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Maigret und der einsame Mann. Georges SimenonЧитать онлайн книгу.

Maigret und der einsame Mann - Georges  Simenon


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hoben sich deutlich von der restlichen Erscheinung ab. Er war schon ziemlich alt und hatte langes, silbergraues Haar, das bläulich schimmerte. Auch seine Augen waren blau. Maigret konnte den starren Blick nicht ertragen und schloss ihm die Lider.

      Er trug einen weißen Schnurrbart mit leicht aufstrebenden Spitzen und einen ebenso weißen Kinnbart, wie Richelieu.

      Die Wangen waren glattrasiert. Maigret war nicht weniger erstaunt, als sein Blick auf die sorgfältig manikürten Hände des Toten fiel.

      »Er sieht aus wie ein alter Schauspieler in der Rolle des Clochards«, murmelte er. »Hatte er Papiere bei sich?«

      »Nichts. Keinen Personalausweis. Keine alten Briefe. Meine Inspektoren, die für dieses Viertel zuständig sind, haben ihn sich angesehen. Aber keiner kennt ihn. Nur einer glaubt, er habe ihn einmal beim Durchwühlen einer Mülltonne gesehen.«

      Der Mann war sehr groß und hatte auffällig breite Schultern. Seine zu kurze Hose hatte am linken Knie ein Loch, und auf dem staubigen Boden lag eine alte Jacke, die eher einem Lumpen glich.

      »War der Gerichtsmediziner schon da?«

      »Noch nicht. Er muss aber jeden Augenblick kommen. Ich wollte, dass Sie dieses Zimmer gesehen haben, bevor hier alles angerührt wird.«

      »Torrence, gehen Sie ins nächste Bistro und rufen Sie den Erkennungsdienst an. Sie sollen so schnell wie möglich herkommen. Und benachrichtigen Sie auch die Staatsanwaltschaft.«

      Noch immer fesselte ihn das Gesicht des Mannes auf dem alten Eisenbett. Schnurr- und Kinnbart waren sorgfältig gestutzt, und man hätte schwören können, dass das erst am Tag zuvor geschehen war. Die gepflegten Hände mit den lackierten Fingernägeln machten nicht den Anschein, in Mülltonnen zu wühlen.

      Dennoch hatte es der Alte mit aller Wahrscheinlichkeit getan, denn in dem Zimmer häuften sich die absonderlichsten Gegenstände, von denen beinahe alle zerbrochen waren. Eine alte Kaffeemühle, gesprungene Emaillekrüge, zerbeulte oder löchrige Eimer, eine Petroleumlampe ohne Docht und Petroleum, einzelne Schuhe.

      »Ich muss eine Inventarliste anfertigen lassen.«

      An der Wand befand sich ein Waschbecken. Vergeblich drehte Maigret den Hahn auf. Er hatte sich bereits gedacht, dass es in Häusern, die darauf warten, abgerissen zu werden, kein Wasser gab. Ebenso wenig wie elektrischen Strom oder Gas.

      Wie lange hatte der Mann hier gelebt? Vermutlich eine ganze Weile, bei all dem alten Krempel, den er zusammengetragen hatte. Man konnte weder eine Concierge noch Nachbarn befragen, es gab schlichtweg keine. Der Polizeikommissar ging auf den Treppenabsatz hinaus und sagte zu Nicolier:

      »Willst du dich nützlich machen? Dann geh hinunter auf die Straße, und wenn die Herren in ein paar Minuten kommen, führst du sie hier herauf.«

      »Ja, Monsieur.«

      »Vergiss nicht, sie darauf aufmerksam zu machen, dass ein paar Stufen fehlen.«

      Maigret ging durch den Raum, berührte einige Gegenstände und entdeckte einen Kerzenstumpf in einer angeschlagenen Tasse und eine Schachtel Streichhölzer.

      Während seiner gesamten Laufbahn als Polizist hatte sich ihm noch nie ein solcher Anblick geboten. Immer wieder fand er etwas, das ihn in Erstaunen versetzte.

      »Wie ist er ermordet worden?«

      »Man hat ihm mehrmals in die Brust und in den Bauch geschossen.«

      »Großes Kaliber?«

      »Mittleres. Wahrscheinlich Kaliber .32.«

      »Hat man etwas in seiner Westentasche gefunden?«

      Er konnte sich vorstellen, wie widerwillig der feine, empfindliche Ascan die Taschen dieses dreckverkrusteten Lumpens durchsucht haben musste.

