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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl MayЧитать онлайн книгу.

Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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      »Da unten im Walde, unweit der Tannenschlucht.«

      »Wohin bringt man Sie jetzt?«

      »An den Thatort.«

      »Ich gehe mit. Meine Herren, kommen Sie!«

      Den Gefangenen, welcher vor Scham tief in die Erde hätte versinken mögen, voran, setzte sich der Zug in Bewegung. Die Herren der Commission staunten nicht wenig, als sie den Monarchen und sein hohes Gefolge erblickten. Der König schaute außerordentlich ernst, ja finster d'rein. Er befahl den Amtmann zu sich, trat mit diesem auf die Seite und ließ sich Bericht erstatten. Eben als der Amtmann zu Ende war, ließen sich nahende, fast stürmisch eilige Schritte hören. Der Förster nahte.

      Er hatte im Walde zu thun gehabt und auf dem Heimwege im Dorfe erfahren, was geschehen war und daß sein Sohn des Doppelmordes angeklagt sei. Er war im Dauerlaufe herbeigekommen und drängte sich fast athemlos durch die Menge. Er sah seinen Sohn in Fesseln, er sah alle die Anderen, auch den König; aber er beachtete sie alle nicht, sondern er wendete sich direct an den Amtmann:

      »Herr Richter,« sagte er, »mein Sohn soll zwei Menschen ermordet haben, hinterrücks ermordet?«

      »Regen Sie sich nicht auf, Herr Förster,« bat der Angeredete, »ich gebe Ihnen die Versicherung, daß –«

      »Geben? Eine Versicherung geben? Ich brauche sie nicht. Ich will wissen, ob der Junge ein Mörder ist oder nicht!«

      »Die Untersuchung wird das resultiren.«

      »Die Untersuchung? Ja, die wollen wir sogleich beginnen!«

      Er trat zur Leiche des Hauptmannes und untersuchte sie. Dann wendete er sich an seinen Sohn. Sein Gesicht war kalt, fast gefühllos zu nennen.

      »Erzähle!« gebot er.

      Da trat der Amtmann herbei und sagte:

      »Mein lieber Herr Brandt, die Untersuchung zu führen, ist meines Amtes. Sie dürfen überzeugt sein, daß –«

      Der Förster unterbrach ihn durch eine rasche Handbewegung und sagte, beinahe aufbrausend:

      »Ueberzeugt? Wovon wollen Sie mich überzeugen? Ich kann mich schon selbst überzeugen!« Und sich direct an den Monarchen wendend, fragte er: »Königliche Majestät, ist es mir erlaubt, mit meinem Sohne zu sprechen?«

      Es war ein sonderbarer Fall, ein Ausnahme-Fall; aber der Monarch kannte den alten Ehrenmann und nickte ihm Gewährung zu. Dann fragte der Förster seinen Sohn:

      »Hier an der Stelle, an welcher er liegt, hat ihn die Kugel getroffen?«

      »Ja,« antwortete Gustav. »Zwei Kugeln sind es gewesen.«

      »Pah! Dann wird mir das Herz leicht. Du bist der Mörder nicht, denn bei Dir hätte es eine Kugel gethan. Wo sind sie hergekommen?«

      »Von hier heraus.«

      »Wo warst Du?«

      »Ich stand hier neben ihm. Er hatte mich gestern beleidigt. Wir trafen uns hier; er war zur Einsicht gekommen und bat mir die Beleidigung ab. Da kamen die Kugeln.«

      »So hat Einer geschossen, dem an Eurer Aussöhnung nichts gelegen war, oder der gerade das, worüber Ihr Euch veruneinigt, auch gern haben wollte. Erzähle!«

      Gustav erstattete so ausführlich Bericht, wie es ihm möglich war. Als er geendet hatte, blieb selbst dem Amtmanne nichts zu fragen übrig. Der alte Forstmann aber sagte:

      »Junge, tritt einmal her zu mir! So, gerade vor mich her! Nun guck' mir in die Augen! Fest, ruhig und offen! Ah, Du kannst es ja noch! Du schlägst die Augen nicht nieder! Du bist unschuldig! Dein Vater kennt Dich! Hättest Du nur mit der Wimper gezuckt, so wärest Du der Mörder, und ich hätte selbst Gerechtigkeit geübt, hier und sofort. Siehst Du, da mit der Doppelbüchse: Eine Kugel für Dich und eine für mich. Dann war es schnell aus mit uns und mit der Schande. Da Du aber unschuldig bist, so gehe mit Gott. Sie führen Dich in das Gefängniß; aber das thut nichts! In unserem Lande giebt es einen guten König und gerechte Richter, und über uns wacht der liebe Gott, und Dein alter Vater und Deine alte Mutter werden für Dich beten!«

      – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

      Monate waren vergangen; der Winter war gekommen und hatte dem Frühlinge weichen müssen. Dennoch war Vieles nicht anders geworden. Der Gerichtsarzt hatte recht gehabt. Alma war einem sehr gefährlichen und langwierigen Fieber verfallen, und da sie in dem Processe gegen Brandt die Hauptzeugin war, so mußte die Untersuchung bis zu ihrer Genesung ruhen.

      Die pflichteifrigen Beamten hielten es nicht für unmöglich, daß der Angeklagte schuldlos sei. Sie thaten Alles, was zu seiner Rettung in ihrer Macht stand, aber der Beweise gegen ihn waren zu viele und klare, und der Baron verhielt sich so schlau, daß es unmöglich war, gegen ihn vorzugehen.

      Als die Voruntersuchung beendet war, hatte man Brandt nach der Residenz gebracht, wo so schwere Verbrechen abgeurtheilt zu werden pflegten. Endlich hatte man das Material zusammen; Beweise für oder gegen ihn schienen nicht mehr auffindbar zu sein, und so wurde der Termin zur öffentlichen Verhandlung festgesetzt.

      Drei Tage vor diesem Termine schritten zwei Männer, in einem eifrigen Gespräche begriffen, auf der Vicinalstraße dahin, welche von Helfenstein aus in östlicher Richtung durch das Gebirge führt. Es war der Schmied mit seinem Sohne. Was sie besprachen, schien, nach den Gesten zu beurtheilen, mit denen sie ihre Reden begleiteten, für sie von großer Wichtigkeit zu sein.

      »Nun sage mir aber auch, wohin wir gehen,« meinte der Sohn.

      »Wohin? Kannst Du Dir das nicht denken?« fragte der Vater.

      »O doch!«

      »Nun, wohin?«

      »Nach der Eisenbahn.«

      »Hm! Du denkst, wir werden mit der Bahn fahren? Wohin denn?«

      »Nach der Residenz.«

      »Und was wollen wir dort?«

      »Den Brandt retten. Weißt Du, erst war ich ihm ungeheuer bös, daß er damals der Gesellschaft solchen Schaden gemacht hat, aber er ist mein Schulkamerad und stets ein guter Kerl gewesen, obgleich der ermordete Baron gern einen großen Herrn aus ihm gemacht hätte. Nun werden sie ihn verurtheilen und aufknüpfen, unschuldig, wie wir Beide wissen. Das ist doch sehr traurig, und wir haben ihn auf dem Gewissen!«

      »Du redest wahrhaftig wie ein Katechismus!«

      »Nun, habe ich nicht Recht? Geht es nach der Residenz?«

      »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es hängt das ab von dem Manne, zu dem wir jetzt gehen.«

      »Wer ist das?«

      »Baron Franz von Helfenstein.«

      »Ah! Zu dem willst Du? Was sollen wir bei ihm?«

      »Närrischer Kerl, kannst Du Dir das nicht denken?«

      »Nein.«

      »So bist Du dümmer als Dein Vater.«

      »Sage es; da brauche ich nicht zu rathen.«

      »Das ist unnöthig. Du wirst hören, was ich mit ihm spreche, und brauchst dann nur immer das zu wollen, was ich will.«

      Sie gelangten in ein Dörfchen, welches zu einer Herrschaft gehörte. Der Edelsitz sah eher einem alten Bauernhause als einem Schlosse ähnlich. Er war das einzige und sehr verschuldete Eigenthum des Barons Franz von Helfenstein. Der Sommer war noch nicht in das Land gekommen, die Zeit zu einer Villeggiatur war also noch nicht da; aber der Baron wohnte doch bereits seit einigen Wochen hier. Er war wieder einmal gezwungen gewesen, vor seinen Gläubigern in diese Einsamkeit zu entfliehen.

      Er saß höchst mißmuthig in einer nichts weniger als fein möblirten Stube und rauchte eine Cigarre, welche im Tausend gewiß nicht über zwanzig Thaler zu stehen kam. Er hatte Unglück im Spiel gehabt und


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