Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten. Gustav WeilЧитать онлайн книгу.
Mann befohlen hatte. Der Böse wachte neben ihr, und als er sah, daß sie sich selbst vergessen, dachte er: Nun ist es Zeit, daß wir den Menschen in ihr erschaffen, denn sie steht jetzt nicht in Gottes Obhut.
Darauf legte der Teufel sich zu ihr, und sie empfing, vergraben im festen Schlafe. Gleich nachher erwachte sie, und ihr erster Gedanke war an den frommen Einsiedler; sogleich machte sie das Zeichen des Kreuzes über sich. »Heilige Jungfrau Maria«, betete sie, »wie ist mir geschehen? Ich fühle mich entehrt! Selige Mutter Gottes, bitte Deinen glorreichen Sohn für mich, daß er meine Seele vor Verdammnis bewahre, meinen Leib vor Qualen, und mich schütze gegen die Macht des Bösen.« Nachdem sie so gebetet hatte, stand sie auf von ihrem Bett, und sann herum auf alle ihre Bekannte und suchte zu erraten, welcher Mensch ihr solches wohl möchte getan haben. Sie lief und untersuchte die Tür, fand sie aber dicht verschlossen, so wie sie selbst sie verschlossen hatte, ehe sie sich niederlegte; suchte auch allenthalben in ihrer Kammer herum, ohne etwas zu finden. Da ward sie es gewahr, daß sie vom bösen Feind überlistet und entehrt sei; warf sich sofort auf ihre Knie und betete lang und inbrünstig zu Gott, daß er sie in seinen Schutz nehmen und sie vor Schande bewahren möge. Als der Tag anbrach, führte der böse Feind die Schwester samt den jungen Leuten wieder zum Hause hinaus; da stand sie auf vom Gebet, öffnete ihre Kammer und überließ sich ganz ihrem übermäßigen Schmerz. Darauf ließ sie durch ihren Diener zwei ehrbare Frauen holen, und von diesen begleitet, ging sie sogleich zu ihrem Einsiedler, um zu beichten. Und wie der fromme Mann sie so voller Leid sah und sie darum befragte, erzählte sie ihm alles, was ihr in dieser Nacht geschehen war; gestand auch ein, daß sie im Zorn seinen Befehl vergessen, und wie sie dann im Schlafe sich entehrt gefühlt habe, ohne einen Mann zu kennen, von dem sie dies vermuten könne, da ihre Tür fest verschlossen gewesen und sie niemand in der Kammer gefunden habe.
Der fromme Mann glaubte ihr erst nicht und beschuldigte sie der Lüge; da sie aber fest auf allem bestand und große Betrübnis zeigte, legte er ihr eine strenge Buße auf, weil sie seinen Befehl vergessen hatte. Die nahm sie weinend an und versprach sie lebenslänglich zu halten; die Buße nämlich, so lange sie lebe, nur einmal am Tag zu essen. Nachdem sie dies gewiß zu halten versprochen, segnete er sie und betete über sie, sagte ihr auch, daß sie jedesmal wieder zu ihm kommen solle, wenn sie seines Trostes bedürfe. Sie ging nach Hause und der böse Geist fand sich zu seinem Verdruß durch ihre Reinheit und Frömmigkeit getäuscht, denn obgleich er sie im Schlafe betrogen, konnte er ihre Seele dennoch nicht verderben und hatte nicht im geringsten Gewalt über sie.
IV. Merlin, der des Teufels und Gottes ist, und von beiden erstaunliche Gaben mitbekommt
Nach einiger Zeit wuchs das Kind im Leibe der Jungfrau, und ihre Schwangerschaft wurde sichtbar vor den Augen aller Menschen. Es kamen dann viele Leute zu ihr und fragten sie, da sie ihren Zustand nicht leugnen konnte, wer der Mann sei. »So gebe Gott mir Freude«, antwortete sie, »ich weiß es nicht, von wem ich das Kind habe.« Da verspotteten sie sie, und sagten mit Gelächter: »Also hattest Du mit so vielen Männern zu schaffen, daß Du den Vater Deines Kindes nicht kennst?« – »Niemals«, antwortete sie, »mag ich erlöst werden, wenn ich jemals einen Mann gekannt oder ein Mann meines Willens oder Wissens mit mir zu schaffen gehabt!«
Da machten die anwesenden Frauen das Zeichen des Kreuzes. »Dies ist nicht möglich«, sagten sie, »dies geschieht keiner Frau. Vielmehr denken wir, Du liebst den Mann, der Dich verführte, mehr als Dich selbst, und willst ihn nicht anklagen. Sehr schade ist es um Dich; wenn die Richter es erfahren, so mußt du sterben.« Die Jungfrau wiederholte noch einmal, daß sie von keinem Manne wisse. Die Weiber entfernten sich, erklärten sie für wahnsinnig und meinten, die Reichtümer des Vaters müßten ein übel erworbenes Gut sein, weil nun alles so verloren gehe, und es an den Kindern gestraft werde. Die Jungfrau war sehr erschrocken, ging sogleich wieder zu dem Einsiedler und erzählte ihm alles das, was die Leute zu ihr gesagt hatten. Da der fromme Mann sie wirklich schwangeren Leibes sah, konnte er sein Erstaunen nicht verbergen, fragte sie auch, ob seitdem dieses Wunderbare sich nicht wieder ereignet, und ob sie ihre Buße und seine übrigen Befehle ordentlich gehalten habe. Das erste verneinte sie, auf das letzte aber antwortete sie mit Ja.
