Werft eure Zuversicht nicht weg. Benno ElbsЧитать онлайн книгу.
bringen diese Verhaltensweisen wieder neu zum Vorschein, wie manche Panikkäufe in den ersten Tagen der Corona-Maßnahmen gezeigt haben. Als eine unerträgliche, ja fast unmoralische strukturelle Kränkung empfinde ich es, wenn Menschen Pensionsbezüge von 30.000 Euro monatlich erhalten, während andere mit 870 Euro auskommen müssen. Solch eklatante Ungleichheiten, ja Ungerechtigkeiten sind Ursache von Demütigung und Zurücksetzung, sie schüren Neid und Zorn. Die Erfahrung, zu kurz zu kommen und ständig draufzahlen zu müssen, bildet zudem den Nährboden für Feindbilder. Im politischen Leben sehen wir, dass solche Gefühle gerne auch für Wahlpropaganda instrumentalisiert werden. Sich einerseits ungerecht behandelt zu fühlen und andererseits in einer Haltung von Gier und Neid ständig dem Noch-mehr-haben-Wollen nachzurennen, zerstört einen dankbaren und zuversichtlichen Blick auf das Leben.
Unmäßigkeit
Eine Krise, ob sie nun persönlich ist oder kollektiv wie die Corona-Krise, kann uns bewusst machen, was wir wirklich zu einem guten Leben brauchen. Sie kann uns vielleicht auch zur Einsicht führen, dass eine intelligente Reduktion unserer Ansprüche uns letztlich glücklicher macht. Vielleicht zeigt sie uns auch, dass ein überhitzter Konsum, der oft nahe bei dem liegt, was die Theologie als „Unmäßigkeit“ bezeichnet, sowohl die Natur als auch die innere Zufriedenheit und damit die Zuversicht der eigenen Seele zerstört. Zufrieden kann ich auch dann sein, wenn ich meine Ansprüche nicht ins Unendliche steigere, sondern wenn ich es verstehe, ein für mich und meine Mitwelt gut verträgliches Maß einzuhalten. „Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche.“2
Angst
Wir leben in einer Zeit mit vielen Ängsten. Sicherheiten von gestern sind verloren gegangen. Angst lähmt, macht eng, schnürt die Luft zum Atmen ab. Dabei hat sie durchaus eine lebenswichtige Warnfunktion. Sie kann aber auch den Blick für die Wahrnehmung der Realität verzerren, das Selbstwertgefühl zerstören, nüchternes Denken beeinträchtigen und die Bereitschaft, sich Neuem neugierig zuzuwenden, hemmen. Und sie ist ein Mittel der seelischen und sozialen Unterdrückung, von Einzelnen wie auch von gesellschaftlichen Gruppen.
Ob mich eine konkrete Angst quält oder diffuse Ängste, beides lässt die Zuversicht kleiner werden. Manche Ängste werden ausgelöst durch äußere Gefahren, andere gehen vielleicht auf unverarbeitete psychische Belastungen zurück. Sie wurden vielleicht durch ein Ereignis ausgelöst, haben sich aber dann zu freischwebenden Ängsten entwickelt, die ich mit mir herumschleppe. Manche Ängste sind gesellschaftlich bedingt, wie die Angst um den Arbeitsplatz oder den Wohlstand, wieder andere betreffen die persönliche Situation, etwa die Angst vor Krankheit, vor dem Verlust von Angehörigen, vor dem Tod. Und es gibt viele Ängste, die z. B. durch politische Strategien oder einflussreiche globale Konzerne und Machthaber erzeugt werden. Wer Geld, Macht und Einfluss hat, kann sich die anderen durch Angstmache klein und fügsam halten. Und dann gibt es noch viele Ängste, die gesichtslos sind, deren Ursachen oft ein Geheimnis bleiben.
Von einer heute weit verbreiteten „Ketzerei der Angst“ hat Cesare Zucconi von der Gemeinschaft Sant’Egidio beim Diözesanforum 2019 in Dornbirn gesprochen. Sie lege die Hoffnung in Ketten und lösche den prophetischen Geist aus, der aus dem Evangelium entspringt.3 Angst ist ein schlechter Ratgeber. Sie führt zu Reaktionen, die das gute Lebensgefühl und die Zuversicht zerstören. Angst ist aber auch ein Instrument, mit dem Stimmung gemacht werden kann, wenn wir an Diskussionen im Zusammenhang mit der sogenannten Flüchtlingskrise oder an manche Statements während der Corona-Krise denken.
