Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
schlurfte Petra in die Küche zurück und setzte sich wieder an den Tisch.
»Das war meine Freundin Anna. Sie ist im Garten ausgerutscht und hat sich am Steißbein verletzt. Ihr Nachbar hat sie in die Klinik gebracht. Wusstest du übrigens, dass er dein Chef ist?«
Doch wie so oft war Christine mit den Gedanken schon wieder woanders.
»Beeil dich, Mama! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit«, befahl sie, als sie in der Küche auftauchte. »Wenn du nicht gleich etwas isst, musst du den Tisch selbst abräumen. Ich muss zum Dienst.«
Trotz des frühen Morgens waren ihre Wangen gerötet, feine Schweißperlen standen auf ihrer Oberlippe.
Wie eine Aureole umrahmten die kurzen Locken ihr Gesicht und ließen es noch runder erscheinen.
»Ich habe keinen Hunger«, murmelte die alte Dame.
»Nicht so schlimm. Ein paar Kilo weniger auf den Rippen schaden dir nicht.«
Petra zog eine Augenbraue hoch.
»Das sagt die Richtige.«
Erbost stemmte Christine die Hände in die fülligen Hüften.
»Soll das heißen, ich bin zu dick?«
Doch Petra hatte weder Kraft noch Nerven für diese unsinnige Diskussion.
»Mir ist schon seit gestern schlecht«, murrte sie. »Aber das interessiert dich ja nicht.«
Christine überlegte nicht lange und stellte ihrer Mutter einen Teller mit zwei Scheiben Zwieback hin.
»Das nächste Mal solltest du eben nicht die ganze Schachtel Pralinen aufessen.«
»Ich habe gestern gar nichts gegessen. Und schon gar keine Süßigkeiten.«
»Und wer war das hier?« Christine fischte die leere Packung aus dem Mülleimer und wedelte damit durch die Luft.
»Ich jedenfalls nicht.« Petra zuckte mit den Schultern. »Als Mutter einer Ärztin hatte ich mir etwas mehr Fürsorge erwartet.« Sie saß mit dem Rücken zu den Schränken. Geschirr klapperte, schmatzend öffnete sich die Kühlschranktür und fiel mit einem Rumms! wieder ins Schloss.
»Tut mir leid. Ich muss jetzt zur Arbeit, um Geld zu verdienen, damit du deine Rente bekommst, von der du dir einen Arzt leisten kannst.« Christine verschwand wieder im Flur.
Petra hörte sie dort rumoren. Der Gedanke daran, in diesem Zustand den ganzen Tag allein in der Wohnung zu verbringen, machte ihr Angst. Mühsam stemmte sie sich vom Tisch hoch und ging zur Tür.
»Kannst du mich in die Klinik mitnehmen? Ich will Anna besuchen.« Das war nur die halbe Wahrheit.
Überrascht fuhr Christine herum.
»Hast du mir nicht vor fünf Minuten erzählst, du seist krank?«
»So krank nun auch wieder nicht. Außerdem geht es Anna schlechter als mir.« Petra schlüpfte in ihre Schuhe. »Sie hat ihren kleinen Enkel zu Besuch, um den sie sich jetzt nicht kümmern kann.«
Christine griff nach dem Autoschlüssel am Schlüsselbrett.
»Deshalb habt ihr beiden beschlossen, eine Kindertagesstätte in der Klinik aufzumachen. Herrlich!« Das Lachen ihrer Tochter erinnerte Petra an das Schnauben eines Pferdes.
»Irgendjemand muss sich ja um die zukünftigen Rentenzahler kümmern«, konterte sie, ehe sie, eine Hand auf den Bauch gepresst, hinaus in den Hausflur trat.
»Da hast du auch wieder recht«, erwiderte Christine vollkommen ernst. Wie vielen intelligenten Menschen mangelte es auch ihr an Einfühlungsvermögen. Mit ihren taktlosen Bemerkungen eckte sie häufig an, verstand aber den Grund dafür nicht. Aus diesem Grund kabbelten sich Petra und Christine zwar oft im Alltag, vertrugen sich aber genauso schnell wieder. Wie an diesem Morgen, an dem Christine ihre Mutter trotz Eile direkt vor Frau Wolters Zimmer ablieferte.
