Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
Baronin Sofia und Christian am Samstagnachmittag ins Schloss zurückkehrten, ging der Junge sofort in sein Zimmer. Wenig später klopfte seine Cousine Anna bei ihm.
»Willst du allein sein oder kann ich reinkommen?«, fragte sie.
Togo, Christians junger Boxer, den ihm Sofia und Friedrich geschenkt hatten, kurz nachdem seine Eltern verunglückt waren, lag vor dem Bett, öffnete die Augen, wedelte einmal mit dem Schwanz und schloss die Augen auch schon wieder.
»Komm rein, Anna«, erwiderte Christian. Er lag auf dem Bett, hatte beide Arme hinter dem Kopf verschränkt und sah zur Decke.
»Wie war’s?«, fragte sie, während sie sich neben ihn setzte.
»Es war gut, dass wir da waren, aber zugleich war es schrecklich. Natürlich ist alles wieder hochgekommen, und zum Schluss haben wir alle drei geweint.«
»Vielleicht war das gut«, sagte Anna.
»Ja, das habe ich hinterher auch gedacht. Sie ist eine tolle Frau, Anna, und sie quält sich immer noch sehr.«
»Waren die Kinder auch da?«
»Nein, sie hatte sie zu einer Nachbarin gebracht, sie hielt es für besser so. Ich war froh darüber, ehrlich gesagt. Das hätte es noch schwerer gemacht. Aber beim nächsten Mal, hat sie gesagt, sollte vielleicht der Junge dabei sein. Sie hat Angst um ihn.«
»Beim nächsten Mal?«, fragte Anna verwundert.
»Wir haben ausgemacht, dass wir wiederkommen. Nicht sobald, aber irgendwann schon. Sie meinte, für den Jungen wäre es auch wichtig. Wegen der Erinnerungen und so. Tante Sofia fand das auch.« Christian machte eine kurze Pause, bevor er hinzusetzte: »Und ich auch.«
»Aber ihr kanntet den Mann doch gar nicht.«
»Aber mein Papa hat manchmal über ihn gesprochen«, erwiderte Christian leise.
»Das wusste ich nicht.«
»Es ist mir auch erst nach und nach wieder eingefallen. Manchmal sind Erinnerungen ja irgendwie … weg, und dann tauchen sie plötzlich wieder auf. So war das. Mir ist vor einiger Zeit eingefallen, dass Papa einiges über ihn gesagt hat. Dass er klug und umsichtig ist und keiner von den Verrückten, die sich freiwillig in Gefahr begeben, um andere zu beeindrucken.« Er stockte, dann sagte er: »War, meine ich. Er war klug und umsichtig.«
»Ihr seid ziemlich lange dort geblieben.«
»Sie wollte den Scheck zuerst nicht nehmen. Sie hat gesagt, dass sie zurechtkommt und dass ihr das Geld am Anfang sehr geholfen hat, aber dass sie es jetzt nicht mehr braucht. Deine Mutter hat dann gesagt, sie soll das Geld für die Ausbildung der Kinder zurücklegen, weil man ja nie weiß, was noch kommt. Da hat sie es dann akzeptiert. Sie hatten ja keine Lebensversicherung abgeschlossen.«
Auch Anna ließ sich jetzt zurückfallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, sodass sie genauso da lag wie Christian. Sie wusste, was in ihm vorging, deshalb schwieg sie jetzt. Auch das war Ausdruck ihrer engen Verbundenheit miteinander: Sie konnten gut zusammen schweigen.
Es war schließlich Christian, der sich aufrichtete und vorschlug: »Lass uns noch mit Togo rausgehen, er ist heute echt zu kurz gekommen.«
Der Boxer brauchte nur seinen Namen zu hören, schon sprang er auf und lief zur Tür. Die beiden Teenager, eben noch in leicht schwermütiger Stimmung, mussten lachen und als sie einige Minuten später draußen im Schlosspark Stöckchen für Togo warfen, verschwand auch der letzte Rest von Traurigkeit.
*
»Wie geht es Ihrer Nichte?«, erkundigte sich Moritz. Er konnte es kaum glauben, dass Miriam Boldt seine zweite Einladung ebenfalls angenommen hatte. Der erste Abend war sehr anregend verlaufen, peinliche Gesprächspausen hatte es nicht gegeben und als er sie später nach Hause gebracht hatte, war ihm klar geworden, dass er auf dem besten Wege war, sich in die Tante seiner zukünftigen Praktikantin zu verlieben. Falls das nicht längst geschehen war.
