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Fünf Apfelsinenkerne. Arthur Conan DoyleЧитать онлайн книгу.

Fünf Apfelsinenkerne - Arthur Conan Doyle


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forschte dann in den Berichten von Dundee nach, und als ich fand, daß der ›Lone Star‹ im Januar 1885 dort lag, wurde mein Verdacht zur Gewißheit. Ich erkundigte mich nach den Schiffen, die jetzt im Hafen von London find. Der ›Lone Star‹ war vorige Woche hier angekommen. – Ich ging nach dem Albert-Dock und erfuhr, das Schiff sei mit der Morgenflut ausgelaufen und auf dem Heimweg nach Savannah begriffen. Ich telegraphierte nach Gravesend. Es war bereits vorüber gesegelt; der Wind weht von Ost, also muß es unbedingt über die Sandbank von Godwin hinaus sein und nicht weit von der Insel Wight.«

      »Und nun?«

      »Nun halte ich ihn unter dem Daumen. Nur er und zwei Matrosen an Bord sind geborene Amerikaner; die übrigen sind Deutsche und Finnländer. Auch erfuhr ich, daß sie vorige Nacht alle drei nicht auf dem Schiff waren. Der Stauer, der die Ladung löschte, hat es mir gesagt. Bei der Einfahrt des Schiffes in Savannah wird der Postdampfer bereits diesen Brief abgeliefert haben, und die Polizei von Savannah hat durch das Kabel schon erfahren, daß auf die drei Herren von hier aus eines Mordes wegen gefahndet wird.« –

      Wie schlau der Mensch aber auch seine Pläne ersinnen mag, sie werden doch oft vereitelt. John Openshaws Mörder sollten nie und nimmer die fünf Kerne erhalten, die ihnen bewiesen hätten, daß ein anderer, der nicht minder verschmitzt und entschlossen war wie sie selbst, ihnen auf die Spur gekommen sei.

      Die Aequinoktalstürme waren in diesem Jahr besonders heftig und unheilvoll. Vergeblich warteten wir lange Zeit auf Nachrichten über den ›Lone Star‹ aus Savannah.

      Endlich hörten wir, daß irgendwo, weit draußen im Atlantischen Ozean, ein zerbrochener Hintersteven mit den Buchstaben L. S. gezeichnet, den die Wogen umhertrieben, aufgefunden wurde, – Das ist alles, was je vom Schicksal des ›Lone Star‹ zu uns gedrungen ist.

      Unter den mancherlei Widersprüchen im Charakter meines Freundes Sherlock Holmes war mir einer immer besonders auffallend. Es gab wohl in geistiger Beziehung keinen methodischeren Menschen auf Erden als ihn, und auch was den Anzug betraf, trug er stets eine gewisse Genauigkeit und Pünktlichkeit zur Schau. Trotzdem war er aber im täglichen Leben so unordentlich, daß es seinen Stubengefährten zur Verzweiflung treiben konnte.

      Ich selbst hänge durchaus nicht zu sehr an Aeußerlichkeiten. Das rauhe, harte Leben in Afghanistan, vereint mit meinem natürlichen Hang zur Ungebundenheit, hat mich in manchen Dingen weit nachlässiger gemacht, als es sich eigentlich für einen Mediziner schickt. Aber immerhin beobachte ich gewisse Grenzen, und wenn ich mit jemand zusammenwohne, der seine Zigarren im Kohlenkasten und den Tabak in einem persischen Pantoffel aufbewahrt und der seine unbeantworteten Briefe mit dem Jagdmesser einfach an dem hölzernen Kaminsims aufspießt, dann komme ich mir, im Vergleich zu ihm, musterhaft ordentlich vor. Auch bin ich stets der Meinung gewesen, daß, wer sich im Pistolenschießen üben will, es draußen im Freien thun sollte; wenn sich daher Holmes in einer seiner wunderlichen Stimmungen mit der Schießwaffe und hundert Stück Patronen in den Lehnstuhl setzte und auf die Wand gegenüber, als Verzierung, seinen Namenszug mit Kugelnarben einschrieb, so wurde dadurch, meiner Ueberzeugung nach, weder die Luft noch das Aussehen unseres Zimmers verbessert.

      Unsere Wohnung war voller Chemikalien und allerlei Andenken an Kriminalfälle, die sich überall herumtrieben und oft in der Butterdose oder an noch unpassenderen Orten auftauchten. Mein größtes Kreuz waren aber seine Papiere. Ein Schriftstück zu vernichten widerstand ihm im höchsten Grade, besonders wenn es sich auf einen seiner interessanten Fälle bezog, und doch brachte er es höchstens einmal alle Jahre zu dem Entschluß, die Sachen durchzusehen und zu ordnen. Wie ich schon öfters erwähnt habe, folgten bei ihm auf die Tage leidenschaftlicher Erregung, in denen er die merkwürdigen Thaten vollbrachte, die seinen Namen berühmt gemacht haben, Zeiten völliger Erschlaffung. Er lag dann meist mit der Geige und seinen Büchern auf dem Sofa und rührte sich kaum vom Fleck, außer um sich zur Mahlzeit an den Tisch zu setzen. So häuften sich also seine Papiere von einem Monat zum andern auf, bis es keinen Winkel des Zimmers mehr gab, in dem nicht Bündel von Manuskripten umherlagen, die unter keiner Bedingung verbrannt werden durften und über die, außer ihrem Eigentümer, niemand verfügen konnte.

