Perry Rhodan 150: Stalker (Silberband). Arndt EllmerЧитать онлайн книгу.
das Virengebilde zu ging, das wie ein leicht abgewandeltes Modell der Siedlung aussah. Die Nachbildung wirkte kompakter und in sich geschlossener. Anne fragte sich, ob die Zöglinge auf diesem engen Raum ausreichend Bewegungsfreiheit haben würden ... Es kam allerdings darauf an, wofür diese Nachbildung gedacht war.
Leo hatte inzwischen das Virengebilde erreicht. Er tastete über das kühle, glatte Material und suchte nach einem Zugang ins Innere. Tatsächlich öffnete sich nach wenigen Sekunden vor ihm ein Türschott.
»Tritt ein!«, sagte eine sanfte, tiefe Frauenstimme. »Hab keine Scheu, Leonard Frood. Ich habe dein Rufen gehört und bin ihm gefolgt.«
»Ich habe nicht gerufen«, entgegnete er, während er durch eine kurze Röhre in eine kahle, steril wirkende Kammer eintrat. Er war enttäuscht, obwohl er nicht zu sagen vermocht hätte, was er erwartet hatte.
»Es liegt an dir, die Inneneinrichtung zu gestalten«, sagte das Virenimperium.
Leonard Frood wurde schlagartig bewusst, dass die Virenwolke seine Gedanken gelesen hatte.
»Ich weiß nicht ...«, sagte er unsicher und räusperte sich. »Ich weiß nicht, welche Einrichtung zweckmäßig wäre.«
»Was hättest du am liebsten?«
Leos Gedanken überschlugen sich. Er stellte sich dieses Gebilde als neue Heimstätte für seine Zöglinge vor – und tat es zugleich als ungeeignet ab. Dies war kein Ersatz für seinen Kindergarten. Alles war nüchtern, kalt und ohne wohlige Atmosphäre.
»Warum scheust du dich, das auszusprechen, was du möchtest?«, ermunterte ihn das Virenimperium. »Ich gehöre dir, Anne und euren Zöglingen. Ihr könnt mich nach euren Wünschen gestalten. Nicht einmal die ungewöhnlichste Idee wäre zu phantastisch, um realisiert zu werden. Ich kann alles aus mir machen. Die Viren sind omnipotent und werden jede Form, Konsistenz und Eigenschaft annehmen. Sind sie jedoch spezialisiert, dann verlieren sie ihre Wandlungsfähigkeit. Was ihr aus mir macht, das wird von Bestand sein. Es gilt also gut zu überlegen, welche endgültige Form ihr mir geben wollt.«
Leos Gedanken wirbelten im Kreis. Erst allmählich wurde ihm bewusst, dass sie sich nur um einen Vorfall drehten. Es war die Erinnerung an jenen Augenblick, als Ernst Ellert die Virensäule auf dem Platz vor dem Hauptquartier der Kosmischen Hanse verließ, nachdem er sie viele Tage lang blockiert hatte.
Die Medien hatten jenes Schauspiel übertragen, und nun sah Leo wieder vor seinem geistigen Auge, wie sich eine Virenwolke auf Ellert herabsenkte. Aus der Virenwolke war ein Raumschiff in Form eines stilisierten Vogels geworden.
Dieser Anblick hatte Leo in seinen Bann geschlagen und ihn seither nicht wieder losgelassen.
ZUGVOGEL – so hatte Ernst Ellert sein Virenraumschiff genannt. Von da an hatte sich Leonard Frood ebenfalls einen solchen »Zugvogel« gewünscht.
»Warum zögerst du?«, ermunterte ihn das Virenimperium. »Glaubst du mir nicht, dass dieses Virenfragment euch gehört? Zweifelst du daran, dass es nach euren Wünschen geformt werden kann?«
»Du kannst wirklich alles aus dir machen, was wir wollen?«, vergewisserte sich Leo.
»So ist es.«
»Auch ein Raumschiff?«
»Sogar ein Raumschiff«, bestätigte das Virenimperium.
Anne kam mit etlichen Kindern. Als sie den kahlen Raum betraten, erweiterte sich dieser, um sie alle aufnehmen zu können.
»Wir haben unser eigenes Raumschiff, Freunde«, eröffnete Leo den Zöglingen. »Und wir dürfen es nach unseren Bedürfnissen gestalten und ausbauen. Leos Kindergarten ist nicht länger an die Schwerkraft Terras gebunden, sondern wird demnächst seinen Jungfernflug zu den Sternen antreten.«
Er zog Anne Piaget an sich. Zugleich stürmten die Zöglinge mit lautem Hallo los, um das Virenschiff zu erobern.
