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Die tanzenden Männchen. Arthur Conan DoyleЧитать онлайн книгу.

Die tanzenden Männchen - Arthur Conan Doyle


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nicht rasiert – kommt, um meine Dienste in Anspruch zu nehmen.«

      Unser Besucher bekam nach dem kleinen Imbiß wieder glänzende Augen und rote Wangen. Nachdem er sich in Positur gesetzt hatte, begann er seine Schilderung des Vorfalles.

      »Zuerst muß ich Ihnen mitteilen, meine Herren, daß die Klosterschule eine Vorbereitungsanstalt ist, die ich gegründet habe, und der ich nun vorstehe. ›Huxtables Commentar des Horaz‹ wird Ihnen von früher vielleicht noch bekannt sein. Die Klosterschule ist bei weitem das beste und vornehmste Vorbereitungsinstitut in England. Lord Leverstoke, der Graf von Blackwater, der Baron Soames haben mir alle ihre Söhne anvertraut. Aber als mir vor drei Wochen der Herzog von Holdernesse seinen Sekretär Herrn James Wilder schickte, um mit mir über die Aufnahme des jungen zehnjährigen Lord Saltire, seines einzigen Sohnes und Erben, verhandeln zu lassen, glaubte ich mit meiner Schule auf der Höhe des Ruhmes angelangt zu sein. Ich ahnte nicht, daß es das Vorspiel zu meinem größten Unheil sein sollte.

      »Am ersten Mai, dem Anfang des Sommerhalbjahrs, kam der Knabe an. Er war ein reizender Junge und gewöhnte sich schnell ein. Ich will Ihnen nicht verschweigen – ich glaube mich dadurch keiner Indiskretion schuldig zu machen, und Mangel an Zutrauen ist in einem solchen Falle sehr verkehrt – daß er sich zu Hause nicht recht wohl fühlte. Es ist ein offenes Geheimnis, daß der Herzog mit seiner Gemahlin nicht glücklich gelebt hat und die Ehe mit beiderseitiger Einwilligung geschieden worden ist, worauf die Herzogin in Südfrankreich ihren Wohnsitz genommen hat. Diese Trennung ist vor noch nicht langer Zeit erfolgt, und der Junge hing sehr an seiner Mutter. Er wurde nach ihrer Abreise ganz melancholisch und träumerisch, und aus diesem Grunde wünschte der Herzog, sein Kind in meine Obhut zu geben. Nach vierzehn Tagen war der Junge bei uns denn auch schon wie zu Hause und augenscheinlich vollkommen zufrieden.

      »Zum letzten Male sahen wir ihn in der Nacht zum dreizehnten Mai – also in der vergangenen Montagsnacht. Sein Zimmer lag im zweiten Stock und grenzte an ein anderes größeres Zimmer, wo zwei Jungen schliefen. Dieselben haben jedoch nichts gehört und gesehen. Daraus geht sicher hervor, daß der junge Saltire nicht auf dem richtigen Weg an jener Kammer vorbeigekommen ist. In seinem Schlafzimmer stand aber das Fenster offen, und darunter ist ein starker Efeustamm. Wenn wir auch am Boden keine Fußspuren finden konnten, so ist doch klar, daß er nur auf diesem Wege ins Freie gelangt sein kann.

      »Sein Fehlen wurde am Dienstagmorgen um sieben Uhr bemerkt. Sein Bett war benutzt worden. Er hatte sich vor dem Gehen vollständig angezogen, und zwar seine gewöhnlichen Schulkleider, eine blaue Jacke und dunkelgrüne Hosen. Im Zimmer war keine Spur von einer zweiten Person zu finden, außerdem würde Schreien, wie überhaupt jeder stärkere Lärm in dem Nebenzimmer gehört worden sein, denn der ältere der beiden darin schlafenden Knaben schläft nur sehr leicht.

      »Als mir das Verschwinden des jungen Lord gemeldet worden war, versammelte ich sofort sämtliche Schüler, Lehrer und Diener, um über die Sache zu beraten. Wir kamen dabei zu dem Schluß, daß Lord Saltire nicht allein geflohen sein könne. Herr Heidegger, der den Unterricht im Deutschen erteilte, wurde gleichfalls vermißt. Sein Zimmer lag ebenfalls in der ersten Etage, am Ende des Hauses, und mündete auf denselben Flur. Er hatte auch im Bett gelegen, war aber offenbar nur notdürftig bekleidet weggegangen, weil sein Hemd und seine Strümpfe noch auf dem Boden lagen. Er hatte sich zweifellos an dem Efeu hinuntergelassen, denn wir konnten unten auf dem Rasen seine Spuren sehen. Sein Rad, das er in einem kleinen Schuppen in der Nähe aufbewahrte, war auch fort.

