Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Elisabeth SwobodaЧитать онлайн книгу.
sie Daniel die Hand. Wenn sie unsicher war, dann verriet sie das mit keiner Geste.
Harald Fabricius konnte dagegen seine Nervosität nicht unterdrücken. »Sie machten da eine seltsame Andeutung am Telefon, Herr Fernau!«
Daniel nickte. »Ich sprach von dem Kind, das Anjuta vor sieben Jahren auf die Welt gebracht hat.«
»Wie können Sie es wagen …«, fuhr Sonja auf.
Daniel schnitt ihr das Wort ab. Ihr Hochmut beeindruckte ihn nicht mehr. »Ich weiß genau, was ich sage, denn ich habe die Wahrheit von Ihrer Tochter selbst erfahren. In Davos.«
Daniel sah, dass Sonja Fabricius zusammenzuckte. »Sie waren in Davos bei Anjuta?«, fragte sie gepresst.
»Ja«, sagte er gedehnt. »Ich war in Davos. Aber nicht nur dort. Ich war auch in Gmund am Tegernsee.«
Diesmal war es Harald Fabricius, der erschrak. »Wieso in Gmund?« Er versuchte, seiner Stimme einen beiläufigen Klang zu geben.
»Weil in Gmund die Familie Nissen lebt«, antwortete Daniel scharf. Er hatte sich für die Überrumpelungstaktik entschieden.
»Wovon reden Sie eigentlich?«, fuhr Harald Fabricius auf. Dabei zerkaute er vor Nervosität und Unsicherheit das Mundstück seiner Zigarre.
»Ich spreche von der Familie, der Sie das Kind Ihrer Tochter in Pflege gegeben haben. Nissen heißt sie. Und diese Familie bezieht regelmäßig jeden Monat Geld von Ihnen. Für die Pflege von Anjutas Sohn.«
Angesichts dieser exakten Tatsachen kapitulierte Harald Fabricius. »Was wollen Sie? Geld?«
»Ich will Sie nicht erpressen«, erklärte Daniel.
»Was dann? Einen Skandal?«
»Warum kommen Sie hierher und erzählen uns das alles?«, fragte Sonja Fabricius. Aller Hochmut war von ihr gewichen. Sie sah jetzt blass und unsicher aus.
»Ich will nur die Wahrheit hören«, sagte Daniel. »Die Wahrheit, sonst nichts. Denn ich bin der Vater von Anjutas unehelichem Kind. Ist Jens Nissen Anjutas Sohn?« Sein Blick fixierte Harald Fabricius. Scharf und erbarmungslos. »Ich warne Sie, mich anzulügen, Herr Fabricius. Das hätte schlimme Folgen für Sie. Denn einen Skandal können Sie sich doch hier in Hamburg nicht leisten, nicht wahr?«
»Sie brauchen mir nicht zu drohen«, sagte Harald Fabricius leise. »Jens Nissen ist das Kind meiner Tochter. Wir gaben es damals gleich nach der Geburt weg.«
»Vielen Dank.« Daniel war aufgesprungen.
»Was verlangen Sie dafür, dass Sie dieses Wissen für sich behalten?«, fragte der Reeder.
»Gar nichts.« Daniel ging zur Tür.
»So warten Sie doch«, rief Harald Fabricius. »Ich bezahle Ihnen jede Summe.«
»Behalten Sie Ihr Geld.« Mit diesen Worten verließ Daniel das Haus des Reeders. Doch im Garten blieb er noch einmal stehen.
Harald Fabricius war ihm gefolgt. »Ich bitte Sie inständig, sagen Sie mir, was Sie vorhaben.«
»Ich werde Anjutas Kind aus diesem Elendsquartier wegholen. Teilen Sie das der Familie Nissen mit. Und zahlen Sie ihr eine Abfindung, wenn Sie wollen.«
»Und was geschieht mit dem Kind?«, fragte Harald Fabricius ängstlich.
»Seien Sie unbesorgt, es wird weder Ihnen noch Ihrer Frau zur Last fallen.« Daniels Stimme klang verächtlich. »Ich werde meinen Sohn zu mir nehmen.«
Über diesen Entschluss dachte Daniel noch nach, als er schon wieder in der Maschine nach München saß. Er hatte sich ganz spontan dafür entschieden, sich vor aller Welt zu seinem Sohn zu bekennen. Und er war froh darüber. Es war richtig, dass ich sofort nach Hamburg flog, dachte er jetzt. Nur so konnte ich die Wahrheit so schnell herausfinden. Mein plötzlicher Besuch war ein Schock für den Reeder und dessen Frau. Was für Menschen!, dachte er angeekelt. Sie leben selbst in unvorstellbarem Luxus und lassen zu, dass das Kind ihrer Tochter in Not und Elend aufwächst. Und das alles nur, weil sie um ihren guten Ruf fürchten.
