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Kampf um Wien. Hugo BettauerЧитать онлайн книгу.

Kampf um Wien - Hugo Bettauer


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unter allen Herren, Manieren tadellos, bildhübsch, perfekt englisch, französisch und italienisch sprechend, Bankdiplomat comme il faut, im Bureau nicht hervorragend, keine Arbeitsbiene, aber um so besser bei delikaten Affären verwendbar. Und dieser Ralph O’Flanagan, der jetzt das ganze Interesse des Gewaltigen in Anspruch nahm, war erst dreißig Jahre alt. Also wahrscheinlich bereit, Dummheiten zu machen. Und auch Dummheiten ließen sich mitunter in große Geschäfte umsetzen.

      Lank trat durchaus selbstsicher, bescheiden, aber nicht unterwürfig ein.

      „Herr Generaldirektor haben befohlen? – –“

      „Sie haben von der Ankunft eines Amerikaners namens Ralph O’Flanagan gelesen? Gut, dieser Herr ist uns durch die Guarantee Trust als Klient empfohlen worden. Suchen Sie ihn auf, stellen Sie sich ihm namens der Bank vollständig zur Verfügung. Hm, wenn es sich ohne Aufdringlichkeit machen läßt, so laden Sie ihn für Sonntag zum Tee bei mir ein. Aber vorsichtig, bitte! Immer Gentleman sein, nicht von Business reden. Das muß sich später von selbst machen. Hauptsache: Ihn in unsere Kreise ziehen. Sie wissen, oder sollten es wissen, die Depositen spitzt auf neue Geschäfte, seitdem der Castiglioni draußen ist. Überzeugen Sie sich, ob dieser Amerikaner wirklich sozusagen Österreich sanieren will. Und wenn ja, mit welchen Summen, auf welche Art. Die Sache ist wichtig. Bedenken Sie, daß, wenn es dem Mann oder seinen Hintermännern einfallen würde, ein paar Millionen auf die ausländischen Märkte zu werfen, um Kronen zu kaufen, eine rapide Kronenhausse entstehen könnte. Natürlich möchte ich das vorher wissen. Und mit niemand im Hause über das, war wir hier besprochen haben, reden. Ich vertraue Ihnen!“

      Der Generaldirektor reichte dem jungen Mann die fleischige, Energie und brutalen Willen ausströmende Hand, ein Beweis höchster Gunst.

      Heinrich Lank war noch in der Türe, als er zurückgerufen wurde.

      „Sie stenographieren perfekt? So, ich werde meinem Doktor Lieblich die Prokura erteilen und Sie an seiner Stelle zu meinem Privatsekretär machen. Hm, vorausgesetzt, daß Sie sich in dieser Angelegenheit bewähren.“

      Mit dem Direktorposten im Tornister entfernte sich Lank. Jeder Privatsekretär muß früher oder später Direktor werden. Er weiß zu viel – –

      Ralph, der um diese Stunde bei der neu hergerichteten Uhr am Schottentor stand und jedesmal, wenn ein F-Wagen angefahren kam, nervös an ihn herantrat und durch die Scheiben die Passagiere musterte, hatte keine Ahnung, daß sich die verschiedenartigsten Persönlichkeiten für ihn lebhaft zu interessieren begannen. Und er wäre nicht wenig erstaunt gewesen, hätte er gewußt, daß gerade jetzt auch der Bundeskanzler, Prälat Doktor Seipel, im Kanzleipalais mit dem Bleistift zerstreut ein- über das anderemal den exotischen Namen Ralph O’Flanagan auf ein Blatt Papier kritzelte. Soeben hatte er telephonisch mit dem Chef der Staatspolizei gesprochen, von ihm aber nicht mehr erfahren können, als der Meldeschein besagte. Nun beschied er seinen Präsidialisten, den Sektionsrat Winder, zu sich.

      Der Bundeskanzler, durchaus nicht der höfliche Weltpriester, wie ihn seinerzeit Colleredo repräsentierte, sondern scheinbar ganz einfach, gutmütig, hie und da einem nervösen Temperament mehr die Zügel schießen lassend als liebsam war, ein gutmütiges Lächeln um die dünnen Lippen, das sich allerdings beim Sprechen leicht in Suffisance verwandelte, ging in seinem langen schwarzen Salonrock, der ihm zu eng zu sein schien, die Arme dicht an den Leib gepreßt, als würde er sich dadurch vor weitausgreifenden Bewegungen hüten wollen, in dem schönen, alten, ehrwürdigen und geschichtsreichen Zimmer auf und ab.

