Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl MayЧитать онлайн книгу.
Ist's denn gar zu schwer? Wir führen heute um Mitternacht unsere Waaren hier durch die Schlucht, und um zu erfahren, ob die Grenzer vielleicht ihr Augenmerk auf diesen Ort gerichtet haben, müssen wir ihn bewachen. Das ist keine Riesenarbeit. Uebrigens ist es für lange Zeit das letzte Geschäft, welches wir machen.«
»Und vielleicht auch das einträglichste, welches jemals unternommen worden ist.«
»Gewiß! Wenn es nur gelingt.«
»Warum nicht. Drei ohne Packete, aber mit Gewehren voran, dann die Träger und dann wieder Drei mit Gewehren. Es muß gelingen. Dann giebt es Ferien, weil man uns diesen Brandt auf den Hals schickt. Dieser Kerl ist erst ein halber Mann, soll aber den Teufel im Leibe haben.«
»Kennst Du ihn?«
»Nein, aber gehört habe ich von ihm. Er soll ein geborenes Polizeigenie sein und eine Nase besitzen, wie selten Einer. Der Baron von Helfenstein hat ihn mit seiner Tochter erziehen und dann die Juristerei studiren lassen. Na, uns wird er keinen Schaden machen, da wir ja Pause haben. Uebrigens hast Du doch nicht vergessen, was wir ausgemacht haben von wegen – – –«
Er hielt inne. Der Andere nickte zustimmend.
»Ja, ja. Wenn der heutige Coup mißlingt, dann ist ihm sein Brod gebacken. Alle waren gegen die Tannenschlucht; er aber bleibt bei seinem Willen. Werden wir gepackt, so bekommt er eine Kugel – ganz besonders meines Bruders wegen, den er in das Gras hat beißen lassen.«
Brandt verstand diese letzteren Worte nicht vollständig. Er konnte auch gar nicht wissen, daß Ella's Bruder gemeint war, der Anführer der Schmuggler.
Er hatte genug gehört; er konnte sehr leicht bemerkt werden und entschloß sich daher, sich lieber zurückzuziehen. Noch nicht einmal in Helfenstein und bei den Eltern angekommen, sah er sich bereits von einem ganz bedeutenden Schmugglerunternehmen unterrichtet. Das war ein Glück! Er hatte gehört, daß man einigermaßen Respect vor ihm hatte, und nun bot sich ihm die Gelegenheit, das Vertrauen, welches ihm seine Vorgesetzten erwiesen hatten, gleich am ersten Tage zu rechtfertigen. Er wollte erst den Tannenstein ersteigen, um zu sehen, was Ella eigentlich gemeint habe, und dann aber schleunigst die geeigneten Maßregeln zur Habhaftwerdung der heutigen Contrebande ergreifen.
Er klimmte die steile Höhe mit Leichtigkeit empor. Er war als Knabe diesen nicht ungefährlichen Pfad viele hundert Male empor gestiegen. Er erreichte die Plattform und stand bereits im Begriff, durch das hier befindliche Wildkirschengebüsch sich nach der andern Seite zu drängen, wo die Aussicht eine freiere war, als er plötzlich in dieser Bewegung inne hielt.
»Ah, das ist sie!« flüsterte er. »Das ist Alma! O Gott, wie schön, wie schön sie geworden ist!«
Sein Auge war mit entzücktem Ausdrucke auf die Gestalt des schönen Mädchens gerichtet, welches da vorn an der Balustrade lehnte. Giebt es schon von Künstlerhänden gefertigte Bilder reizender Frauen, von denen man den Blick fast nur mit Gewalt abzuwenden vermag, wie viel mehr muß das Auge gefesselt sein von einem Meisterstücke des Schöpfungswerkes. Und Alma war ein solches Meisterwerk. Wenn der Mann ein Bild der göttlichen Allmacht und das Weib ein Bild der geistigen Liebe sein soll, so war das herrliche Wesen, welches hier von dieser Höhe in die Tiefe niederschaute, eine ganz unvergleichliche Incarnation des Gedankens einer Liebe, welche die Bestimmung hat, die Erde mit der Seligkeit des Himmels zu begnadigen.
Zwar vermag die Feder des Dichters Manches und Vieles zu schildern, was der Pinsel des Malers und der Meisel des Bildhauers nicht wiederzugeben vermögen; aber die Schönheit Alma's zu beschreiben, das wäre eine Unmöglichkeit. Die Vorzüge der Cirkassierin, der Hindu, der Perserin, der Europäerin, des Fellahweibes waren hier in einer Person zu einem harmonischen Ganzen vereinigt, dessen einzelne Schönheiten zu classificiren geradezu Vermessenheit gewesen wäre. In ein weißes Gewand gekleidet, über welches die langen, dichten, goldblonden Locken sinnbethörend niederflutheten, glich dieses Mädchen einer jener Feen- oder Engelsgestalten, von denen uns unsere Märchen erzählen, und welche uns die Phantasie nur im Traume hervorzuzaubern vermag. Dieses helle, metallisch schimmernde Haar, die reine, unschuldsvolle Stirn, das große azurblaue Auge, dessen Himmel keine Sonne zu besitzen, sondern selbst Sonne zu sein schien, dieser Teint, vom Schöpfer aus Schnee und Morgenroth componirt – das Alles war so hell, so lichtreich, als habe die Sonne eine ihrer Bewohnerinnen herniedergesandt, um zu offenbaren, warum sie leuchtet.
