Maigret macht Ferien. Georges SimenonЧитать онлайн книгу.
»Meiner Meinung nach verfahren Sie eher im Sinne Bergsons …«
Andere, wie Lourceau und mehrere der hier Anwesenden, begnügten sich damit, mit eigenen Augen festzustellen, wie ein Kommissar der Kriminalpolizei so aussieht.
»Und die vielen Mörder, denen Sie begegnet sind …«
Wieder andere waren schließlich einfach nur stolz, einem Mann die Hand zu schütteln, dessen Foto regelmäßig in der Zeitung erschien.
Nichts davon traf auf Bellamy zu. Der Doktor hielt Maigret in gewisser Weise für ebenbürtig. Er schien ihn als seinesgleichen zu akzeptieren, wenn auch auf einem anderen Spielfeld.
Seine Neugier war ein Ausdruck von Anerkennung und Respekt.
»Halb fünf, Doktor«, bemerkte einer der Mitspieler.
»Richtig … Ich weiß …«
Er zeigte sich unempfindlich gegen Ironie. Vermutlich wusste er von seinem Ruf als übereifriger Ehemann, schämte sich dessen aber keineswegs. Seelenruhig begab er sich zur Telefonkabine. Maigret sah durch die Glasscheibe sein markantes Profil und verspürte immer mehr das Verlangen, mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Nur wie? Es war fast so heikel wie bei den Schwestern. Abwarten, bis der Doktor aufbrach, ihm bis zur Tür folgen und dann sagen:
»Gestatten Sie, dass ich Sie ein paar Schritte begleite?«
Kindisch. Aber ebenso kindisch wäre es, einen solchen Mann um eine ärztliche Untersuchung zu bitten.
Maigret war inzwischen Teil dieser eingeschworenen Runde, ohne tatsächlich dazuzugehören. Man hatte sich daran gewöhnt, ihn an seinem Platz zu sehen. Hin und wieder zeigte ihm einer der Bridgespieler sein Blatt, oder jemand fragte ihn:
»Langweilen Sie sich nicht allzu sehr in Les Sables?«
Trotzdem blieb er ein Gast. So etwas wie ein Externer in einem Internat.
»Geht es Ihrer Frau besser?«
Hatte Doktor Bellamy ihn überhaupt schon einmal angesprochen? Er konnte sich nicht erinnern.
Er hatte genug von diesen Ferien, die ihn aus dem Gleichgewicht brachten und mitunter der Lächerlichkeit preisgaben. Selbst Mansuy, der hier seine Jagdgründe hatte und sich anschließend wieder in seinem Kommissariat einfinden würde, besaß mehr Selbstvertrauen als er.
Nur weil ein junges Ding gestorben war und eine Ordensschwester mit dem Gesicht einer Heiligen ihm einen Zettel zugesteckt hatte, war es nun so weit gekommen, dass er um Doktor Bellamy herumschlich wie ein unbeliebter Schüler um den Klassenprimus.
»Noch einen Weißwein, bitte …«
Er wollte sich dem Doktor nicht länger zuwenden. Das wurde allzu auffällig. Bellamy hatte ihn sicher schon durchschaut und erkannt, wie schüchtern er war. Womöglich machte er sich über ihn lustig.
Der Doktor hatte sein Spiel beendet, stand auf und nahm seinen Hut vom Ständer.
»Guten Abend, Messieurs …«
Er sagte nicht »bis morgen«, denn am nächsten Tag fand die Beerdigung statt.
Er wollte das Lokal verlassen, ging an Maigret vorbei. Nein, er blieb einen Augenblick stehen.
»Wollten Sie auch gerade aufbrechen, Monsieur Maigret?«
»Ich war tatsächlich im Begriff …«
»Wenn Sie in dieselbe Richtung gehen wie ich …«
Es war merkwürdig. Er war herzlich, doch blieb seine Herzlichkeit kalt und abweisend.
Zum ersten Mal seit langer Zeit, ja vielleicht in seinem ganzen Leben, hatte Maigret den Eindruck, dass ein anderer die Zügel in der Hand hielt und ihn führte, wohin er wollte.
Dennoch folgte er ihm. Kommissar Mansuy hatte die Szene mit einiger Verwunderung beobachtet.
Gelassen wie immer, selbstbeherrscht und ohne einen Anflug von Ironie, hielt ihm Bellamy die Tür auf. Vor ihnen lag der Strand, an dem sich die Kinder und ihre Mütter tummelten. Die Bademützen der Schwimmer waren leuchtende Tupfer im Meeresblau.
»Sie wissen sicherlich, wo ich wohne?«
»Man hat mich schon auf Ihr Haus aufmerksam gemacht. Sehr eindrucksvoll.«
»Würden Sie es gern von innen sehen?«
Das kam so unvermittelt, so unerwartet, dass es Maigret kurz aus der Fassung brachte. Während der Doktor mit einem goldenen Feuerzeug seine Zigarette anzündete – und dabei konnte man seine schönen und äußerst gepflegten Hände bewundern –, sagte er beiläufig:
»Ich meine doch, dass Sie mich gern kennenlernen möchten.«
»Man hat mir viel von Ihnen erzählt.«
»Man spricht seit zwei Tagen viel von mir.«
Es störte ihn nicht, dass Maigret schwieg. Er hatte nicht das Bedürfnis, die Stille mit Plaudereien auszufüllen. Sein Gang war der eines jungen Mannes. Man grüßte ihn, und er erwiderte den Gruß und zog den Hut. Seine ausgesuchte Höflichkeit galt ebenso der Marktfrau in hiesiger Tracht wie der aristokratischen Witwe, die im offenen Wagen mit einem Chauffeur in Livree vorüberfuhr.
»Früher oder später wären Sie ohnehin gekommen, nicht wahr?«
Das konnte vieles bedeuten. Vielleicht ganz einfach, dass es Maigret irgendwann gelungen wäre, sich eine Einladung ins Haus des Doktors zu verschaffen.
»Ich verabscheue es, Zeit zu verlieren, und zweideutige Situationen sind mir ein Gräuel. Glauben Sie, dass ich meine Schwägerin umgebracht habe?«
Maigret musste sich gewaltig anstrengen, um mit diesem Mann Schritt zu halten, der ihm in der Hitze der Nachmittagssonne, inmitten einer trägen Schar Urlauber, eine so direkte Frage stellte.
Weder lächelte er, noch widersetzte er sich. Nur wenige Sekunden vergingen, bis er darauf antwortete, und zwar ebenso unumwunden wie der Doktor.
»Vorgestern Abend«, sagte er, »wusste ich noch nicht, dass sie sterben würde, und auch nicht, dass sie Ihre Schwägerin ist, und trotzdem habe ich mich schon für sie interessiert.«
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