Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Meldung alles andere als beruhigend war, war seine Stimme besonnen. »Sauger! Vorsichtig!«, mahnte er Matthias Weigand, der sofort zur Stelle war. »Tupfer! Schnell!« Ohne den Blick vom Operationsfeld zu wenden, schüttelte der den Kopf. »Ich sehe nichts. Wahrscheinlich stammt die Blutung aus dem Tumor. Clip!«, verlangte er.
»Ich sage es noch einmal: Wir sollten aufhören«, bemerkte Matthias scharf.
Doch Amir Merizani schien ihn gar nicht zu hören. Unbeirrt fuhr er fort, und Daniel Norden ließ ihn gewähren.
»Einen weiteren Clip!« Ohne sich umzudrehen, streckte er die Hand aus und nahm das Gewünschte entgegen. »Saugen!«, verlangte er dann.
Nervös kontrollierte Dr. Klaiber die Geräte.
»Blutung steht!«, vermeldete Dr. Merizani gleich darauf. Die Kollegen sahen sich kurz an und atmeten auf.
Der Neurologe lächelte.
»Solange die Wurzel im Wasser ist, lebt die Hoffnung auf eine Frucht«, murmelte er. »Wir versuchen einen anderen Weg. Ich habe eine Idee.« Er beugte sich wieder über das Operationsfeld, und nach kurzem Zögern taten es ihm seine Kollegen nach.
*
Svenja stolperte durch die Glastüren der Klinik und direkt in die Arme von Felicitas Norden.
»Da bist du ja wieder!«, begrüßte sie die junge Frau erleichtert. »Wir hatten uns schon Sorgen gemacht.« Svenja kam Fee gerade recht. Sie hatte die Ergebnisse aus dem Labor bekommen. Doch zuerst einmal musste sich ihre junge Freundin beruhigen.
Völlig außer Atem rang Svenja nach Luft.
»Wo … wo ist meine Mutter?«, fragte sie, als sich ihr Atem langsam beruhigte.
Felicitas sah auf die Uhr.
»Soviel ich weiß, wird sie seit einer Stunde operiert.«
»Wann kann ich sie sehen?«
Fee wiegte den Kopf.
»Das kann schon noch eine Weile dauern.« Die junge Frau tat ihr leid. »Hast du Lust auf einen Kaffee? Oder lieber Tee?«
»Ich glaube nicht, dass ich jetzt irgendwas runter bringe.«
»Du solltest aber etwas essen und trinken. Das ist gut für die Nerven«, erwiderte Felicitas freundlich, während sie Svenja in einen der Aufenthaltsräume brachte, die die ehemalige Klinikchefin Jenny Behnisch eigens für die Angehörigen ihrer Patienten eingerichtet hatte. Ungestört vom übrigen Publikum konnten sie dort die nervenaufreibenden Stunden bis zum Ende eines Eingriffs verbringen. Verschiedene Getränke, Kuchen und frisches Obst standen bereit, um die Energiereserven wieder aufzufüllen.
»Ich habe schon gefrühstückt«, murmelte Svenja, entschied sich aber doch für eine Tasse Tee.
Obwohl es Fee als Leiterin der Pädiatrie immer eilig hatte, nahm sie sich Zeit für die junge Frau. Sie schenkte sich selbst eine Tasse Tee ein und setzte sich mit Svenja an einen der Tische.
»Ich weiß, wie schwer es ist, nichts tun zu können.« Wie oft hatte sie selbst gehofft und um das Leben einer ihrer Lieben gebangt! Zu ihr war das Schicksal stets gnädig gewesen, und alle Geschichten waren gut ausgegangen. Gleichzeitig war Fee mehr als bewusst, dass sie Svenja keine ungerechtfertigten Hoffnungen machen durfte. Selbst der einfachste Routineeingriff barg ein Risiko. Ganz zu schweigen von einer Operation am Gehirn.
»Ich werde verrückt, wenn ich daran denke, noch so lange warten zu müssen«, gestand Svenja leise.
»Damit das nicht passiert, habe ich noch eine Neuigkeit für dich«, erwiderte Felicitas und trank einen Schluck Tee. »Ich habe vorhin die Ergebnisse der Blutuntersuchung bekommen.«
Svenjas Augen wurden groß und rund. Wollte sie die Wahrheit wirklich wissen? Plötzlich trommelte ihr Herz wie ein Schlagzeug.
