Fürstenkrone Box 15 – Adelsroman. Maria Czigler BiancaЧитать онлайн книгу.
und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Christina legte den Arm um die bebenden Schultern und zog Angelika fest an sich.
Mit heißem Mitleid sah Graf Michael auf diese Szene. Das hatten die beiden Damen zum Empfang gewiß nicht erwartet und Christina nach so langen Jahren der Abwesenheit auch nicht verdient, dachte er.
Richard von Seebach hatte eine steile nachdenkliche Falte auf der Stirn, und sein Blick strahlte jene Kälte aus, die allgemein so gefürchtet war.
Cäcilie von Seebach blickte mehr erschrocken als begreifend. Sie faßte sich dann auch als erste. Dem Personal mußte man nicht unbedingt ein Schauspiel bieten, das Ganze war ohnehin peinlich genug.
Sie klatschte leicht in die Hände, sprach abwesend ein paar freundliche Entlassungsworte und sah zu, wie die Leute sich bedrückt und verständnislos zurückzogen. Was hätte sie ihnen auch erklären sollen, verstand sie das Ganze ja selber nicht.
Sie ging auf Christina zu und versuchte zu retten, was doch nicht mehr zu retten war.
»Nimm es bitte nicht so ernst, Christina«, sagte sie, »Anna ist alt geworden und ein wenig wunderlich dazu. Sie weiß oft nicht mehr so recht, was sie tut und spricht. Du darfst das nicht tragisch nehmen. Ich hatte angeordnet, daß Anna nicht erscheinen sollte, weil etwas Derartiges bei ihr immer zu erwarten ist, aber sie hat mein Verbot übertreten. Daraus kannst du schon sehen, daß sie nicht mehr richtig im Kopf ist. Wenn es euch recht ist, lasse ich euch jetzt die Zimmer zeigen, die ich vorerst für euch habe herrichten lassen. Ihr werdet euch vor dem Essen erfrischen wollen. Später werdet ihr sicherlich selbst die Wahl eurer Zimmer treffen, aber ich dachte, daß erst mal…«
»Ja«, bemerkte Christina mit ein wenig starren Lippen, »ich bin dir sehr dankbar für deine Fürsorge und Voraussicht, Cäcilie.«
»Ich habe ein Essen euch zu Ehren richten lassen. Wenn ihr euch also erfrischt habt …«
Christina, schon am Fuß der Freitreppe, wendete sich fast ruckartig um. Ihre Augen waren groß auf Cäcilie gerichtet.
»Gäste? Das ist mir gar nicht lieb. Wir sind müde von der Reise.«
»Aber nein«, lächelte Cäcilie beruhigend, »nur wir. Wir Seebachs werden uns dann auch bald zurückziehen. Aber vielleicht hast du noch Fragen, Christina, vielleicht brauchst du auch meinen Rat. Du warst sehr lange fort, und manches hat sich verändert in der Zeit. Manches wird dir daher fremd erscheinen.«
»Das ist sehr freundlich von dir, Cäcilie.«
Christina wußte kaum, was sie sagte. Alles kam ihr wie mechanisch über die Lippen.
Prinzessin Angelika folgte stumm und ernst.
Später bei Tisch im kleinen, ganz in Weiß und Rot und Gold gehaltenen Speisesaal kam kein richtiges Gespräch mehr zustande.
Christina stocherte in ihrem Essen herum und gab zerstreute Antworten, soviel Mühe Cäcilie sich auch geben mochte, sie zu unterhalten.
Cäcilie war eine vorsichtige Person, und bei all ihren Befürchtungen wollte sie die Beziehungen zu Christina und deren Tochter zunächst einmal möglichst eng gestalten, für den Fall, daß es anders kommen sollte als sie glaubte, und man Christina in der Gesellschaft mit offenen Armen aufnehmen würde. Daher auch ihre viele Mühe bei deren Empfang und ihre jetzige Liebenswürdigkeit. Denn nahm Christina die ihr zukommende Stellung in der Gesellschaft ein, so würde es über diese vielleicht doch möglich sein, eine Einladung zu einem Hofball zu bekommen und damit Zugang zu den höchsten Kreisen zu finden.
Aber sie bemühte sich vergeblich um Christina, und schließlich verstummte auch sie, zumal von ihrem Gatten offenbar keine Unterstützung zu erwarten war. Dieser brütete dumpf über seinem Teller und schien gar nicht zu merken, welche Speisen er in sich hineinstopfte.
Allein zwischen Graf Michael und Angelika flogen ein paar freundliche Blicke hin und her, aber zu einem richtigen Gespräch kam es auch hier nicht.
