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Menschwerdung eines Affen. Heike BehrendЧитать онлайн книгу.

Menschwerdung eines Affen - Heike Behrend


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mit seinem Namen herhalten.

      Während Frauen dem Kind den ersten Namen gaben, erhielt es einige Jahre später von Männern einen zweiten, den »Ziegennamen«, benannt nach der Ziege, die das Kind geschenkt bekommt. Manchmal setzte sich im Lauf des Lebens der Name durch, den die Frauen gegeben hatten, manchmal der Ziegenname. Es kam aber auch vor, dass das Kind auf beide Namen hörte; dann riefen es die Frauen mit dem Namen, den sie ihm gegeben hatten, und die Männer benutzten den Ziegennamen.

      Doch gaben Eltern mitunter ihren Kindern zusätzlich noch einen dritten Namen, der an ein Ereignis erinnert, das während der Geburt stattfand. Zahlreiche Kinder hießen zum Beispiel Kemei, »Hunger«, weil zur Zeit ihrer Geburt der Hunger herrschte. Ein Kind wurde Chumba, »Europäer«, genannt, weil es geboren wurde, als ein Europäer anwesend war. Ich traf auch ein Kind, das »Löffel« hieß, weil seine Eltern am Tag der Geburt zum ersten Mal einen Löffel sahen.

      Während die Ahnennamen das Kind als Wiederholung in die Genealogie eingliedern, betonen die Ereignisnamen (so wie Spitznamen) eher seine Einmaligkeit und Individualität, Eigenschaften, die es auszeichnen, die aber auch – im Gegensatz zu den Ahnennamen – mit seinem Tod verschwinden.

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      Da ich bis 1985 regelmäßig nach Bartabwa zurückkehrte, teilten die Ältesten mir einen jungen Mann mit Namen Naftali Kipsang zu, der mich bei all meinen Unternehmungen begleitete, mich beschützen sollte und als Übersetzer diente, mich aber vor allem kontrollierte. Kipsang wurde auch »Professor« genannt; er las viel und trug gern ein Buch als Zeichen seiner Belesenheit mit sich herum. Ein Kugelschreiber steckte in seinem Haar. Zusammen mit den Ältesten bestimmte er, was und wen ich zu sehen bekam und was ich in Erfahrung bringen durfte. Ich bezahlte ihm das vor Ort übliche Gehalt eines Lehrers. Doch das Geld verpflichtete ihn kaum zur Loyalität mir, einer Fremden, gegenüber. Die Illusion, Kontrolle über meine Arbeit zu haben, gab ich schnell auf.

      Kipsang, mein galanter Begleiter, wurde zu einem der begehrtesten Gesprächspartner. Wenn wir von einem Treffen mit einem Ältesten zurück ins Dorf kamen, machte er die Runde. Er wurde zum Bier eingeladen, um die neuesten Geschichten über mich zum Besten zu geben. Sie hatten hohen Unterhaltungswert; ich hörte das laute Gelächter, das mit ihm von einem Haus zum nächsten wanderte.

      In den folgenden Jahren entstand zwischen Kipsang und mir eine Freundschaft. Er war ein geschickter Vermittler, der zwischen meinen und den unterschiedlichen Interessen der Ältesten zu lavieren verstand. Auch begann er, sich zunehmend für die eigene Kultur und insbesondere ihre Rituale zu interessieren, und wurde selbst zu einem Ethnografen der Tugenberge. Wir wurden Komplizen und spiegelten einander in den unterschiedlichen Rollen, die wir übernommen hatten. Während er zum Ethnografen seiner eigenen Kultur avancierte, wurde ich zur Primitiven, zum Affen, allerdings mit Aufstiegschancen.

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      Zufällig erfuhr ich, dass ich »Affe« genannt wurde. Dieser Name war, wie Kipsang mir gestand, kein Ehrenname, sondern eher ein Spottname, der vor mir verborgen bleiben sollte. Eindringlich hatte ich Kipsang gebeten, mir zu berichten, wie die Leute über mich sprachen und welche Namen sie mir gaben. Ich versicherte ihm, dass ich nicht böse würde, auch wenn die Namen verletzend seien. Denn das Wissen, das man mir schenke, sei vom sozialen Status abhängig, den man mir zuweise. Natürlich verstand er sofort die epistemologische Dimension, die die Bezeichnung »Affe« barg, wusste er doch am allerbesten, was mir als Affe vorenthalten und verborgen blieb.

      Ich beschloss, das semantische Feld des Affen zu erschließen. Kipsang half mir dabei. Wir fanden heraus, dass die Bewohner der Tugenberge zwei Arten von Fremden unterscheiden: bunik, die nahen Fremden, gegen die man Krieg führt, die man aber auch heiratet; und toyek, die radikal Fremden, die sozial und kulturell so weit entfernt sind, dass sie den wilden Gegensatz bilden. Toyek leben wie Affen in der Wildnis, sind behaart, haben lange Schwänze, fressen Menschen, laufen auf dem Kopf und begehen Inzest. Die beiden Kategorien, die nahen und die ganz Fremden, stehen jedoch nicht in einem absoluten Gegensatz, sondern können auch als aufeinanderfolgende Phasen in einem Prozess der Integration von Fremden gesehen werden. In Clangeschichten erzählten die Ältesten von wilden Männern, die wie Affen leben. Ein Zufall führt sie in die bewohnte Welt. Sie bringen den dort lebenden Menschen Hirse oder das Feuer und erhalten als Gegengabe eine Frau. Die Heirat verwandelt sie in Schwiegersöhne, die nach und nach ihre Fremd- und Wildheit verlieren und durch ihre Kinder und Enkel vollständig in die bewohnte Welt integriert werden.