In den Stürmen des Lebens
Herausforderungen, schwere Bürden, Erfahrungen von Leid, Katastrophen und Schuld können Zuversicht bedrohen und im Rückblick dennoch zu Lernerfahrungen werden, die auch Wertvolles in sich bergen. Auch die Bibel berichtet von Stürmen. Jesus fährt mit seinen Jüngern ans andere Ufer des Sees. Auf der Fahrt schläft er ein. Ein Sturm kommt auf, das Wasser schlägt in das Boot und in Todesangst wecken die Jünger Jesus auf. Der gebietet dem Sturm und den Wellen Einhalt und Stille tritt ein. Und zu seinen Jüngern sagt er nur: „Wo ist euer Glaube?“ (vgl. Lk 8,22–25).
Der Sturm steht in der Bibel nicht nur für Bedrängnisse und Gefahren, er ist auch das Zeichen schlechthin für den Geist Gottes, der weht, wo er will. Sturm, das ist auch Chance und Aufbruch. Mit Jesus im Boot ist der Sturm nicht mehr eine todbringende Gefahr, sondern Zeichen für die Herausforderungen, denen wir auf diesem neuen Weg begegnen. Dann ist im Sturm etwas vom Geist Gottes spürbar, der aufrüttelt und frischen Wind bringt. Weit schlimmer als ein Sturm ist eine Flaute, wenn gar kein Lüftchen geht, sich nichts bewegt und nichts da ist, das mich antreibt. Entscheidend im Sturm ist es, die Segel richtig zu setzen. Segler wissen es zu nützen: Mit Gegenwind kann man ganz gut vorankommen.
2Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Gütersloh 22017, S. 359.
3Vgl. Wohin geht das Christentum? Vortrag von Cesare Zucconi beim Diözesanforum Feldkirch am 11. und 12. Oktober 2019. https://www.kath-kirche-vorarlberg.at/organisation/pastoralamt/links-dateien/wohin-geht-das-christentum-vortrag-cesare-zucconi
Was nährt meine Zuversicht?
Ein fröhliches Herz tut der Gesundheit gut, ein bedrücktes Gemüt lässt die Glieder verdorren.
Sprichwörter 17,22
Glückselig, himmlisch, freudig – diese Begriffe drücken Gefühle von Leichtigkeit aus. Gerade Kinder strahlen oft unbeschwerte Freude, Vertrauen und Zuversicht aus. Oder aber sie heulen vor Schmerz und Leid laut auf. Sie leben meist ganz im Augenblick. Vielleicht stellt Jesus darum auf die Frage seiner Jünger, wer im Himmelreich der Größte sei, ein Kind in die Mitte und spricht: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen. Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“ (Mt 18,3–4)
Auch wenn sich bisweilen bedrohliche Wolken am Himmel meiner Gefühle zeigen, die Zuversicht blickt weiter. Sie weiß, dass auch wieder heitere Zeiten kommen werden.
Wertschätzung erfahren
Resi Kaufmann* lebt schon einige Jahre im Sozialzentrum. Wegen der Infektionsgefahr sind während der Corona-Pandemie keine Besuche möglich. Die Angehörigen halten jetzt Kontakt zu ihr über Videotelefonie und gelegentlich auch durch „Fern-Gespräche“ vom Fenster des Sozialzentrums auf den darunterliegenden Parkplatz. Die Unterhaltung erlebt sie manches Mal tröstlich-vertraut und dann doch wieder enttäuschend-fremd, irgendwie wie abgeschnitten.
Frau Kaufmann kennt die vielen Höhen und Tiefen dieser Zeit des Abgeschnittenseins, auch die Angst, ihre Angehörigen nie mehr umarmen zu können. Nun erzählte mir Frau Kaufmanns Tochter kürzlich von einem Telefonat, bei dem ihre Mutter das Gespräch plötzlich beendete: „Jetzt muss ich Schluss machen. Josef kommt gerade, um mit mir Karten zu spielen.“ Die Tonlage der Stimme hatte sich auf einmal positiv verändert. Der persönliche Kontakt und die dadurch zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung erfüllte ihre Mutter plötzlich mit neuer Energie, schenkte ihr eine neue, hoffnungsfrohe Perspektive. Vielleicht steckte ja auch etwas Verliebtheit dahinter?
Wertschätzung ist jedenfalls Balsam gegen die Erfahrung der Isolation. In den Zeiten der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie haben viele die Erfahrung gemacht, dass diese Maßnahmen nicht nur das Virus isoliert haben, sondern weit mehr noch die Menschen. Wertschätzung ist eine Brücke zu neuem Lebensmut. Wohl jeder Mensch wünscht sich einen Partner, eine Partnerin, sei es zum Kartenspiel oder zu einem anderen gemeinsamen Vergnügen. Das kann viel Leid ersparen und tausend Momente der Freude schenken. So meint auch der Gehirnforscher Joachim Bauer: „Nichts