Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
eigentlich, ich frage Chris, ob er mich begleiten will«, antwortete sie.
Er dachte darüber nach und nickte dann. »Du hast Recht, wahrscheinlich wäre es gut.«
»Ich rede heute Abend mit ihm«, sagte sie. »Jetzt fahre ich zu Gräfin von Thun, sie will einen Wohltätigkeitsball veranstalten, hat aber keine Ahnung, was dabei zu beachten ist. Sie braucht Hilfe, hat sie gesagt.«
»Wird dir das nicht allmählich zu viel, Sofia? Deine zahlreichen ehrenamtlichen Verpflichtungen … Ich habe manchmal Angst, dass du dich übernimmst.«
Sie küsste ihn noch einmal, jetzt war ihr Lächeln traurig. »Ich übernehme mich gewiss nicht, Fritz. Du weißt, wenn ich nichts zu tun habe, kommen nur die traurigen Gedanken, und das ist schlimmer als zu viel Arbeit.«
Er stand auf, um sie in die Arme zu schließen. Sie legte den Kopf an seine Brust und schloss die Augen. »Manchmal geht es besser, manchmal schlechter«, sagte sie leise. »Im Augenblick ist es eher wieder schwierig.«
»Ich weiß«, sagte er leise. »Ich spüre das schon seit einiger Zeit. Es geht nicht nur dir so, Sofia.«
Sie löste sich von ihm, strich ihm liebevoll über die Wange und verließ sein Büro. Gleich darauf hörte er sie wegfahren.
Sie lebten jetzt seit über zehn Jahren auf Schloss Sternberg. Damals hatte Sofias Schwester, Fürstin Elisabeth von Sternberg, gefragt, ob sie sich einen Umzug ins Schloss vorstellen könnten. Die Ärzte hatten dem Fürstenpaar eröffnet, dass es nach dem Erstgeborenen Prinz Christian keine weiteren Kinder bekommen werde. Und so schien es eine gute Lösung zu sein, Sofia und Friedrich mit ihren beiden Kindern nach Sternberg zu holen. Anna war damals drei gewesen, Konrad sechs, Christian fünf Jahre alt.
Die beiden jungen Familien hatten unbeschwerte, glückliche Jahre zusammen verlebt, die Kinder waren wie Geschwister aufgewachsen, und vor allem Anna und Christian waren darüber hinaus enge Freunde geworden. So wie auch ihre Mütter von klein auf enge Freundinnen gewesen waren.
Bis dann Elisabeth und Leopold im letzten Jahr bei einem furchtbaren Unfall beide ums Leben gekommen waren. Seitdem war Christian Vollwaise, Sofia hatte mit ihrer Schwester ihre engste Vertraute verloren, er selbst mit seinem Schwager einen guten Freund, Anna und Christian zwei Menschen, die ihnen fast so nahe standen wie ihre Eltern. Sie alle waren vor Trauer wie gelähmt gewesen. Die Unbeschwertheit auf Sternberg hatte ein jähes Ende gefunden.
Friedrich dachte an seinen Neffen Christian, der auch ›der kleine Fürst‹ genannt wurde. Diesen Namen hatte er von den Leuten in der Umgebung schon als kleiner Junge bekommen. Fürst Leopold, der stolze Vater, hatte seinen damals vielleicht zweijährigen Sohn bereits mit auf seine Reisen genommen, und da Leopold sehr groß gewesen war, hatte es wohl nahe gelegen, das ungleiche Paar ›der große und der kleine Fürst‹ zu nennen. Seit dem Tod seiner Eltern trug der kleine Fürst nun die Last, der letzte Nachkomme der Familie zu sein. Von ihm hing die weitere Zukunft des Hauses ab.
Mit dem Tag seiner Volljährigkeit freilich würde es keinen kleinen Fürsten mehr geben, denn mit achtzehn Jahren wurde Christian der nächste Fürst von Sternberg. Drei Jahre blieben ihm noch bis dahin, aber der Verantwortung, die er zukünftig zu tragen hatte, war er sich bereits jetzt bewusst.
Zaghaft war das Leben im Laufe des vergangenen Jahres ins Schloss zurückgekehrt, die Familie hatte sich wieder gefangen, aber so, wie es gewesen war, würde es nie mehr sein, das wussten sie. Dennoch wurde heute auf Sternberg wieder gelacht, und wer von außen auf die Familie blickte, sah nicht, wie tief die Wunden waren, die jener furchtbare Unfall jedem einzelnen von ihnen geschlagen hatte.
Friedrich seufzte. Es war, wie Sofia gesagt hatte: Es gab Tage, an denen, was geschehen war, plötzlich wieder lebendig wurde, sodass die üblichen Verdrängungsmechanismen nichts nützten. Dann musste man sich den Erinnerungen stellen, alles andere machte es nur schlimmer. Manchmal aber half die Arbeit, und so war es heute: Er war direkt froh, als der Verwalter Volker von Hagen sein Büro betrat und ihm mit besorgter Miene Probleme vortrug, die sich unerwartet im Gestüt aufgetan hatten.