»Sie sieht immer noch ziemlich mickrig aus, aber seit sie weiß, dass ihr der Praktikumsplatz nicht durch die Lappen geht wegen der Grippe, ist sie deutlich gelassener, das kann ich Ihnen sagen«, erwiderte Miriam Boldt, während sie mit gutem Appetit ihre Vorspeise aß.
Auch das gefiel ihm an ihr: Wie sie genießen konnte. Sie konnte von ihren Lieblingsgerichten ebenso schwärmen wie von Büchern, Filmen oder einer Opernaufführung. Mittlerweile wusste er, dass sie als Freiberuflerin an mehreren Schulen Theatergruppen leitete, mit denen sie Aufführungen erarbeitete – und dass man ihr für diese Arbeit höchstes Lob zollte. Ihre Aufführungen hatten schon mehrere Preise gewonnen, die Schulen rissen sich um sie.
»Ich habe mittlerweile beinahe ein bisschen Angst davor, wenn sie kommt«, gestand Moritz. »Sie wird Ihnen haarklein alles erzählen, und Sie werden mit unserer Betreuung nicht zufrieden sein. Die Vorstellung gefällt mir nicht.«
»Ich bin nicht naiv«, erklärte Miriam gelassen. »Sie macht keine Ausbildung bei Ihnen, sie ist eine billige Arbeitskraft. Dachten Sie, ich wüsste das nicht? Und Annika weiß es auch. Ich will nur, dass sie anständig behandelt wird und die Chance erhält, die Abläufe in einem Sender kennenzulernen und sich ein Bild von der Arbeit in den verschiedensten Bereichen dort zu machen. Und das scheint ja meistens zu klappen, sonst würden nicht so viele Praktikanten versuchen, ein zweites oder sogar drittes Praktikum anzuhängen, oder?«
»Das wissen Sie also auch schon«, seufzte er.
»Natürlich weiß ich das. Wie gesagt, mir liegt viel an Annika, und ich sorge schon dafür, dass sie halbwegs gut informiert ist, wenn sie etwas Neues anfängt. Sie hat auch in einer meiner Theatergruppen gespielt, das war überhaupt nichts für sie. Sie kann nicht spielen, und das wusste sie danach dann auch. Es war eine schmerzliche Erfahrung, die sie aber weitergebracht hat. Bei Ihnen in der Abteilung könnte sie nützlich sein. Sie hat viele Ideen, und sie ist eine gute Beobachterin. Abgesehen davon, dass sie natürlich eine ziemlich typische Achtzehnjährige ist.«
»Mit einer außergewöhnlichen Patentante«, stellte Moritz fest.
Miriam legte den Kopf schief. »Verlieben Sie sich besser nicht in mich«, sagte sie in sachlichem Tonfall.
»Wie kommen Sie darauf, dass das passieren könnte?« Er fühlte sich ertappt, wollte das jedoch auf keinen Fall zugeben.
»Ich hatte den Eindruck, Sie könnten in Gefahr geraten«, erklärte sie ohne die geringste Verlegenheit. »Wenn ich mich geirrt habe, umso besser.«
»Was wäre denn so schlimm daran, wenn ich es täte?«
»Ich bin eine Chaotin, ich bin unzuverlässig, halte es nie lange an einem Ort aus, bin praktisch mit meiner Arbeit verheiratet. Meine bisherigen Beziehungen waren allesamt blanke Katastrophen, und das hat an mir gelegen, nicht an den Männern, glaube ich.«
»Ach«, sagte Moritz nachdenklich, »so unzuverlässig kann eine Frau, die sich dermaßen für ihre Nichte engagiert, eigentlich nicht sein. Und eine Frau, die Preise für ihre Arbeit gewinnt, kann auch nicht so furchtbar chaotisch sein. Und was die Beziehungen angeht: Zeigen Sie mir einen Menschen, der in dieser Hinsicht noch keine Katastrophen erlebt hat.«
Sie blieb stumm, zum ersten Mal fiel ihr offenbar keine Erwiderung ein. Er nahm all seinen Mut zusammen und griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. »Außerdem fürchte ich, dass Ihre Warnung zu spät kommt«, sagte er und schob nach einer kurzen, wirkungsvollen Pause hinterher: »Sie wäre schon bei unserer ersten Begegnung zu spät gekommen, glaube ich.«
Nun hatte er sie doch in Verlegenheit gebracht. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gestand sie. »Ehrlich, Sie machen mich sprachlos.«
»Das ist zur Abwechslung auch mal ganz nett«, erwiderte Moritz.
Ihre Verlegenheit löste sich in einem befreiten Lachen auf, bei dem sie ihre Hand nicht zurück zog. Und das war das Wichtigste.
*
»Was willst du?«, fragte Corinna abweisend, als sie Felix neben ihrem Wagen stehen sah.