»Und?«
Felicitas lächelte.
»Der Verdacht auf einen Gen-Defekt hat sich nicht bestätigt.« Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als sie sich in einer stürmischen Umarmung wiederfand.
»O Mann, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie froh mich das macht«, stöhnte Svenja über die Maßen erleichtert. Für einen Moment war es Felicitas tatsächlich gelungen, Svenjas Gedanken von der Mutter wegzulocken.
Fee wollte gerade noch ein paar Worte dazu sagen, als sie von einem durchdringenden Geräusch gestört wurde.
»Ich fürchte, ich muss dich jetzt allein lassen«, seufzte sie nach einem Blick auf den Pieper, der sie in die Notaufnahme rief.
»Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich bin ja kein kleines Baby mehr.«
Fee stand schon an der Tür und drehte sich noch einmal um.
»Wir Mütter neigen leider dazu, das hin und wieder zu vergessen.« Sie zwinkerte Svenja zu, ehe sie sich im Laufschritt auf den Weg Richtung Notaufnahme machte. Unterwegs begegnete ihr ein Rollstuhlfahrer.
»Entschuldigung. Kann ich Sie kurz etwas fragen?«, rief er ihr nach.
Fee hielt inne.
»Wenn es nicht lange dauert.«
Kai Heerdegen versprach es.
»Ich bin auf der Suche nach Svenja Wagenknecht und ihrer Mutter Viola.«
»Frau Wagenknecht befindet sich gerade im OP. Aber Sie haben Glück. Zufällig weiß ich, wo Svenja steckt.« Trotz der Eile zögerte Felicitas. In seinem Gesicht hatte sie Züge entdeckt, die ihr bekannt vorkamen. »Sind Sie Svenjas Vater?«
Kai nickte.
»Das ist richtig.« Er hielt ihr die Hand hin. »Kai Heerdegen.«
Felicitas ergriff sie und drückte sie herzlich. Nebenbei stellte sie sich vor.
»Ich wusste nicht, dass Sie im Rollstuhl sitzen …«
»Ein Unfall nach meiner Zeit mit Viola«, erwiderte Kai leichthin.
Fee hätte noch tausend Fragen auf dem Herzen gehabt, die jedoch alle warten mussten.
»Ich muss jetzt leider in die Notaufnahme. Aber wenn Sie den Flur hinunterge …«
»… gehen. Sagen Sie ruhig gehen. Das tun wir Rolli-Fahrer auch dauernd«, beruhigte Kai sie.
Felicitas lächelte.
»Also gut. Wenn Sie den Flur hinunter durch die Glastür gehen, finden Sie links eine Art Aufenthaltsraum. Dort wartet Svenja auf ihre Mutter.«
»Vielen Dank.« Kai hob die Hand zum Gruß. Er legte die Hände an die Reifen, drehte den Rollstuhl mit geschickten Handgriffen um und fuhr davon.
*
Nur ein paar Minuten später stand er in der Tür zum Aufenthaltsraum. In Gedanken versunken stand Svenja am Fenster und blickte in den Garten hinab. Ein paar Kinder spielten Fangen, und für einen kurzen, sehnsüchtigen Moment wünschte sie sich, sie wäre eines von ihnen. Sorglos, unbeschwert, behütet.
Ein Räuspern in ihrem Rücken ließ sie herumfahren. Wortlos starrte sie den Mann im Rollstuhl an, nicht sicher, ob sie lachen oder weinen oder beides gleichzeitig tun sollte. Sie entschied sich gegen beide Optionen.
»Viola ist noch im OP«, erklärte sie stattdessen.
»So etwas kann dauern.« Erleichtert darüber, nicht direkt eine Abfuhr kassiert zu haben, kam Kai herein. Er rollte auf Svenja zu und blieb direkt vor ihr stehen. »Was hast du heute früh damit gemeint, als du gesagt hast, dass du selbst vielleicht nicht mehr lange zu leben hast?«
Zu seiner Erleichterung winkte Viola ab.
»Felicitas Norden hat vorhin Entwarnung gegeben.« Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, um mit ihrem Vater auf Augenhöhe zu sein. »Ich habe die Krankheit nicht von Mama geerbt.«
Kai atmete auf. Am liebsten hätte er sein Kind in die Arme geschlossen. Doch er