*
»Was hast du dir nur dabei gedacht?« Fee Norden saß draußen am Tisch und sah Paul dabei zu, wie er an dem Strohhalm nuckelte, der in einem Glas ihrer berühmten selbstgemachten Limonade steckte.
Joshua und Dési waren bei ihr, Daniel dagegen rumorte irgendwo im Haus.
»Ich wollte zu meiner Mami«, erwiderte Paul mit unschuldigem Augenaufschlag.
»Joshua hat es gewusst.« Bewundernd sah Dési zu ihrem Freund hinüber. Sie streckte die Hand aus und streichelte ihm durch das verwuschelte Haar.
»Stimmt doch gar nicht. Es war nur so eine Idee«, wehrte der sich verlegen. »Ich bin so froh, dass du mich geholt hast.« Er legte den Zeigefinger unter Désis Kinn und küsste sie zärtlich.
Die beiden waren so versunken ineinander, dass sie ihre Umwelt vergaßen.
»Und ich bin froh, dass du mitgekommen bist. Weißt du, wie viel Angst ich hatte, du könntest Nein sagen?«
»Dann kennst du mich aber schlecht.«
Schlagartig verschwand das Lächeln von Désis Lippen.
»Das wird sich in der nächsten Zeit auch kaum ändern.«
Lächelnd und ein wenig melancholisch lauschte Fee dem verliebten Geplänkel.
Schwer vorstellbar, dass Daniel und sie auch einmal so gewesen waren.
Es war Désis Feststellung, die sie wieder an Joshuas schicksalhafte Entscheidung erinnerte. Obwohl sie ihrer Tochter ins Gewissen geredet hatte, empfand auch sie mit einem Mal ein vages Bedauern. Schade um das schöne Paar!, ging es ihr durch den Sinn.
Um der Melancholie nicht zu viel Raum zu lassen, wandte sie sich schnell wieder an Paul, der die Beine baumeln ließ und selbstvergessen ein Lied vor sich hin sang.
»Was hältst du davon, wenn wir mit Daniel zu deiner Omi in die Klinik fahren? Bestimmt ist sie sehr froh, dass du wieder da bist.«
Erstaunt blickte Paul auf und fuchtelte unbeholfen mit der Hand durch die Luft, um eine lästige Fliege zu vertreiben.
»Aber ich war doch gar nicht lange weg.«
»Lange genug, um uns einen gehörigen Schrecken einzujagen.« Joshua wuschelte dem Kleinen durch das Haar. Fee erhob sich vom Tisch.
»Dann machen wir uns mal auf den Weg.«
Das war auch das Signal für Joshua.
»Ich muss auch wieder heim. Wahrscheinlich ist Paola schon wütend, weil ich immer noch nicht fertig bin.«
Dési sah ihn fragend an.
»Kann ich mitkommen?«
»Ja klar, ich würde mich freuen.« Joshua streckte die Arme aus und zog sie hoch.
Zufrieden klatschte Fee in die Hände.
»Dann fehlt eigentlich nur noch Dan.« Sie sah sich suchend um. »Wo steckt er denn schon wieder?«
»Irgendwo im Haus.«
Ein erstickter Schrei, gefolgt von Rumpeln und Krachen, bestätigte Désis Vermutung. Im nächsten Moment stapfte Daniel aus dem Keller. Über das ganze Gesicht strahlend präsentierte er seine Beute.
»Ich wusste doch, dass wir das Krocketspiel noch irgendwo haben. Das können wir später zusammen spielen.« Triumphierend deutete er auf den Wagen mit den bunten Holzschlägern und -kugeln.
Fee überlegte noch, ob das so eine gute Idee war, als Dési und Joshua zum Aufbruch drängten.
»Vielleicht lohnt es sich mehr, wenn ihr den Klinikbesuch auf später verschiebt«, unkte Dési und wog einen der Holzschläger in der Hand. »Wegen der blauen Zehen und so.«
»Wir haben langjährige Übung im Flöhehüten«, erwiderte Daniel. Er klopfte sich den Staub von Hose und Händen und lächelte Paul an, der sich schon an dem Krocket zu schaffen machen wollte. Mit einem Luftballon vom letzten Geburtstag