      Als wir einmal an einem Winterabend miteinander beim Kamin saßen, erlaubte ich mir die Bemerkung, er werde nun wohl genug Auszüge von Kriminalakten in sein Sammelbuch geklebt haben und solle die nächsten zwei Stunden dazu verwenden, unser Wohnzimmer nur einigermaßen aufzuräumen und einen menschlichen Zustand herzustellen. Daß mein Verlangen vollständig gerechtfertigt war, ließ sich nicht leugnen; so begab sich denn Holmes mit einem sehr langen Gesicht in seine Schlafstube, und als er gleich darauf wiederkam, schleifte er einen großen Blechkoffer hinter sich drein. Er stellte ihn mitten ins Zimmer, kauerte sich auf einen Schemel daneben und schlug den Deckel zurück. Der Koffer war etwa zu einem Drittel mit vielen einzelnen rotverschnürten Papierbündeln angefüllt.

      »Hier giebt's Fälle im Ueberfluß, Watson,« sagte mein Freund mit schlauem Lächeln. »Wenn du wüßtest, was ich alles in diesem Koffer habe, du bätest mich vielleicht, ein paar Pakete herauszunehmen, statt noch mehr hineinzulegen.«

      »Das find wohl die Akten über deine älteren Sachen?« fragte ich. »Schon oft habe ich mir gewünscht, Auszüge davon zu besitzen.«

      »Jawohl, mein Junge, das sind lauter Arbeiten, die ich allzu früh unternommen habe, ehe noch mein Biograph erschien, um meinen Ruhm zu verkünden.«

      Er nahm ein Bündel nach dem andern heraus und betrachtete es mit fast zärtlichen Blicken. »Nicht alles ist mir gelungen, Watson,« sagte er, »aber es sind einige ganz hübsche kleine Probleme darunter. Hier sind die Aufzeichnungen über den Mord in Tarleton, die Geschichte des Weinhändlers Bamberry, das Abenteuer der alten Russin, das sonderbare Vorkommnis mit der Aluminium-Krücke, ferner ein langer Bericht über Ricoletti mit dem Klumpfuß und sein abscheuliches Weib. Und hier – ja, das ist wirklich etwas ganz Auserlesenes.«

      Er holte aus der Tiefe des Koffers ein kleines hölzernes Kistchen mit einem Schiebedeckel hervor, das wie eine Spielzeugschachtel aussah. Darin lag ein zerknittertes Stück Papier, ein altmodischer bronzener Schlüssel, ein Holzpflock, um den ein Knäuel Bindfaden gewickelt war, und drei verrostete Metallplättchen.

      Holmes lächelte über mein verwundertes Gesicht.

      »Nun, mein Junge, was sagst du zu diesem Kram?«

      »Es ist eine merkwürdige Sammlung.«

      »Ja, sehr merkwürdig, und die Geschichte, die damit zusammenhängt, würde dir noch absonderlicher vorkommen.«

      »Also es knüpft sich eine Geschichte daran?«

      »Ja, sogar ein Stück Weltgeschichte.«

      »Wie ist das möglich?«

      Holmes nahm die Gegenstände nacheinander heraus und legte sie in einer Reihe auf den Tisch. Tann zog er einen Stuhl heran, setzte sich und betrachtete sie mit befriedigten Blicken.

      »Dies,« sagte er, »ist alles, was mir zum Andenken an die merkwürdige Begebenheit übrig geblieben ist, die sich auf den Katechismus der Familie Musgrave bezieht.«

      Ich hatte ihn schon öfters von dem Fall reden hören, doch war es mir nie gelungen, etwas Näheres darüber zu erfahren. »Du thätest mir einen großen Gefallen,« sagte ich, »wenn du mir die Sache einmal erzählen wolltest.«

      »Dann bliebe ja all der Krimskrams hier doch wieder liegen. Wie verträgt sich denn das mit deiner Ordnungsliebe, Watson?« erwiderte er, mich schalkhaft anblinzelnd. »Aber, es wäre mir wirklich lieb, wenn du den Fall unter deine Berichte aufnehmen wolltest, weil Dinge dabei vorkommen, wie sie weder in der Verbrecherchronik unseres Landes, noch in irgend einer anderen verzeichnet sind, soviel ich weiß. Deine Schilderung meiner geringen Thaten würde höchst unvollständig sein, wenn dieser sonderbare Vorgang dabei fehlte.

      »Alle Welt kennt jetzt meinen Namen, und nicht nur das Publikum, sondern auch die Polizei betrachtet mich als die letzte Berufungsinstanz bei zweifelhaften Fällen. Schon damals,


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