      Anstelle unserer Klapperstorchgeschichte erzählten Mütter in den Tugenbergen ihren Kindern, dass eine Frau, die sich ein Kind wünscht, in die Wildnis geht. Sie stiehlt dort ein Affenbaby, schneidet ihm den Schwanz ab und trägt es nach Hause. Sie legt es an ihre Brust und nennt es »mein Affe«, bis es in einem Ritual den Namen eines Ahnen erhält. Dann wird seine Herkunft, sein äffischer Ursprung, »vergessen«.

      Die Grenze, die die Bewohner der Tugenberge zwischen Mensch und Tier ziehen, in diesem Fall Affe, ist sehr viel durchlässiger als jene, die das Christentum zieht. Während die christliche Schöpfungsgeschichte den Menschen als Herrn über die Tiere setzt und damit eine starke Diskontinuität zwischen beiden erschafft, ist das Verhältnis in den Tugenbergen eher kontinuierlich; es schließt eine Entfernung des Menschen vom sowie eine Rückkehr zum Affen ein.

      Die Bewohner Bartabwas vertraten also einen Primitivismus und eine Evolutionstheorie, die Darwin sicherlich erfreut hätte. Ihre Theorie der Menschwerdung war nicht unilinear und auf Fortschritt hin ausgerichtet. Das Äffische verschwand nie ganz, wurde nicht völlig überwunden. Denn in verschiedenen Ritualen des Lebenszyklus mussten die Initianden in der liminalen Phase nicht nur in die Wildnis zurück, sondern auch wieder zu wilden Tieren werden, bevor sie sich in eine »größere soziale Person« verwandeln konnten.

      Als Affe wurde ich der Kategorie der Primitiven und ganz Fremden zugeteilt. Ich war nicht Mensch, sondern Tier. Man platzierte mich an den Rand einer mir fremden Kosmologie. Doch bekam ich die Chance, mein äffisches Wesen hinter mir zu lassen: Meiner Entwicklung förderlich waren zunehmende Sprachkenntnisse und das Erlernen der Regeln der Höflichkeit, auch wenn ich mich nicht immer an sie hielt. Vom Affen stieg ich zum »Ding« auf; »Ding« bezeichnet eine Person, die noch nicht wirklich erwachsen und selbstverantwortlich handelt – so wie man auch bei uns von einem »jungen Ding« spricht. Doch da ich regelmäßig in die Tugenberge zurückkehrte und die Ältesten mich nicht loswurden, stellte ein Ältester mit Namen Aingwo fest: »Das Ding kommt immer wieder zu uns, das Ding liebt uns.« Meine Beharrlichkeit, zu ihnen zurückzukehren, war die erste Eigenschaft, die sie meiner noch höchst unvollständigen sozialen Person anhefteten.

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      Ich versuchte vor allem mit den Ältesten, »die noch wie ihre Väter lebten«, ins Gespräch zu kommen. Das war recht schwierig, zum einen, weil ich Kalenjin, die lokale Sprache, zwar erlernte, aber nicht gut sprechen konnte. Kalenjin gehört zu den tonalen Sprachen und besitzt mindestens fünf verschiedene Tonhöhen, die ich nie traf. Da sich mit der Tonhöhe auch die Semantik ändert, konnte es passieren, dass ich das Gegenteil von dem sagte, was ich eigentlich sagen wollte. Einmal versuchte ich einen Mann mit freundlichen Worten zu begrüßen, doch was ich sagte, war eine Beleidigung. Er wurde böse, und Kipsang musste ihm mühsam erklären, dass ich ihn nicht absichtlich beleidigt hatte, sondern unfähig war, seine Sprache zu sprechen.

      Zum anderen weigerten sich viele der Ältesten, überhaupt mit mir zu reden. Denn ich kannte die Regeln der Höflichkeit nicht, ja wusste nicht einmal, dass es sich für eine junge Frau nicht gehörte, einem älteren Mann Fragen zu stellen. Die aus ihrer Perspektive unverschämte Neugier, die mich antrieb und die, wie ich glaubte, selbstverständlich zum ethnografischen Unternehmen gehörte, führte zu Ablehnung.

      Besonders der Älteste Aingwo, der mit der Geschichte der Tugen und ihren Ritualen bestens vertraut war, litt unter meinen Besuchen. Immer wieder fragte er, ob nicht wenigstens mein Ehemann meine Arbeit übernehmen könne. Er fragte auch, was ich mit dem Wissen, das er mir gab, anstellen würde. Er seufzte und stöhnte, setzte sich aber doch mit mir zusammen und antwortete auf meine »falschen« Fragen. Falsch waren sie in dem Sinn, dass er sie sich so nie selbst gestellt hätte. Ohne es


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