»Ja, sie ist es noch,« lispelte Gustav Brandt, »was sie früher war, wie ich sie immer nannte: ein warmer, reiner, goldener Sonnenstrahl!«
Und doch bemerkte er, daß es trüb auf ihrem schönen Angesichte lag, gar nicht wie ein Sinnen der Zufriedenheit und des Glückes. War es wahr, daß sie einen Bräutigam hatte? Und war es gerade dieser Umstand, welcher sie so traurig stimmte? Fast schien es ihm, als ob sie geweint habe.
Er hielt das Auge lange und forschend auf sie gerichtet. Sie war noch die alte und doch zugleich eine Andere, eine ganz Andere, so daß Gustav zögerte, sich ihr bemerklich zu machen. So lieb, gut und mild, ganz wie früher, war sie doch jetzt von einer Hoheit umflossen, welche jede unerlaubte Annäherung zur Sünde zu erklären schien. Und doch stand gerade in diesem Augenblicke eine solche Annäherung bevor. Es wurden Schritte hörbar. Als Alma sich langsam umdrehte und den Nahenden erblickte, umdüsterte sich ihr Angesicht noch mehr. Franz von Helfenstein, ihr Cousin, war es, welcher kam.
Brandt ahnte, was kommen werde. Er wollte sich kein Wort entgehen lassen. Wer weiß, in welcher Gefahr sich das schöne, liebe Mädchen befand. Darum beschloß er, sich den Beiden unbemerkt noch mehr zu nähern. Da ihm aber Stock und Ränzchen dabei hinderlich waren, legte er Beides ab. Dann duckte er sich zwischen die Büsche nieder und kroch so weit vorwärts, als möglich war, ohne bemerkt zu werden.
»Du hier?« fragte Franz, sich überrascht stellend. »Wie kannst Du Dich so tief in den Wald wagen, Alma! Du darfst den Paschern und Wilderern nicht trauen, nachdem Dein Vater ihre Rache herausgefordert hat.«
»Du wagst ja ganz dasselbe,« entgegnete sie kalt.
»Das ist etwas ganz Anderes. Uebrigens ist es gut, daß ich Dich treffe. So kann ich Dir sagen, daß soeben Hellenbach, dieser Schurke, angekommen ist.«
»Schurke?« fragte sie erstaunt. »Hellenbach ist ein Ehrenmann!«
»Ein Ehrenmann,« lachte er, »der aber Dich mir rauben will!«
Er trat an sie heran, um den Arm um sie zu legen. Sie wich zurück.
»Wie kommst Du mir vor?« fragte sie, ihn streng anblickend.
»Das fragst Du noch? Ich hörte, daß Du mit Hellenbach verlobt bist, und doch bin ich es, der Dich tausendmal mehr liebt, als er. Ich kann ohne Dich nicht leben – –«
»Halt!« rief sie ihm entgegen, da er sich ihr wieder nähern wollte. »Ich werde nie Hellenbach's Frau werden; Deine Liebe aber verbitte ich mir!«
Er wurde bleich. Seine Augen schienen ihre Gestalt verzehren zu wollen.
»Warum?« stieß er erregt hervor.
»Das sage Du Dir selbst! Laß mich allein!«
»Allein?« rief er. »Nie, niemals! Du sollst vielmehr bei mir sein und mit mir für das ganze Leben. Ich liebe Dich, und Du bist mein!«
Er umschlang sie jetzt wirklich und zog sie an sich. Sein Mund suchte ihre Lippen. Sie sträubte sich aus allen Kräften und rief:
»Laß mich frei, Elender! Ich verachte Dich!«
»Schön! Aber dennoch wirst Du mein Weib,« antwortete er. »Ich werde Dich zu zwingen wissen!«
»Womit?« fragte hinter ihm eine Stimme.
Alma hatte sich in seiner kräftigen Umarmung kaum mehr zu regen vermocht. Jetzt fuhr er herum. Brandt stand vor ihm.
»Ah!« rief Franz von Helfenstein. »Der Polizeispion! Er soll Zeuge sein, daß ich seine Milchschwester küsse! Passe auf, Försterbube!«
Er wollte seine Worte wahr machen, fühlte sich aber in demselben Augenblick bei der Brust gepackt und von Alma losgerissen.
»Mensch,