Patriarch Patermo:
Solman Patermo war ein Springer wie aus dem Bilderbuch: groß und korpulent, ein Hüne von über zwei Metern. Er war ein polterndes Raubein mit brandroter, zu Zöpfen geflochtener Mähne – durch und durch ein Patriarch. Auf der PAT-PRAMAR war sein Wort Gesetz, wer dagegen verstieß, hatte wenig zu lachen.
Mit dem Flug über 34.000 Lichtjahre bis ins Solsystem hatte Solman sich eindeutig übernommen. Nahe bei Terra waren sogar die Normaltriebwerke des vor sehr langer Zeit einmal stolzen Flaggschiffs der Sippe fast ausgebrannt; der Walzenraumer konnte kaum noch manövrieren. Kurz bevor das Element der Finsternis über Terra hergefallen war, hatte eine Raumstation die PAT-PRAMAR angefunkt und verlangt, auf größere Distanz zu gehen. Die alles verschlingende Finsternis hatte Solman davor bewahrt, die Manövrierunfähigkeit eingestehen zu müssen.
Nun meldete sich die Raumstation zum wiederholten Mal und gab Kursdaten vor. »Entweder ihr geht in die euch zugewiesene Kreisbahn, oder ...«
Solman hörte nicht mehr hin. Seine Aufmerksamkeit galt plötzlich den Resten des Virenimperiums, die den Heimatplaneten der Terraner wie feiner Nebel umhüllten. Es war für ihn, als käme von den Virenwolken eine lautlose Botschaft. Sie ließ ihn weit in die unbekannte Tiefe des Weltraums blicken, zu fernen Galaxien und darüber hinaus. Dorthin wollte er.
Der Kommandant der Raumstation aktivierte einen Traktorstrahl, der die PAT-PRAMAR einfing und stabilisierte. Zudem schickte er die Rechnung für diese Aktion: 5433 Galax. Zu allem Übel zog der Traktorstrahl das Schiff immer weiter weg von den wie Wattebäusche schwebenden Virenwolken.
»Wir wollen in die entgegengesetzte Richtung«, schimpfte der Springer-Patriarch. »Wir sind manövrierunfähig und können uns aus eigener Kraft nicht den Virenwolken nähern.«
»Eben darum seid ihr eine Gefahr«, lautete die lakonische Antwort. »Repariert eure Schrottwalze, das ist die einzige Möglichkeit ...«
Solman Patermo war ein gebrochener Mann, dem das Fernweh und die eigene Hilflosigkeit schlimmer zu schaffen machten, als er jemals zugegeben hätte. Eine Stimme in ihm schien dieses Fernweh noch zu schüren, indem sie ihm all die Wunder anpries, die in unbekannter Weltraumferne seiner Sippe harrten. Solman träumte mit offenen Augen davon, dass die Patermo-Sippe eine intergalaktische Handelsorganisation gründete ...
... aber die PAT-PRAMAR entfernte sich weiter von den Virenwolken, und schließlich trieb sie im freien Fall von Terra fort.
Dann geschah das Unerwartete. Eine Virenwolke kam näher und passte sich in geringem Abstand der Fahrt des Walzenraumers an.
»Das ist unsere Rettung!«, erkannte Solman; er war fast zu Tränen gerührt. »Wir räumen das Schiff und übersiedeln auf die Wolke. Nehmt unsere ganze Habe mit. Ampor, rechne aus, was die Verschrottung dieses Wracks kosten wird. Genau den Betrag lassen wir zurück. Die Kosten des Traktorstrahls ignorieren wir.«
Die meisten in seiner Nähe behaupteten, dass Solman den Verstand verloren habe, aber er blieb dabei, dass die Virenwolke für sie alle die Rettung sei. »Die Viren sagen es mir«, erklärte er. »Sie laden uns ein, an Bord zu kommen und über sie zu verfügen. Hört das denn keiner außer mir?«
Obwohl Solman Patermo keineswegs alle Familienmitglieder überzeugen konnte, wechselten viele mit ihm zur Virenwolke über.
Solman machte einen ersten Rundgang. Vorerst war das Innere der Wolke wenig beeindruckend. Die innere Stimme sagte ihm jedoch, dass alles sich nach Belieben formen ließ. Da er ein traditioneller Springer war, wünschte er sich eine 200 Meter lange Walze.
Die Virenmasse nahm dieses Aussehen an.
Solman Patermo zwirbelte nachdenklich seine Bartzöpfe, während er die Inspektion fortsetzte. Es gab unendlich viel zu berücksichtigen. Selbstverständlich musste die Möglichkeit geboten sein, Wohnzellen aufzustocken, sobald eine Familie Zuwachs bekam. Besonders wichtig war, dass der Patriarch nicht die Übersicht verlor und stets seine sorgende Hand über alle halten konnte. Auf der PAT-PRAMAR hatte es damit nicht zum Besten gestanden – nun musste alles anders werden.
Solman brauchte seine Ideen nur detailliert zu