Weiß et al. 2011:9).
Dieser „Aufstieg“ von einer dritten zur zweiten Fremdsprache verändert seine Rolle im fremdsprachlichen Fächerkanon „von der Zielsprache zur Brückensprache“ (Bär 2012:246, Hervorh. im Orig.) bzw. „von einer Nehmersprache zu einer Gebersprache“ (ebd.). Während das Spanische in dritter Position bislang auf Vorkenntnisse in den vorgelernten Fremdsprachen Englisch und Französisch zurückgreifen konnte, kommt ihm nun als erste romanische Sprache nach Englisch zunehmend die Verantwortung zu, im Sinne der Mehrsprachigkeitsdidaktik auf das vergleichende Lernen weiterer (romanischer) Fremdsprachen vorzubereiten und