      »Ein Knopf, ein paar Bindfäden, eine trockene Brotkruste.«

      »Kein Geld?«

      »Zwei Fünfundzwanzig-Centime-Münzen.«

      »Und in den Hosentaschen?«

      »Ein schmutziger Lappen, den er wohl als Taschentuch benutzte, und ein paar Zigarettenstummel in einer alten Blechdose.«

      »Keine Brieftasche?«

      »Nein.«

      Selbst die Clochards an den Quais, die unter den Brücken schliefen, hatten ihre Papiere bei sich, und sei es nur ein Personalausweis.

      Torrence war zurückgekehrt und von dem Anblick, der sich ihm bot, nicht weniger überrascht als Maigret.

      »Sie werden gleich da sein.«

      Und tatsächlich kamen Moers und seine Männer vom Erkennungsdienst hinter Nicolier die Treppe herauf. Verwundert blickten sie um sich.

      »Ein Mord?«

      »Ja … Einen Selbstmord können wir ausschließen, denn nirgendwo liegt eine Waffe.«

      »Womit sollen wir anfangen?«

      »Mit den Fingerabdrücken. Wir müssen ihn zunächst identifizieren.«

      »Es ist beinahe schade, diese gepflegten Hände schmutzig zu machen …«

      Sie nahmen ihm die Fingerabdrücke ab.

      »Fotografieren?«

      »Natürlich.«

      »Also wirklich, ein ziemlich gut aussehender Kerl. Er muss sehr kräftig gewesen sein …«

      Nun hörte man die vorsichtigen Schritte des Staatsanwaltsvertreters, des Untersuchungsrichters Cassure und des Protokollführers. Oben angelangt, blieben alle drei wie angewurzelt stehen.

      »Ist er ermordet worden?«, fragte der Vertreter der Staatsanwaltschaft.

      »Das werden wir gleich wissen, denn da kommt Doktor Lagodinec.«

      Doktor Lagodinec war jung und eifrig. Er gab Maigret die Hand, grüßte die anderen Herren und trat auf das alte Eisenbett zu. Auch das hatte der Mann vermutlich auf der Straße oder irgendeinem verwilderten Grundstück gefunden.

      »Haben Sie ihn identifiziert?«

      »Nein.«

      Sie blickten besorgt zu Boden, denn nun, da sich so viele Menschen im Raum befanden, begannen sich die Dielen bedenklich zu biegen, als drohten sie jeden Moment einzubrechen.

      »Womöglich finden wir uns gleich eine Etage tiefer wieder …«, bemerkte der junge Arzt.

      Er wartete, bis die Fotos gemacht waren, ehe er an die Leiche herantrat und sie untersuchte. Er entblößte die Brust, und man konnte die schwarzen Löcher sehen, die die Kugeln hinterlassen hatten.

      »Der Mörder hat drei Mal aus höchstens einem Meter Entfernung geschossen und präzise gezielt. Wahrscheinlich schlief das Opfer. Sonst lägen die Einschusslöcher nicht so dicht nebeneinander.«

      »Ist der Tod sofort eingetreten?«

      »Ja. Der Täter hat die linke Herzkammer getroffen.«

      »Sind die Kugeln aus dem Körper ausgetreten?«

      »Das sage ich Ihnen, wenn ich die Leiche umgedreht habe.«

      Der Fotograf half ihm. Nur eine Kugel hatte den Körper des seltsamen Clochards durchschlagen. Wahrscheinlich steckte sie in dem Strohsack.

      »Gibt es hier Wasser?«

      »Nein. Es wurde abgedreht.«

      »Ich frage mich, wo er sich so gründlich gewaschen hat. Sein Körper ist sehr sauber.«

      »Können Sie sagen, wann der Tod ungefähr eingetreten ist?«

      »Zwischen neunzehn Uhr und drei Uhr morgens. Ich werde es Ihnen genauer sagen können, sobald ich die Obduktion vorgenommen habe. Wurde er bereits identifiziert?«

      »Noch nicht. Wir werden sein Foto an die Zeitungen weiterleiten. Apropos, wann sind die


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