Kampf um Wien. Hugo BettauerЧитать онлайн книгу.
wo irgend ein Lustspielschmarrn gegeben wurde. Er hatte Glück. Lola Holub war in dem Stück beschäftigt, sie gab einen der üblichen Backfische, die sich einbilden, daß der Leutnant die Kinder bringt, und hatte zwar nicht viel zu sprechen, war aber fast in jeder Szene auf der Bühne. Und unwillkürlich flog der Blick ihrer blauen Augen immer wieder zu dem großen Herrn in der Loge hin, der am Abend vorher seinem Beifall so laut Ausdruck gegeben.
O’Flanagan schwitzte vor Aufregung. Er wußte, daß er unbedingt noch heute diese Lola Holub kennen lernen mußte. Unbedingt und um jeden Preis. Und wenn John Patrick etwas wollte, so hatte er es noch immer durchgesetzt. Aber dieser Fall erschien ihm schwieriger als jeder bisherige. Wie lernt man eine Künstlerin kennen? Dieses Problem war ihm vollständig unbekannt. Plötzlich aber erinnerte er sich, einmal in einem Fünfcentroman gelesen zu haben, wie ein Graf einer Tänzerin seine Visitkarte mit einer Einladung zum Souper hinter die Bühne schickte. Also, er war kein Graf, aber dafür ein freier Amerikaner, der Geld hatte.
Sofort nach Schluß der Vorstellung begab er sich ins Foyer und erwischte einen langen, mageren Billeteur, den er ansprach. Dieser Theaterdiener war nun ein aus Wien durchgebrannter Hof- und Gerichtsadvokat namens Mansch und sofort im Bilde, als der Amerikaner ihm eine Fünfdollarnote in die Hand drückte und dabei etwas von Souper und Miß Lola Holub sprach. Er versicherte Flanagan in einem unmöglichen Englisch, daß die junge Dame höchst ehrbar sei, worüber Flanagan sehr erfreut war, er aber trotzdem sein Äußerstes tun werde.
Und Flanagan war wieder vom Glück begünstigt. Lola Holub hatte nämlich Hunger, den ausgewachsenen, gesunden Hunger eines jungen Mädchens, das um sieben Uhr in der Pension einen Schlangenfraß mit Unwillen verzehrt hatte und jetzt kein Geld besaß. Nicht einmal elende fünf Cents, für die es sich irgendwo eine Tasse Kaffee hätte kaufen können. Als ihr nun der ehrenwerte Doktor Mansch die Einladung zum Souper überbrachte, lief ihr das Wasser in ihrem kleinen Mäulchen zusammen, und vage Vorstellungen von einem Beefsteak oder gar Hummer benebelten ihre Sinne. Da zudem Frau Pietsch, die komische Alte, ihr in tiefem Baß zuredete: „Kleine, sein Sie nicht dumm, von einem Souper hat noch niemand ein Kind bekommen“, gab Lola sich einen Ruck, sagte sich: „Ach was, es ist wirklich nichts dabei, er sieht doch recht gutmütig aus“ und nahm an.
Der Abend verlief sehr merkwürdig. Die beiden saßen in einer behaglichen Ecke des deutschen Restaurants Lüchow, Lola aß Hummer und Steak und eine beinahe echte Sachertorte, und Flanagan wischte sich ununterbrochen den Schweiß von der Stirne und schüttelte ein Krügel Pschorr nach dem anderen in sich hinein. Darin bestand aber auch die ganze Unterhaltung, da sie nicht englisch und er nicht deutsch sprach. Erst gegen Mitternacht trat als belebendes Moment die Tatsache hinzu, daß O’Flanagan ein Händchen Lolas streichelte, wobei ihm seltsam rührselig zu Mute wurde und ihr ein Tränchen in die Augen trat, weil seit Mutters Tod niemand so sanft und zart ihre Hand gestreichelt hatte. Die Kollegen – na ja, die griffen anders zu, gemein, brutal und gierig, um sie, wenn sie abwehrte, eine dumme, zimperliche Gans zu nennen.
Schließlich geleitete der Riese die kleine Lola bis zu ihrem Haus und verabschiedete sich von ihr, indem er zehnmal mit gepreßter Stimme „Au revoir“ sagte.
Am nächsten Tag aber da geschah etwas, was Lola als echt amerikanisch empfand. Sie bekam in aller Herrgottsfrüh einen riesigen Korb mit roten Rosen und einen Brief, in dem ein Scheck auf 1000 Dollar lag. Der Brief lautete nach der Übersetzung durch die Pensionsinhaberin, die von Lola zu Hilfe gerufen werden mußte, folgendermaßen:
„Mein liebes Fräulein Holub! Ich bin gesund, fünfunddreißig Jahre alt, habe ein schönes Heim in St. Paul und eine Menge Geld. Sie gefallen mir sehr gut, und ich möchte Sie heiraten. Wenn Sie auch wollen, so bitte ich Sie, von der Bühne fortzugehen und Englisch zu lernen. In drei Monaten, zu Ostern, werde ich wieder in New York sein und Sie fragen. Heute muß ich zurück nach St. Paul. Also auf Wiedersehen im April.
Ihr Sie sehr verehrender John Patrick O’Flanagan.