Diese Probleme verlangten sofortige Entscheidungen, und das rettete den Baron. Wer entscheiden musste, konnte nicht gleichzeitig trauern oder sich Sorgen um die Familie machen. Entscheidungen konnte man nur fällen, wenn man voll konzentriert bei der Sache war, und dazu zwang er sich jetzt.
Die Probleme waren ärgerlich, dennoch widmete er sich ihnen heute direkt mit Freude.
*
»Sie hat dir zugewinkt«, sagte Moritz in heller Aufregung, »ich habe es genau gesehen, Felix.«
Felix drehte sich um. Es passte ihm nicht, dass Moritz ihn ausgerechnet in dieser Situation überrascht hatte. Ja, Corinna Flemming hatte ihm zugewinkt, wie sie es jeden Morgen tat, seit er sie an jenem Abend nach Hause gefahren hatte. Er sah sie lachen und zu ihm hinauf winken, dann verschwand sie eilig im Gebäude. Mehr als diese wenigen Sekunden jeden Tag gab es nicht, und längst gestand er sich ein, dass er damit nicht mehr zufrieden war. Er wollte sie richtig kennenlernen, mit ihr reden, ihr Fragen stellen, alles über sie erfahren. Und seltsamerweise dachte er nicht an einen Flirt. Vor allem wollte er mit ihr reden. Das war ihm zuvor noch nie passiert.
Er versuchte, sich Moritz gegenüber dumm zu stellen. »Woher willst du wissen, dass sie mich gemeint hat?«
»Willst du mich für blöd verkaufen? Du hast zurückgewinkt!« Jetzt sah Moritz empört aus.
Felix lenkte ein. Was war so schlimm daran, wenn er Moritz erzählte, dass er mittlerweile Corinna Flemmings Bekanntschaft gemacht hatte? Er fasste sich kurz und amüsierte sich insgeheim über das fassungslose Gesicht seines Freundes. »Und das war alles«, schloss er seinen Bericht. »Sie hat mich auf den Arm genommen und gesagt, von jetzt an würde sie mir zuwinken, wenn ich sie beobachte, und sie hält Wort, wie du siehst.«
»Da bahnt sich doch etwas an«, erwiderte Moritz misstrauisch.
»Es ist genau wie vorher«, widersprach Felix. »Nur dass sie jetzt reagiert. Wir haben seit unserer Begegnung neulich kein Wort mehr miteinander gewechselt, das schwöre ich dir.«
Moritz kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. »Irgendwie ist das eine komische Geschichte«, murmelte er. »So eine platonische Beziehung sieht dir nicht ähnlich.«
»Es ist keine platonische Beziehung, es ist überhaupt keine Beziehung«, entgegnete Felix, der sich jetzt ebenfalls setzte. »Außerdem glaube ich, ich ändere mich gerade.«
»Du dich? Nie im Leben. Du jagst den Frauen noch als alter Mann hinterher, darauf könnte ich wetten.«
»Ich nicht«, sagte Felix. »Ich meine es ernst, Moritz. Etwas ändert sich. Ich habe nicht mehr so viel Spaß am Jagen wie früher. Genauer gesagt: Ich habe überhaupt keinen Spaß mehr daran.«
»Das kannst du deiner Großmutter erzählen. Nichts als eine vorübergehende Schwäche.« Aber Moritz’ Blick war aufmerksam geworden. »Sie gefällt dir immer noch, oder? Also willst du doch dasselbe wie immer.«
»Eben nicht«, murmelte Felix. »Ich würde gern mal ausführlich mit ihr reden, das stimmt. Sie interessiert mich, ich möchte wissen, was in ihr vorgeht.« Er sah Moritz direkt an. »Das ist neu, verstehst du?«
Moritz lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und lächelte breit. »Wenn ich nicht wüsste, dass du es bist, der so redet, würde ich sagen: Es hat dich erwischt, Mann. Aber so weit, dass ich das glaube, bin ich noch nicht.«
Ein weiterer Kollege kam heran, woraufhin sie ihr Gespräch umgehend abbrachen. Über Felix waren schon genügend Gerüchte im Umlauf, die musste man nicht noch zusätzlich befeuern.
Im Laufe des Tages ertappte Felix sich mehrmals dabei, wie seine Gedanken davonglitten in den zweiten Stock, wo Corinna arbeitete. Seinen Freund Moritz ertappte er bei prüfenden Blicken.
Vielleicht hätte er doch besser den Mund halten sollen.
*
»Die Unterlagen sind aus Versehen im fünften Stock bei den Serienheinis gelandet«, sagte einer von Corinnas