      »Er war zwei Jahre bei mir in Stellung und mit den besten Empfehlungen gekommen; aber er war ein mürrischer, verschlossener Mann, weder bei seinen Kollegen, noch bei seinen Schülern sehr beliebt. Von den Flüchtlingen war keine Spur zu sehen, und heute am Donnerstag morgen wissen wir noch ebenso wenig wie wir am Dienstag wußten. In Holdernesse Hall wurde natürlich sofort angefragt. Es liegt nur wenige Meilen von Mackleton entfernt, und wir glaubten, daß der Junge in einer plötzlichen Anwandelung von Heimweh nach Hause zu seinem Vater gelaufen wäre; aber kein Mensch hatte dort etwas von ihm gesehen oder gehört. Der Herzog ist aufs höchste erregt – und was mich anbelangt, so sind Sie ja eben selbst Zeuge meines Zustandes gewesen und haben gesehen, wie nervös und hinfällig ich infolge der Aufregung und der schweren Verantwortung geworden bin. Wenn Sie je Ihre ganze Kraft einsetzen, so flehe ich Sie an, es jetzt zu tun, denn einen lohnenderen Fall werden Sie kaum im Leben wieder bekommen.«

      Holmes hatte den Bericht des unglücklichen Schulmannes mit äußerster Spannung angehört. Die tiefen Falten auf seiner Stirne zeigten, daß es keiner besonderen Mahnung bedurfte, um seine ganze Aufmerksamkeit auf ein Problem zu konzentrieren, das, abgesehen von dem großen materiellen Interesse, so recht seiner Vorliebe für das Verwickelte und Außergewöhnliche entsprach. Er nahm sein Taschenbuch heraus und machte sich ein paar Notizen.

      »Es war ein großer Fehler, daß Sie nicht eher zu mir gekommen sind,« sagte er dann in strengem Ton. »Die Aufklärung wird dadurch bedeutend schwieriger für mich. Es müßte zum Beispiel sonderbar zugehen, wenn der Efeu und der Rasenplatz einem erfahrenen Beobachter keinen Anhaltspunkt liefern sollte.«

      »Mich trifft keine Schuld, Herr Holmes. Seine Hoheit wünschte durchaus, jeden öffentlichen Skandal zu vermeiden. Er fürchtete, daß seine unglücklichen Familienverhältnisse dadurch an den Tag kämen; und davor hatte er eine große Scheu.«

      »Aber offiziell ist doch wohl eine Untersuchung eingeleitet?«

      »Allerdings. Sie hat aber zu keinem Ergebnis geführt. Es fand sich gleich eine Spur. Wir erhielten alsbald die Nachricht, daß auf einer benachbarten Bahnstation ein Knabe und ein jüngerer Herr, die einen Frühzug benützt hätten, gesehen worden seien. Und vergangene Nacht wurde gemeldet, daß die beiden in Liverpool aufgetaucht seien, aber mit unserer Sache gar nicht in Beziehung ständen. Nach einer schlaflosen Nacht bin ich in meiner Verzweiflung und Bedrängnis mit dem ersten Zug schnurstracks zu Ihnen gefahren.«

      »Ich vermute, daß man die falsche Spur verfolgt und darüber die örtliche Untersuchung vernachlässigt hat?«

      »Ja, diese hat man vollständig außer acht gelassen.«

      »Auf diese Weise hat man drei Tage verloren. Die ganze Sache ist furchtbar verkehrt angefaßt worden.«

      »Das fühle ich auch und gebe es unumwunden zu.«

      »Und doch müßte sich das Problem lösen lassen. Ich freue mich, bald einen näheren Einblick in die Angelegenheit tun zu können. Haben Sie irgend einen Zusammenhang zwischen dem fehlenden Schüler und dem deutschen Lehrer herstellen können?«

      »Absolut nicht.«

      »War der Junge in der Klasse dieses Lehrers?«

      »Nein; meines Wissens haben die beiden kein Wort miteinander gewechselt.«

      »Das ist allerdings sehr sonderbar. Hatte der Knabe ein Fahrrad?«

      »Nein.«

      »Fehlte sonst irgend ein Rad?«

      »Nein.«

      »Wissen Sie das genau?«

      »Jawohl.«

      »Nun, Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, daß der deutsche Lehrer im Dunkel der Nacht davongefahren ist und den Jungen im Arm gehabt hat?«

      »Gewiß nicht.«

      »Wie denken Sie sich denn die ganze Sache?«

      »Vielleicht hat er das Rad nur zum Schein mit weggenommen, es dann irgendwo verborgen und ist doch mit dem Knaben zu Fuß fortgegangen.«

      »Das ist nicht unmöglich; freilich wäre es immerhin eine eigentümliche Art der Täuschung, nicht wahr? Standen noch mehr Fahrräder in dem Schuppen?«

      »Verschiedene.«

      »Sollte er dann nicht lieber zwei versteckt haben, wenn er glauben machen wollte, sie seien per Rad entflohen?«

      »Man sollte es wohl annehmen.«

      »Natürlich würde er das getan haben. Die Theorie, daß er dadurch eine Irreführung beabsichtigt habe, stimmt also nicht. Außerdem ist ein Rad kein Gegenstand, der sich so


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