Der fromme Einsiedler, über dieses Wunder ganz erstaunt, schrieb Nacht und Stunde auf, wo sie zuerst ihm davon gebeichtet. »Jetzt«, sagte er, »werde ich es genau wissen, ob Du mir Lügen sagtest oder nicht; denn ich vertraue auf Gott und glaube, daß er Dich, wofern Du Wahrheit redetest, nicht wird sterben lassen; aber die Furcht vor dem Tode wirst Du doch ausstehen müssen. Denn sie werden sagen, daß die Strafe Dir von Rechtswegen zukomme; aber eigentlich werden sie Dich um Deines großen Reichtums willen gern umbringen wollen. Sobald Du aber ins Gefängnis gesetzt wirst, laß es mich wissen; ich will Dir, wo möglich, zu Hilfe kommen.«
Die Jungfrau wurde wirklich bald hernach vor die Richter gefordert, und alsbald sandte sie nach dem Einsiedler, der sich sogleich auf den Weg zu ihr machte. Als er aber ankam, stand sie schon vor Gericht. Sobald die Richter den frommen Mann erblickten, erzählten sie ihm die Begebenheit und fragten ihn, ob er wohl glaube, daß ein Weib empfangen könne, ohne mit einem Manne Umgang zu pflegen. »Ich weiß Euch hierüber nichts zu sagen«, antwortete er; »aber mein Rat ist, daß Ihr sie nicht während ihrer Schwangerschaft hinrichtet, denn es ist weder recht noch billig, daß das Kind mit bestraft werde, da es doch nicht gesündigt hat.« Diesen Worten beschlossen die Richter zu folgen. Er riet ihnen auch, sie in einen festgeschlossenen Turm zu bringen und ihr zwei Weiber mitzugeben, die ihr in der Stunde der Geburt hülfen; aber kein anderer Mensch dürfe zu ihr gelassen werden. Er riet ihnen ferner, die Mutter leben zu lassen, bis das Kind reden könne; »alsdann«, sagte er, »werdet Ihr die Wahrheit erfahren und sie nach der Gerechtigkeit richten können.« Die Richter taten alles nach dem Rat des frommen Einsiedlers, gaben ihr zwei Frauen mit in den Turm, die geschicktesten und verständigsten Hebammen und Wärterinnen zu der Zeit; oben im Turm ward ein Fenster gemacht, durch welches man ihnen alles, wessen sie benötigten, reichen konnte.
Ehe die Jungfrau hineingeführt wurde, sagte ihr der Einsiedler: »Meine Tochter, laß Dein Kind taufen, wenn Du niedergekommen bist; und sollten sie Dich hinrichten wollen, so sende nach mir und laß mich rufen.«
Als nun die Zeit der Geburt gekommen war, gebar sie einen Sohn, der die Macht und den Willen des bösen Feindes, seines Erzeugers, haben sollte; aber Satan hatte töricht sich betrogen, indem er die Jungfrau im Schlaf betrog, aber ihre Seele nicht verführte, die ganz des Herrn voll war. Auch war sie gleich, nachdem sie aufwachte, aufgestanden, hatte andächtig gebetet und sich der Dreieinigkeit empfohlen; war dann, so schnell sie konnte, zu dem frommen Mann gelaufen, hatte gebeichtet, Gott und die heilige Kirche angerufen, und Buße und Absolution empfangen; seitdem auch Gottes und der Kirche Gebote auf das treulichste befolgt. Daher kam es, daß der böse Feind wieder verlor, was er erobert zu haben glaubte.
Das Kind der Jungfrau ähnelte darin seinem Erzeuger, dem Teufel, daß es alles wußte, was in der gegenwärtigen Zeit geschah und gesprochen wurde, aber durch die Frömmigkeit der Mutter und vermittelst der Reinigung der Taufe und der Gnade Gottes, erhielt es von Gott die Gabe, die Zukunft vorher zu wissen; so daß das Kind sich Gott oder dem Satan anheim geben konnte, oder auch Gott wiedergeben, was es von ihm hatte, und dem Teufel, was es von dem Teufel hatte. Der Teufel hatte ihm bloß den Körper, Gott aber hatte ihm die Seele und den Verstand gegeben, und zwar diesem Kind mehr als jedem andern, weil es ihm Not tat.
Als er zur Welt kam, fürchteten sich die Frauen vor ihm, denn er war groß und ganz behaart, und niemals hatten sie ein solches Kind zur Welt kommen sehen. Sie überreichten ihn der Mutter, die ein Kreuz machte, als sie seiner ansichtig ward. »Mein Sohn, Du erschreckst mich«, sagte sie. »Auch wir«, sagten die Frauen, »sind so über seinen Anblick erschrocken, daß wir ihn kaum halten können.« Die Mutter befahl, daß man ihn zum Fenster hinunterlasse, damit er getauft würde. »Wie soll er heißen?« fragten die Frauen. »Gebt ihm den Namen, den mein Vater hatte«, antwortete sie, »er hieß Merlin.« Es geschah also; das Kind wurde zum Fenster hinunter gelassen, das Volk nahm ihn, ließ ihn taufen und gab ihm auf Verlangen der Frauen, im Auftrag der Mutter, den Namen Merlin, wie sein Großvater hieß. Darauf wurde