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Der Erzähler Rudolf Steiner. Ulrich KaiserЧитать онлайн книгу.

Der Erzähler Rudolf Steiner - Ulrich Kaiser


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Sinne Steiners sind demgemäß nicht-sinnlich gemeinte begriffliche, symbolische oder narrative Aussagen zu verstehen. Nun scheint es aber Unterschiede zu geben, je nachdem, welche Ausdrucksform im Vordergrund steht.

      Vom Januar bis zum Mai 1904 veröffentlicht Steiner in seiner theosophischen Zeitschrift »Luzifer-Gnosis« Schriften aus dem Nachlass des Philosophen Paul Asmus (1843–1876), die er von dessen Schwester Martha Asmus (1844–1909) erhalten hatte.50 Steiner war mit Martha Asmus gut befreundet. Beide nahmen Leitungsfunktionen im Giordano Bruno-Bund wahr und sie gehörte zu den wenigen, die Steiner auch nach jenem denkwürdigen kontroversen Vortrag, in dem er die scholastische Philosophie als Monismus darstellte – den Atheismus seines Umfeldes also mit der Philosophie der katholischen Kirche in Verbindung brachte – in Schutz nahmen.51 Die Texte des idealistischen Philosophen Paul Asmus nun erschienen genau in dem Zeitraum in Steiners Haus-Zeitschrift, in dem er seine ersten theosophischen Vorträge zu esoterischen Themen wie »Atlantis« und »Akasha-Chronik« gehalten hatte und kurz bevor er darüber in der Zeitschrift in großen Teilen in narrativem Stil zu publizieren begann.

      Steiner legte seinem theosophischen Publikum die Schriften dieses Philosophen sehr ans Herz, weil das von ihm praktizierte Denken nicht nur Grundlage spiritueller Erkenntnis sei, sondern vor allem auch zwei typische theosophische Gefahren vermeiden helfe:

      »Solches Denken allein kann innere, selbstsichere Festigkeit und Forschergewissheit geben, die den Theosophen zwischen der Skylla einer nebelhaften Schwärmerei und der Charybdis eines blinden Dogmenglaubens hindurchleiten in die hellen Lichthallen der Weisheit« (GA 34, 492).

      Mit dem hehren Pathos auf die bestimmt von allen Theosophen angestrebten »Lichthallen der Weisheit« verbindet sich der pragmatisch-aufklärerische Duktus Steiners, der an die eigenständige und selbstständige Erkenntnis appelliert, vor Gefahren der »nebelhaften Schwärmerei« und des »blinden Dogmenglaubens« warnt und eine bodenständige Arbeitshaltung empfiehlt:

      »Heute fordert das Denken Bequemlichkeit, und zum Verstehen von Paul Asmus’ Ideen ist volle arbeitende Hingabe erforderlich. Doch der Theosoph weiß, dass nicht die Forschung sich nach dem Menschen, sondern der Mensch sich nach der Forschung zu richten habe, und dass nur volle Hingabe an ihre Forderungen zur Erkenntnis führen kann« (ebd., 489, Hervorhebungen im Original).

      Steiner führt das abstrakte, kritische, begriffliche Denken sogar drastisch als eine notwendige Bedingung für Theosophie an:

      »Wer dazu nicht gelangen kann, bleibt entweder in den Fesseln einer trüben Mystik hängen, […]; oder aber er muss sich mit einem bloßen Glauben an die theosophischen Dogmen begnügen.« (ebd., 492, Hervorhebungen im Original)

      Die »Forderung nach Erkenntnis« wird angesichts der ganz anders wirkenden Inhalte, die neben diesen philosophischen Texten noch in der Zeitschrift stehen, vor eine Probe gestellt. Wie verhält sie sich gegenüber »Mitteilungen« über »Unsere atlantischen Vorfahren«, die weitgehend narrativ gehalten sind und die um 1900 naturwissenschaftlich noch recht unscharf bekannte Vorgeschichte in einer ganz eigenen Bilderwelt und Terminologie vorstellen? Angesichts der publizistischen Vorgehensweise Steiners entsteht der Eindruck, begriffliche und narrative Darstellungsweisen sollen sich gegenseitig ergänzen oder »durchwachsen«. Steiner baut offenbar auf ein Wechselverhältnis.

