150. Die fälsche Braut. Barbara CartlandЧитать онлайн книгу.
hatten - völlig unerkannt in London oder in den Wäldern rings um Wroth. Doch wie sich jetzt herausgestellt hatte, waren sie viel zu sorglos und leichtsinnig vorgegangen. Und vor allem - in der Zukunft konnten sie nicht umsichtig und vorsichtig genug sein.
Sir Rupert entschied, daß er zunächst nach Wroth fahren würde. Damit konnte er nichts falsch machen, auch dann nicht, wenn man berücksichtigte, daß der Besitz der Talmadges an den seinen angrenzte. Dort angekommen, mußte er versuchen, ein unauffälliges Treffen mit Clementine zu arrangieren.
Wenn er London noch in dieser Nacht verließ, würde er zum Frühstück auf Wroth sein. Dann konnte man weitersehen.
Er betrat sein Haus am Berkeley Square, reichte dem Butler Umhang und Hut und begann mit ruhiger und beherrschter Stimme seine Anweisungen zu geben.
»Von einem alten Freund der Familie, der ebenfalls auf dem Empfang war, hörte ich, daß es meiner Großmutter gar nicht gut geht«, fügte er dann hinzu. »Ich nehme an, sie wird verboten haben, mich von ihrem schlechten Gesundheitszustand zu unterrichten. Sie glaubt bestimmt, meine Aufgaben im Parlament ließen mir keine Zeit zu einem Krankenbesuch. Aber ich werde natürlich unverzüglich nach Wroth aufbrechen.«
»Sehr wohl, Sir Ruprecht«, erwiderte der Butler. »Darf ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß es sich bei der Nachricht um einen falschen Alarm handelt und Sie Ihre Ladyschaft bei bester Gesundheit antreffen werden.«
»Gebe Gott, daß Sie recht haben«, sagte Sir Rupert und ging in die Bibliothek.
Die Ausrede dürfte einigermaßen brauchbar sein, dachte er auf dem Weg dorthin.
Sie war die einzige Möglichkeit, den lästigen Fragen fürs Erste einmal den Mund zu stopfen, denn gewiß würden morgen früh alle sein Stadthaus stürmen und wissen wollen, wohin er gefahren sei.
Sir Rupert ging auf einen Tisch zu, der zwischen zwei Fenstern stand und auf dem eine Reihe von Flaschen aufgebaut waren. Geistesabwesend goß er sich ein Glas Wein ein. Er hatte das Gefühl, etwas trinken zu müssen, doch als er das Glas an die Lippen setzte, stellte er fest, daß er eigentlich gar nicht durstig war. Seine Probleme nahmen ihn zu stark in Anspruch.
Immer wieder kreisten seine Gedanken um die Frage, wie er jetzt auf die Schnelle ein passendes Mädchen finden sollte, das er heiraten konnte. Und wo sollte er sie finden? Er kannte viele schöne Frauen, aber nicht eine einzige befand sich darunter, die im heiratsfähigen Alter war und sich vor allein für eine Heirat eignete.
Er seufzte und setzte das Weinglas nieder.
Vielleicht wußte Clementine Rat.
Vielleicht konnte sie ihm behilflich sein, eine Frau zu finden. Denn so albern würde sie ja wohl nicht sein, ihm eine Eifersuchtsszene zu machen und von ihm zu verlangen, die Weisung oder - noch genauer - den Befehl der Königin in den Wind zu schlagen. Nein, das konnte er sich eigentlich nicht vorstellen.
Clementine war eine vernünftige Frau. Sie wußte so gut wie er, was für ihn auf dem Spiel stand: der Posten des Außenministers mit noch nicht ganz dreiunddreißig Jahren. Eine beinahe einmalige Karriere. Suchte man eine Parallele, fand man nur den Fall des jungen Pitt, der mit dreiundzwanzig zum Finanzminister aufgestiegen war.
Gedankenverloren füllte Sir Rupert noch einmal das Glas, leerte es in einem Zug und wandte sich zum Gehen. Dabei fiel sein Blick auf einen Stapel von Einladungen, die auf dem Kaminsims unter dem großen Chippendalespiegel lagen. Die zuoberst liegende Karte erregte seine Aufmerksamkeit.
»Earl und Komteß von Cardon«, las er halblaut. »Am 6. Juli, drei Uhr nachmittags, auf Rowanfield Manor, Rowan.«
Einige Augenblicke lang starrte Sir Rupert auf die weiße Karte.
Dann murmelte er: »Morgen um drei - und Clementine ist ganz sicher auch dort.«
Ja, es bestand kein Zweifel. Lady Clementine Talmadge würde der Einladung genauso Folge leisten wie alle anderen Honoratioren der Grafschaft, und es würde ein Leichtes sein, sich mit ihr in aller Öffentlichkeit und wie zufällig zu treffen.