      „Sie, Winder, dieser Amerikaner interessiert mich. Daß mir den die Juden nur nicht gleich in die Hände bekommen! Wenn das wahr ist mit der Mutter, die Wienerin war, und seiner Absicht, hier irgendwie zu helfen – das könnte uns über viele Schwierigkeiten hinweghelfen. Die Wahlen stehen vor der Türe und wir brauchen Geld, Geld und wieder Geld! Na ja, die jüdischen Banken werden uns schon tüchtig geben, aber sympathischer wäre es schon, von so einem ganz Fremden. – Aber das mit dem reichsten Mann der Welt kann auch Schwindel sein. Wir müssen uns halt erkundigen.“

      „Nichts leichter als das, Exzellenz. Ich brauch nur bei der Länderbank anzurufen und den Direktor Blauer zu bitten. Er wird sofort kabeln. Aber nein, ich hätte beinahe vergessen, daß wir ja jetzt in Washington eine Gesandtschaft haben! Also gleich lasse ich per Kabel dort anfragen.“

      „Lieber Winder“, sagte der Kanzler und putzte sich die Brillengläser, während ein mokantes Lachen seine Lippen verzog, „lieber Winder, ganz gut, daß Sie den Gesandten vergessen haben, denn der weiß sicher nichts und bevor er antwortet, ist unser Amerikaner schon mitten in irgend einer Clique drin. Und mit der Länderbank brauchen Sie sich auch nicht zu bemühen. Ich habe bessere Beziehungen.“

      Und der Kanzler ließ sich mit der päpstlichen Nunziatur verbinden, sprach dort mit einem hochwürdigen Herrn italienisch und eine halbe Stunde später ging eine Kabeldepesche an den katholischen Erzbischof Farley in Boston ab.

      Die Antwort kam am nächsten Tag und der Kanzler las sie mit verkniffenen Lippen, während er nervös auf den Tisch trommelte:

      „Verstorbener John Patrick O’Flanagan galt in St. Paul als guter Katholik, der auf eigene Kosten eine hübsche Kirche errichten ließ. Sohn ist als Freigeist bekannt, besuchte auch Sonntags nicht den Gottesdienst, bekannte sich bei den letzten Wahlen zum Sozialismus, für den er seine Stimme abgab. Hat Entrüstungskundgebung über Gefangenhaltung des Sozialistenführers Debs mitunterschrieben. Dürfte tatsächlich an Reichtum hinter Astors und Rockefellers nicht nachstehen.“

      Der Kanzler pfiff gedämpft vor sich hin und gab dann seinem Präsidialisten den Auftrag, O’Flanagan durch die Staatspolizei ständig beobachten zu lassen und es dazu zu bringen, daß der Amerikaner beim Bundeskanzler seine Karte abgebe.

      8. Kapitel

      Ein Blick hinter die Kulissen.

      Ralph, ohne eine Ahnung zu haben, daß er beobachtet, kontrolliert, viviseziert wurde, war ärgerlich und unzufrieden. Seitdem der Artikel in der „Presse“ erschienen war, verbeugten sich die Hotelbediensteten, die Chauffeure auf der Straße vor dem Hotel, die Kellner und sogar der alte Dienstmann an der Ecke bis zum Boden vor ihm und trotz aller Abwehrmaßregeln ließ es sich nicht vermeiden, daß ihn auf der Straße Damen und Herren ansprachen, seine Hilfe für sich selbst oder für Aktionen, die sie leiteten, erbaten, daß er täglich hundert und mehr Briefe bekam, kurzum plötzlich im Mittelpunkt einer ihm fremden Welt stand.

      Das war ihm aber mehr als unbequem, belastete sein Gewissen. Ralph war aus tiefster Überzeugung ein Feind jeder sogenannten Wohltätigkeitsaktion. Er wäre sofort bereit gewesen, große Beträge zur Aufrichtung einer Existenz zu geben, weigerte sich aber, seine Hilfe einer Suppen- und Teeanstalt zu gewähren. Elend müsse an der Wurzel, in seinen Ursachen behoben werden, meinte er, nicht aber in seinen Erscheinungen. Arbeitslose brauchen Arbeit, aber kein Almosen. Es habe keinen Sinn, Kindern Schuhe zu schenken, sondern die Eltern dieser Kinder müssen in der Lage sein, selbst Schuhe zu kaufen.

      Ralph sah, daß durch die Ungeschicklichkeit seines Dieners sein geheimster, noch nicht einmal in Gedanken ausgetragener Plan, Österreich zu helfen, verraten worden war, fühlte, daß es für ihn keinen Rückzug mehr gab, wollte er nicht das Andenken an die geliebte Mutter schmähen, aber er sah noch nicht den richtigen Weg vor sich. Und deshalb hatte er nicht ungern die Einladung des Herrn Heinrich Lank, der gestern bei ihm gewesen war, angenommen, um so mehr, als der Privatsekretär des Generaldirektors ihm versichert hatte, er würde in der Villa des Herrn Klopfer-Hart viele kluge, einflußreiche Männer kennen lernen.

      Heute hatte Ralph O’Flanagan durch Zufall Gelegenheit, einen tieferen Einblick in das Wiener Leben zu bekommen, einen Blick hinter die noch immer schönen und stattlichen Kulissen zu tun.

      Die Tage vorher war heftiger Schnee gefallen und an allen Straßenkreuzungen arbeiteten außer den städtischen Angestellten zahllose per Stunde und Tag aufgenommene Schneeschaufler. Für den jungen Amerikaner war der Anblick ergreifend. Er sah zarte junge Mädchen, deren blau gefrorene Hände die schwere Schaufel kaum halten konnten, Männer mit Zwicker oder Brille, denen man nur zu deutlich ansah, daß sie nicht bei körperlicher Arbeit groß geworden, Kinder,


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