      Martha Asmus, die kritische Denkerin, hat Steiners Veröffentlichungen ab Juni 1904 wohl kaum noch verfolgt. Aber sie dankt ihm sehr bald (am 6. Februar 1904) lebhaft dafür, dass er sich ihres Bruders Werk in der Zeitschrift »Luzifer-Gnosis« angenommen hat. Und der Dank ist ihr Anlass, kritisch auf die Diskrepanz hinzuweisen, die ihr zwischen dem philosophischen Duktus ihres Bruders und dem übrigen Inhalt der Zeitschrift (vorwiegend aus Steiners Feder) auffällt. Es ist die symbolische Ausdrucksweise, an der sie sich stößt und die sie auch im Widerspruch zu dem sieht, was sie von Steiner sonst kennt. Sie erinnert an ein Gespräch, das sie beide während einer Bahnfahrt über die maßgeblichen Frauen der Theosophischen Gesellschaft, Elena Petrowna Blavatsky (1831–1891) und Annie Besant (1847–1933) gehabt hatten, in dem es um deren symbolische Ausdrucksweise gegangen war. Steiner hatte diese Ausdrucksweise nach Asmus’ Worten damals so erklärt, dass »diese Frauen alle solche Lehren, die gegen die Wissenschaft stritten … als Symbole ihrer Vernunft-Erlebnisse der Masse darböten, der die Mysterien nicht anders zugänglich werden können.«52

      Symbolische Ausdrucksweisen wären demnach strenge Begriffe fürs Volk.53 Dem widerspreche allerdings Steiners eigene Position, wie Asmus sie aus Vorträgen Steiners kannte, in der dieser unter anderem Buddha und Christus als »große Initiatoren« dargestellt hatte: »Danach war es die Mission dieser Initiatoren, die esoterischen Lehren den Exoterikern zu bringen und so die Weisheit unsymbolisiert zu verbreiten.«

      Die Symbolisierung hat demnach etwas Verschleierndes, die unsymbolisierte Form einen aufklärerischen Duktus. Diesen vermisst Asmus aber jetzt bei Steiner, nachdem er sich offensichtlich der Linie von Blavatsky und Besant angeschlossen hat. Deshalb mündet ihr Brief in die beiden Fragen:

      »Haben Ihr Denken [=Begriffe, Begriffssprache, U.K.] und Ihre Lehre [=Dogmen, symbolische Ausdrucksweise, U.K.] verschiedene Formen? Und wenn es so ist, wann wird das symbolische Gewand fallen?«

      Die beiden Fragen formulieren in aller Deutlichkeit zwei Probleme bzw. eine innere Spannung, der sich Steiner offensichtlich in diesen Jahren nicht entziehen kann. Das eine ist, wie die starke und gezielte »Verbildlichung« (GA 28, 447) der Erkenntnis, die Steiner in jenen Jahren auf unterschiedlichen Ebenen vollzieht, im Verhältnis steht zum begrifflichen Denken. Es betrifft die symbolischen Formen der Darstellung, egal, ob sie nun auf ausgeprägte Metaphorik, Mythologie, figuratives Wissen oder performative Handlungen und Rituale zurückgreift. Das andere ist die Frage der autoritativen Geltung bei diesem Wissenstyp theosophischer Aussagen, zu denen eben auch die theosophischen Atlantis-Darstellungen gehören.

      Die symbolischen Formen bei Blavatsky und Besant wertet Asmus negativ als eine Verschleierung, während sie Steiner als Möglichkeit oder Chance der Mitteilung an »die Masse« beim Gespräch im Bahnabteil angesehen haben wird. Formuliert Asmus einen unaufhebbaren Widerspruch zwischen »Denken« und »symbolischem Gewand«, lässt sich Steiner auf deren Spannung wie auf einen immanenten Widerspruch, eine unvermeidbare Beziehung ein, die nur angemessen gehandhabt werden müsse. Wie Steiner an seiner Einschätzung von Goethes »Märchen« deutlich macht (GA 28, 391–393), gehört der bildhafte Ausdruck essenziell zur Darstellung esoterischer Themen. Aber er ersetzt das Denken in Begriffen nicht, verwandelt es allenfalls und setzt es immer voraus.

      Das symbolische Gewand, so füge ich hinzu, kann nur durchsichtiger werden, aber nicht fallen, weil es mit seinem »Träger« eine Einheit bildet. Deshalb kann, um Martha Asmus’ treffende Frage zu modifizieren, das symbolische Gewand nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt fallen, es muss gewissermaßen permanent fallen. Es fällt immer dann, wenn die Figur in Bewegung ist. Es ist das Fallen des Kleides, die Bewegung der Falten, das Changieren des Stoffes, was die Erkenntnis ermöglicht, nicht aber das Gefallen-Sein. Nur der Moment des Fallens ist der der Erkenntnis. Und Erkenntnis wird, als Kultivierung des Fallens, zur Bewegungskunst, wenn Anschauen des Kleides und Bewegen des Kleides – zusammen fallen.54 Wie ist das genauer zu denken?

      Nur einige Monate nach dem besprochenen Brief holt Steiner die vermutlich versäumte Antwort auf die Frage von Martha Asmus an anderer Stelle nach. In einer »privaten Lehrstunde« in Berlin-Schlachtensee vom 7. Juli 1904 schließt er an eine esoterische Betrachtung zu den drei (symbolisch-mythologisch zu verstehenden) Elementen Feuer, Luft und Wasser und den Begriffen des Seins, des Lebens und des Bewusstseins eine kleine Methodologie der theosophischen Dogmatik an, die wie eine systematisch entwickelte Antwort auf die Frage von Martha Asmus wirkt.

      Zugleich macht er an dieser Stelle deutlicher,


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