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Seemanns-Legende und andere Erzählungen. Henryk SienkiewiczЧитать онлайн книгу.

Seemanns-Legende und andere Erzählungen - Henryk Sienkiewicz


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Hans zu sich selbst, »wenn sie stirbt, werde ich morgen ohne Urteilsspruch gelyncht.« Und vor Schreck sträubten sich seine Haare auf dem Kopf. Es war kein anderer Ausweg. – Hans brachte so schnell wie möglich den Schlüssel, um das Fangeisen zu öffnen. Das ging aber nicht so leicht, denn der Schlafrock des Fräulein Naumann war hinderlich. Man mußte ihn ein wenig emporschürzen und trotz des Hasses und des Schreckens, konnte Hans sich nicht enthalten, seine Blicke auf die schönen, wie aus Marmor gemeißelten, vom roten Mondlicht beschienenen Füßchen seiner Widersacherin zu werfen.

      Man hätte sagen können, daß sein Haß jetzt mit Mitleid gepaart sei. Er öffnete rasch das Eisen, und da sie sich noch nicht rührte, nahm er sie auf die Arme und trug sie schnell nach ihrer Wohnung. Dann kehrte er zurück und vermochte die ganze Nacht kein Auge zu schließen.

      Am folgenden Tage kam Fräulein Naumann aus ihrem Laden nicht zum Vorschein. Sie schämte sich vielleicht oder schmiedete schweigend Rache. Und so war es.

      Noch am Abend desselben Tages forderte der Redakteur der »Samstag-Wochen-Rundschau« Hans zum Boxerkampfe heraus und gleich bei Beginn schlug er ihm ein Auge grün und blau. Aber Hans, zur Verzweiflung gebracht, versetzte ihm schreckliche Schläge, daß nach einer kurzen vergeblichen Gegenwehr der Redakteur der Länge nach hinstürzte, indem er rief: »Genug! genug!«

      Es ist unbekannt, auf welche Weise die ganze Stadt von dem nächtlichen Abenteuer des Fräulein Naumann erfuhr.

      Nach dem Faustkampfe mit dem Redakteur verschwand wiederum in Hans’ Herzen das Mitleid für die Feindin und der Haß blieb zurück.

      Hans ahnte, daß ihn nun ein unverhoffter Schlag von gehässiger Hand treffen wird, und er sollte auch nicht lange darauf warten. Die Eigentümer von Gemischtwaren-Handlungen hängen häufig vor ihren Läden Bekanntmachungen über verschiedene Waren auf, die gewöhnlich »Notice« betitelt sind. Anderseits muß man wissen, daß die Kaufleute gewöhnlich den Schankwirten Eis verkaufen, ohne welches ein Amerikaner weder Whisky noch Bier trinkt.

      Mit einem Male machte Hans die Wahrnehmung, daß man ganz aufhörte, von ihm Eis zu beziehen. Die großen Eisschollen, die er per Bahn bekommen und eingekellert hatte, schmolzen. Der Schaden war beträchtlich. Warum? Weshalb? Hans sah, daß seine Anhänger jetzt täglich bei Fräulein Naumann Eis kauften. Er begriff nicht, was das bedeute, um so weniger, als er sich mit keinem Schankwirt gezankt hatte.

      Er beschloß, sich über die Sache Aufklärung zu verschaffen. »Warum nehmt Ihr kein Eis mehr von mir?« fragte er in gebrochenem Englisch den Schankwirt Peters, der an seinem Laden vorbeiging.

      »Weil Ihr keins habt.«

      »Wie denn, ich habe keins?«

      »Nun ich weiß es ja.«

      »Aber ich habe ja Eis auf Lager.«

      »Und was ist das?« fragte der Schankwirt, mit dem Finger auf die am Hause angebrachte Bekanntmachung weisend.

      Hans blickte hin und wurde grün vor Wut. Jemand hatte in seiner Anzeige in dem Worte »Notice« das »t« aus der Mitte weggekratzt, infolgedessen aus dem Wort »No ice« wurde. Dies bedeutet im Englischen: Kein Eis.

      »Donnerwetter!« schrie Hans auf und stürzte wutschnaubend in den Laden des Fräulein Naumann. »Das ist eine Gemeinheit.« schrie er. »Warum haben Sie mir einen Buchstaben aus der Mitte ausgekratzt?«

      »Was habe ich Ihnen aus der Mitte ausgekratzt? Was habe ich Ihnen aus der Mitte ausgekratzt?« sagte Fräulein Naumann, die Einfältige spielend.

      »Ich sage einen Buchstaben, ein ›t‹. Sie haben mir ein ›t‹ ausgekratzt. Aber, goddam, das lasse ich mir nicht gefallen. Sie müssen mir dafür zahlen, goddam! goddam!« Und seine gewöhnliche Kaltblütigkeit verlierend, begann er wie besessen zu brüllen.