Daniel kam mit der letzten Maschine in München an. Spät nachts. Deshalb fuhr er nach Hause. Am nächsten Morgen rief ihn eine wichtige Besprechung in sein Werk. Aber gleich danach fuhr er nach Gmund.
Der alte Nissen hatte aus Hamburg ein Telegramm erhalten. Daniel Fernau sei berechtigt, Jens mitzunehmen, stand darin.
Daniel musste fast lächeln, als der alte Nissen ihm die Mitteilung zeigte. Sie haben Angst, dachte er. Angst vor dem Skandal. Nur deshalb haben sie klein beigegeben. Aber der Kampf ist noch nicht zu Ende. Wenn Jens mir zugesprochen werden soll, müssen sie die Wahrheit auch vor Gericht zugeben.
»Was soll denn aus Jens werden?«, fragte der alte Nissen jammernd. Er dachte nur daran, dass jetzt die monatlichen Zahlungen ausbleiben würden. Der Junge war ihm egal.
»Ich werde Jens zu mir nehmen«, erwiderte Daniel.
»Und das Geld? Kriege ich kein Geld mehr?«
Angewidert wandte Daniel sich ab. »Ich werde dafür sorgen, dass Sie eine Abfindungssumme erhalten. Wo ist Jens?«
»In der Schule. Er kommt um eins nach Hause.« Der Blick Heinrich Nissens wurde neugierig. »Wie hoch würde denn die Abfindung sein?«
Er bekam jedoch keine Antwort. Daniel hatte das unordentliche Wohnzimmer bereits verlassen.
Kurz darauf wartete er vor dem Schulgebäude auf Jens.
Lange musste er nicht warten. Kurz nach ein Uhr öffnete sich das Tor, und die Kinder strömten heraus.
Jens erkannte Daniel sofort wieder. Abrupt blieb er stehen.
Daniel registrierte, dass der Junge diesmal Schuhe trug. Aber was für Schuhe! Vorn schauten die Zehen heraus, und vom Absatz existierte nur noch eine Hälfte.
»Guten Tag, Jens.« Daniel streckte dem Jungen die Hand entgegen.
Schüchtern griff Jens danach. »Tag.«
»Ich nehme dich mit«, sagte Daniel ohne lange Einleitung. »Mit deinem Vater habe ich schon gesprochen.«
Jens bekam kugelrunde Augen. »Wo…, wohin gehen wir?«
»Das erzähle ich dir unterwegs. Komm jetzt. Oder willst du noch irgendetwas von zu Hause mitnehmen?«
Jens schüttelte nur den Kopf. »Ich habe nichts.«
»Keine Spielsachen?«
»Nein.«
»Dann komm.« Daniel ging voraus zu seinem Wagen.
Jens folgte ihm. Als Daniel jedoch vor der großen Limousine stehen blieb, schluckte der Junge erstaunt. »Ist das Ihr Auto?«
Daniel nickte lächelnd und öffnete die Tür. Beinahe ehrfürchtig stieg Jens ein. In so einem Auto bin ich noch nie gefahren, dachte er.
»Wir kaufen zuerst ein paar Sachen für dich ein«, sagte Daniel und hielt vor einem Konfektionsgeschäft in Tegernsee.
»Das ist aber ein sehr teurer Laden«, meinte Jens erschrocken.
Lächelnd trat Daniel ein. Die Verkäuferin begrüßte ihn höflich. Als sie den ärmlich gekleideten Jungen sah, wurde ihr Blick unsicher.
»Zeigen Sie einmal Unterwäsche, Hosen und Hemden für den Jungen«, verlangte Daniel und stellte dabei fest, dass ihm das Ganze Freude machte.
Die Verkäuferin brachte zwei Knabenhosen, zwei flotte Hemden, wie sie gerade in Mode waren, und einen leichten bunten Pullover. »Das ist der letzte Schrei«, sagte sie dazu.
Beim Anblick der schönen neuen Sachen hätte Jens fast geheult. Andächtig glitten seine Finger über die weiche Wolle des Pullovers. Ein Junge in seiner Klasse, der Sohn eines Arztes, trug immer so schicke Sachen und war von Jens stets glühend beneidet worden.
»Probier die Sachen«, sagte Daniel und schickte Jens mit der