P.S. Ich werde versuchen, auch Deutsch zu lernen. Aber ich glaube, es wird nicht gehen.“
Lola, voll Angst vor der Zukunft, im Bewußtsein, durchaus kein großes Bühnentalent zu sein, mit Schrecken an das Ende der Theatersaison denkend, überlegte nicht lange. Ging von der Bühne ab, nahm eine Lehrerin und verbrachte die ganzen Tage damit, sich mit Vokabeln und einer Aussprache vertraut zu machen, die ihr überaus unsympatisch waren.
Am Ostersonntag erschien tatsächlich John O’Flanagan in New York, machte ihr seinen Besuch im Salonrock, fand ihr Englisch drollig und entzückend, durfte sie küssen und am Dienstag im Rathaus heiraten.
So war aus einem Wiener Kind plötzlich Mrs. Lola O’Flanagan geworden.
4. Kapitel
Der reichste Mann der Welt.
Die Ehe verlief nicht so, wie es Lola gehofft, ihr Gatte erwartet hatte. Die beiden kamen einander nicht näher. Die Verschiedenartigkeit der Charaktere, der Vergangenheit, der Bildung, der Sprache und Abstammung waren zu groß, ließen sich nur solange überbrücken, als der erste Rausch der Sinne, den sie nie ganz teilen konnte, anhielt. Dann wußte Flanagan mit seiner kleinen Frau, die gerne Bücher las und Klavier spielte, nichts anzufangen. Irgendwie war er voll Mitleid mit diesem kleinen exotischen Vögelchen, irgendwie empfand er es auch mit seinen robusten Nerven, daß Lola nicht zu ihm, nicht nach Minnesota, nicht nach Amerika gehörte. Und wie es oft zu geschehen pflegte, wandelte sich das Mitleid in Groll, und wenn er grollte, wurde er laut, und wenn er dann sah, wie seine junge Frau erschrak und zu zittern begann, wurd er erst recht heftig.
Eine große Rolle spielte naturgemäß die Tatsache, daß Lola nicht Englisch genug konnte, um sich ihm gegenüber restlos verständlich zu machen, ihm zu sagen, was die Sprache nur in ganz umschriebener Weise ausdrücken kann. Als eines Tages Flanagan in einem häßlichen Wutanfall von ihr als einem „Dutch woman“ sprach und es als Schande bezeichnete, daß sie Englisch noch immer nicht perfekt konnte, da begann Lola ganz verwirrt zu werden und, so sonderbar es klingen mag, keine Fortschritte im Englischen zu machen, sondern Rückschritte.
Als nach zweijähriger Ehe der kleine Patrick Ralph geboren wurde, besserte sich vorübergehend das Verhältnis der Gatten, aber sowie das Kind groß genug war, um durch ein Ausstrecken der Ärmchen zur Mutter oder zum Vater seine größere Sympathie zu bezeugen, wurde die Entfremdung noch stärker. Lola überströmte mit ihrer ganzen Zärtlichkeit das Kind, sie sang ihm deutsche Lieder vor, lehrte ihm die ersten deutschen Worte, sprach nie englisch mit ihm, entzog ihn so bald als möglich der schwarzen Amme, ja sie brachte es dazu, daß sein kleiner Milchbruder Sam ebenfalls Deutsch erlernte.
O’Flanagan tobte und wetterte dagegen, aber vergebens, in diesem Punkt blieb die kleine ängstliche Frau stark, und wenn Flanagan schrie, daß die Wände zitterten, sah sie ihn nur groß und erstaunt an, ohne zu tun, wie ihr Gatte wollte.
Ralph hing denn auch mit viel größerer Zärtlichkeit an seiner Mutter, als es amerikanische Jungens sonst tun, und noch als er die Mittelschule besuchte, las er am liebsten gute deutsche Bücher, die ihm die Mutter heimlich kommen ließ. Als er sechzehn war, machte allerdings Flanagan dem ein Ende, indem er den Jungen zuerst nach San Franzisko, dann nach Chikago in die Lehre zu Geschäftsfreunden schickte, so daß die ewige Wienerin allein und einsam in dem kalten großen Haus zu St. Paul zurückblieb.
Sechs Jahre hindurch mußte Ralph in der Fremde bleiben, sich allein sein Brot verdienen, bis ihn der Vater zurückrief.
Er trat nun in den väterlichen Betrieb ein, ohne zu ahnen, wie groß dieser eigentlich war. Es gab da eine sehr komplizierte Korrespondenz mit einem Dutzend Aktiengesellschaften, zahllosen Sägewerken und Forsten, niemand aber bekam einen vollen Einblick in die Geschäfte, da O’Flanagan alle Fäden in der Hand behielt und schwerwiegende Dinge nie mit seinem Sohn, sondern nur mit dem alten Prokuristen Herbert Walker beriet.
So innig das Verhältnis Ralphs zu seiner Mutter war, so wenig gut stand er mit dem Vater. Dieser sah in ihm einen durchaus unamerikanischen Schwärmer, einen halben Deutschen, einen müßigen Menschen, den die dummen deutschen Bücher viel mehr interessierten als die Geschäfte, der überhaupt keinen merkantilen Sinn hatte, ja es nicht einmal verstand, ordentlich