Sir Rupert drehte sich noch einmal zum Kamin um, dann verließ er mit der Einladung in der Hand die Bibliothek.
In der Auffahrt von Rowanfield Manor drängten sich Wagen jeder Größe, Bauart und Ausführung. Und die Pferde, von denen sie gezogen wurden, übertrafen sich gegenseitig an Schönheit und Rasse. Unruhig schüttelten sie die kunstvoll gekämmten Mähnen; und das auf Hochglanz polierte, mit Silberknöpfen und -schnallen verzierte Zaumzeug klirrte leise, wenn sie sich in Bewegung setzten und zu dem Säulenvorbau des roten Backsteingebäudes vorzogen, wo zahlreiche livrierte Lakaien mit gepuderten Perücken die Gäste in Empfang nahmen.
Isabel Gray starrte aus dem lehmbespritzten Fenster der Hackney-Kutsche, die sie am Bahnhof gemietet hatte. Sie seufzte leise beim Anblick der anderen Fahrzeuge und lehnte sich mit einem Ausdruck der Bestürzung auf dem schönen Gesicht in das Polster der alten, nach Staub und Moder riechenden Mietkutsche zurück.
Sie hatte vergessen, daß dies der Tag der Gartenparty war. Aber warum auch sollte sie daran gedacht haben! Sie hatte nie den Wunsch verspürt, daran teilzunehmen. Nun war sie sich darüber im Klaren, daß sie keinen ungeeigneteren Zeitpunkt für ihre Rückkehr nach Rowanfield Manor hätte wählen können als diesen.
Am Abend würden alle müde und gereizt sein. Ihre Rückkehr, unangemeldet und unerwartet, wäre an keinem Tag auf Begeisterung gestoßen, aber am heutigen Tag kam sie einer Katastrophe gleich.
Einem Impuls nachgebend streckte sie die Hand aus und öffnete das kleine Schiebefenster zwischen sich und dem Kutscher.
»Cabby!« rief Sie. »Cabby, setzen Sie mich bitte an der Hintertür ab!«
Der Kutscher legte die Hand mit den gichtgekrümmten Fingern ans Ohr.
»Die Hintertür haben Sie gesagt? Geht in Ordnung, Miss.«
Isabel ließ sich auf den Sitz zurücksinken. Ihr Blick fiel auf ein elegantes Gefährt mit gelben und schwarzen Rädern, das an ihnen vorbeifuhr. Es wurde von einem jungen Gentleman mit einem mächtigen, wohlgekrausten Backenbart gelenkt, der als einer der begehrtesten Junggesellen der Grafschaft galt.
»Tut mir leid, aber ich mußte zurückkommen! Ich hatte einfach keine andere Wahl!«
Sie stieß diese Worte wild und voller Trotz hervor, und als genügte schon der Klang ihrer Stimme, um ihr das nötige Selbstvertrauen wiederzugeben, hob sich ihr Kinn, und Bestürzung und Niedergeschlagenheit wichen dem eher zu ihr passenden Ausdruck des Trotzes. Dennoch fröstelte sie leicht, und tief in ihrem Inneren blieb das Gefühl der Angst.
Ihre Tante war sehr böse gewesen, als Isabel das letzte Mal nach Hause zurückgekommen war, doch die Tante fürchtete das junge Mädchen nicht. Derjenige, den sie fürchtete, war ihr Onkel.
Es war schrecklich, wenn er mit seiner dröhnenden Stimme zu toben begann, sie anschrie und eine Erklärung für ihr unverständliches Verhalten forderte. Es war schrecklich, wenn er im Tonfall eines Inquisitors seine Fragen stellte, ihre Antworten zerpflückte und ihre Ängste verhöhnte.
Wie oft schon hatte er ihr klargemacht, sie müsse es lernen, auf eigenen Beinen zu stehen und sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Und je einfallsreicher und schlauer sie dabei vorgehe, um so besser sei es.
Mein Gott, wie sie diese Ratschläge haßte, wie sie vor seinen Wutausbrüchen zitterte. Am schlimmsten aber war sein Hohn, sein diabolisches Lachen, wenn er sich über ihre Anstrengungen lustig machte, ihre Unschuld zu bewahren.
Sie erinnerte sich an ihre letzte Rückkehr, als sie gezwungen gewesen war, ihm zu erklären, weshalb sie die Stellung als Gouvernante bei den beiden Kindern eines vierzigjährigen Witwers aufgegeben hatte.
Jede Einzelheit der unsittlichen Belästigungen, denen sie ausgesetzt gewesen war, hatte sie ihrem Onkel schildern müssen. Und wenn sie beschämt und voller Abscheu geschwiegen hatte, weil manches einfach nicht über ihre Lippen kommen wollte, hatte er sie schallend ausgelacht und erklärt, daß sie mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten machte und daß die meisten