      Daraufhin schlug Fräulein Naumann Lärm. Die Leute kamen gerannt.

      »Zu Hilfe!« rief Fräulein Naumann aus. »Der Deutsche ist verrückt geworden. Er sagt, ich habe ihm etwas ausgekratzt. Was hätte ich ihm auskratzen sollen? Ich habe nichts ausgekratzt! O, bei Gott, wenn ich könnte, würde ich ihm die Augen auskratzen! Ich arme, verlassene Frau, er wird mich totschlagen, ermorden!«

      So schreiend, vergoß sie bittere Tränen. Die Amerikaner verstanden zwar nicht, um was es sich handelte, aber sie können Frauentränen nicht ertragen und so wurde Hans am Kragen gepackt und zur Tür hinausspediert. Er wollte Widerstand leisten, flog aber über die Gasse hinüber in seine eigene Ladentür und fiel dort der Länge nach hin.

      Eine Woche später hing über seinem Laden ein riesiges malerisches Schild. Es stellte einen mit einem karierten Kleide und weißer Schürze mit Achselbändern bekleideten Affen dar, ganz so wie Fräulein Naumann. Darunter befand sich eine Aufschrift mit großen gelben Lettern: »Kaufladen zum Affen«.

      Die Leute strömten herbei, um sich die Sache anzusehen. Das Lachen lockte Fräulein Naumann vor die Tür. Sie kam, sah es und erblaßte, aber die Geistesgegenwart nicht verlierend, rief sie aus: »Kaufladen zum Affen? Kein Wunder, denn Herr Kasche wohnt oberhalb des Ladens, ha, ha!«

      Aber der Stich traf sie ins Herz. Um die Mittagszeit sah sie, wie die Kinderscharen, die aus der Schule kamen, an dem Laden vor dem Schilde stehen blieben und riefen: »O das ist Miß Naumann. Guten Abend, Miß Naumann!«

      Das war zu stark. Als der Redakteur abends zu ihr kam, sagte sie: »Dieser Affe, das soll ich sein, ich weiß, daß ich es sein soll. Das soll ihm aber nicht geschenkt werden. Er muß diesen Affen in meinem Beisein herunternehmen und mit seiner eigenen Zunge ablecken.«

      »Was wollen Sie tun?«

      »Ich gehe sofort zum Richter.«

      Frühmorgens ging sie zu Hans herüber und sagte sie: »Hören Sie, Herr Deutscher, ich weiß, daß ich dieser Affe sein soll, aber kommen Sie nur mit mir zum Richter. Wir wollen sehen, was der dazu sagen wird.«

      »Er wird sagen, daß ich über meinen Laden malen darf, was mir beliebt.«

      »Das werden wir gleich sehen.« Fräulein Naumann vermochte kaum zu atmen.

      »Und woher wissen Sie, daß Sie dieser Affe sein sollen?«

      »Weil Sie meine Tracht nachgeahmt haben. Kommen Sie zum Richter, und wenn nicht, wird Sie der Sheriff holen.«

      »Gut, ich werde mitgehen,« sagte Hans, seiner Sache sicher.

      Sie sperrten die Geschäftsläden zu und gingen zum Richter. Erst knapp vor der Tür erinnerten sie sich, daß sie beide nicht genug Englisch konnten, um die Sache zu erklären. Was also tun? Aber der Sheriff als polnischer Jude kann Deutsch und Englisch. »Also versuchen wir es.«

      Aber der Sheriff war eben im Begriff wegzufahren. »Geht zum Teufel!« schrie er. »Die ganze Stadt ist durch Euch beunruhigt. Ich fahre zum Lumber. Good bye.« Und er fuhr davon.

      Hans griff sich an den Kopf. »Sie müssen bis morgen warten,« sagte er phlegmatisch.

      »Ich soll warten? Lieber sterben! Außer, wenn Sie den Affen herunternehmen.«

      »Den Affen werde ich nicht entfernen.«

      »So werden Sie baumeln, Deutscher. Sie werden gehenkt werden! Es wird auch ohne Sheriff gehen. Der Richter weiß auch, um was es sich handelt.«

      »Nun, so gehen wir ohne Sheriff,« sagte er.

      Aber Fräulein Naumann befand sich in einem Irrtum. In der ganzen Stadt wußte allein der Richter nichts von ihrer Befehdung. Der wackere Greis war nur mit seinen »Arzeneien« beschäftigt und glaubte damit die Welt zu erlösen. Er empfing sie höflich und freundlich, wie er gewöhnlich jeden empfing.

      »Kinder, zeigt Eure Zungen,« sagte er. »Ich werde Euch gleich was verschreiben.«

      Beide begannen zum Zeichen, daß sie keine Arzeneien mögen, mit den Händen zu fuchteln.

      Fräulein Naumann wiederholte: »Das brauchen wir nicht, das nicht.«

      »Also was?«


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