Helene de Ravoux hingegen hätte es ohnehin niemals gewagt, bei Tisch etwas zu äußern, ohne direkt angesprochen worden zu sein. Cäcilie fand es sowieso verwunderlich, daß eine Kammerfrau mit bei ihnen zu Tisch sitzen konnte.
So ging das recht unerquickliche Essen denn auch bald vorüber, und die Grafen von Seebach verabschiedeten sich danach rasch. Sie waren froh, der merkwürdig steifen Atmosphäre entfliehen zu können.
*
Christina lag zu dieser Zeit in einem der vielen Schlafzimmer des Schlosses auf einer breiten Couch. Sie war in entsetzlicher Verfassung. Einer sonderbaren Starre war eine wilde Verzweiflung gefolgt, die sie förmlich geschüttelt hatte.
Und dann zürnte sie sich selbst dieser Verzweiflung wegen. Das hatte sie doch voraussehen müssen. Sie war doch nicht unvorbereitet auf diese Reise gegangen.
Aber die gute Helene hatte wohl doch recht. Es war nicht leicht zu lügen, nicht für sie, für Christina de Roussillon. Sie hatte ihre Kräfte überschätzt.
Wie gern hätte sie jetzt Helene bei sich gehabt, hätte sich wie in früheren Zeiten von ihr trösten lassen und neuen Mut gefaßt.
Aber Helene de Ravoux war bei Angelika, um die junge Prinzessin zu beruhigen und nach Möglichkeit von dem unerquicklichen Vorfall abzulenken. Sie selbst, Christina, hatte Helene zu Angelika geschickt, da sie sich in ihrer jetzigen Erregung einer solchen Aufgabe nicht gewachsen fühlte.
Als Christina überdachte, was noch vor ihr lag und daß sich solche Begebenheiten jederzeit und völlig unerwartet wiederholen könnten, da floß ein Strom von Tränen über das feine Gesicht, und sie schluchzte laut auf.
Ein leises Klopfen ließ sie zusammenschrecken. Hastig trocknete sie mit einem zarten Tüchlein die Tränen. Es war nicht nötig, daß man sie so sah.
Ohne daß ihre Aufforderung einzutreten abgewartet worden wäre, öffnete sich leise die Tür.
Auf der Schwelle stand die alte Anna.
Ganz ruhig kam die Greisin näher und ohne Christinas stummes Entsetzen zu beachten. Keine Feindseligkeit lag im Blick der Alten.
Sie trat ganz dicht an Christina heran und tastete deren Antlitz förmlich mit ihren Blicken ab. Dann holte sie unter einem Tuch ganz überraschend etwas hervor.
Auf einem hölzernen Teller lagen vor Christinas erstaunten Augen ein Stück dunkles Brot und ein Häufchen Salz.
Auffordernd hielt die Alte es ihr entgegen. Und während Christina das Brot brach und aß, sagte die Greisin zu ihr:
»Auf daß das Glück dir auf allen deinen Wegen zur Seite stehe, dir den Pfad glätte und der Segen des Himmels auf deinem Haupte ruhe.«
Und da geschah etwas, was denen von Seebach noch verwunderlicher erschienen wäre, hätten sie es sehen können.
Die schöne, die stolze, die reiche Marquise Christina de Roussillon brach vor der alten einfachen Dienerin in die Knie und beugte ihr Haupt mit den goldenen Locken vor ihr. Und während sie das tat, bat sie schluchzend: »Vergib mir, Anna! Du allein hast das Recht, mich zu richten.«
Anna legte ihr die alte runzlige Hand auf den Kopf und entgegnete still: »Niemand hat das Recht, zu urteilen und zu richten über dich, als unser Herr dort droben. Und der sieht tiefer und ist gerechter als alle Menschen auf der Erde. Ihm solltest du vertrauen. Er wird dich sicher geleiten, denn gut ist deine Absicht. «
Ein tiefer Friede zog in Christinas Herz. Die weisen Worte der Alten bedeuteten ihr Trost und gaben ihr ihre Zuversicht und ihren Mut wieder.
Ja, sie mußte auf ein gnädig gelenktes Geschick vertrauen, der Menschen Macht vermochte in dieser Sache nichts zu tun, und nicht der Menschen Urteil hatte sie zu fürchten.
Sie erhob sich und strich das Kleid glatt. Leichter war ihr jetzt ums Herz.
»Ich danke dir, Anna«, sagte sie leise, »und ich werde dir deine Worte niemals vergessen. Du weißt nicht, was sie für mich bedeuten.«
Anna