Gott singt. Ulrike GadenneЧитать онлайн книгу.
und »über die Mauer werfen« des Alten und Hinderlichen die Quelle für Jubel und Freiheit liegt. Beim Tee fragte Baba scheinbar besorgt: »War es zu viel Arbeit?«
Nächtliches Sitzen mit Baba
Gründonnerstag 1999 – Abenddarshan im Tempel von Kurnool. Baba im lilafarbigen Kleid ist auf der Männerseite in ein intensives Gespräch vertieft. Meine Gedanken driften ab: »Morgen ist Karfreitag. Ich will morgen früh zehn Minuten länger sitzen!« In diesem Moment schaut Baba sich um und sieht mich an.
Um 20.30 Uhr werden die Tore des Ashrams für die Devotees aus der Stadt geschlossen. Baba geht eine Runde mit uns um den Tempel, ehe das Carromboard geholt wird. Normalerweise sitze ich beim abendlichen Carromboard eher hinten, aber heute Abend weist mir Baba überraschend einen Platz Ihm gegenüber in unmittelbarer Nähe des Boards an – mehrere feine Duftwolken wehen herüber. Es ist 21.30 Uhr. Ich merke, dass etwas Neues beginnt, und treffe den Entschluss, solange wie das Spiel dauert, still zu sitzen. Die Beine schmerzen bald, der Schweiß läuft, die Moskitos stechen. Die Frage nach dem Sinn des Ganzen ist jedoch quälender.
Vor einiger Zeit hatten wir mit Baba auf der Mauer, die durch den Garten gezogen war, gesessen. Baba saß auf einem Polster und hopste darauf herum: »Ich will sitzen, solange ich kann!«, sagte Er und schaute mich direkt an. Irgendwann hatte ich mir Literatur über die verschiedenen Formen von Sadhana und Meditation gekauft. Meine wichtigsten Fragen wurden nicht beantwortet, im Gegenteil, überall wurde betont, dass es für den Erfolg entscheidend sei, entspannt und ohne Schmerzen zu sitzen. Unter dem Stichwort Tapas glaubte ich, fündig zu werden – saß ich doch jeden Tag in Schweiß gebadet mit brennenden Schmerzen – dort las ich: Hitze, Glut, eine Praxis, die eine höhere spirituelle Energie erzeugt, aber weil diese Art von Übung das Ego stärke, wurde allgemein davon abgeraten. Über meine Beweggründe tappte ich zwar völlig im Dunkeln, aber das letzte, was ich wollte, war, mein Ego zu stärken. Nur, wenn diese Praxis als Ziel … das Erreichen des höchsten Wissens und Gotteserfahrung hat, kann sie als richtig bezeichnet werden. Darunter konnte ich mir nun gar nichts vorstellen – wie sollte dieser Kampf mit dem Schmerz und der Konzentration zum höchsten Wissen, geschweige denn zur Gotteserfahrung führen? Fehlanzeige, ich musste ohne intellektuelle Hilfen auskommen.
So erzählte ich jahrelang niemandem davon, jeder hätte mich als einen Fall für die Psychiatrie ansehen müssen, zumindest als ausgeprägt masochistisch. Erst später verstand ich, dass es wichtig war, die Übung so voraussetzungslos und naiv wie möglich durchzuführen, da jede Erwartung den Weg gestört hätte.
An diesem Abend habe ich keine Idee von einem Ziel und will nach fünfzehn Minuten aufstehen. Vorsichtig bewege ich einen Fuß – ein strenger Blick von Baba lässt mich den Gedanken vergessen. Jetzt krame ich alle Rezepte aus, mit denen ich bisher versucht habe, die Übung durchzustehen. Ich konzentriere mich auf den Schmerz, blase ihn auf wie einen Luftballon, dass er platzt – manchmal verschwindet er dann plötzlich, aber heute nicht. Ich versuche, mich auf Babas Form und Namen zu konzentrieren, aber ich sitze in Flammen und fühle mich schier zerrissen. Die Spiele ziehen sich, keine Partei erreicht die höchste Punktzahl 29. Der Zustand der völligen Ergebenheit stellt sich nur ansatzweise ein, Ungeduld heizt das Schmerzempfinden an, aber die Spiele, Witze, Gespräche ziehen sich. Um kurz vor 1 Uhr steht Baba auf. Meine Beine tragen mich kaum, mehr wankend als gehend erreiche ich die Haustür, wo Baba noch stehenbleibt, alle segnet, zu Einzelnen noch manches Persönliche sagt. Als Er die Treppenstufen hochgeht, sagt Er leise »Bravo!« zu mir – zumindest Er scheint zu wissen, warum ich das tue. Als ich apathisch den Sari ausziehe, um endlich zu schlafen, ruft mich ein Devotee zum Essen mit Baba. Die Runde hat schon mit dem Essen begonnen, Baba lacht, wirft mir einen Chapati zu, später einen Kloß Reis. Langsam komme ich zu mir, das scharfe Essen tut gut. Wie jeden Abend wird Baba von den Gästen zu Seinen Räumen über dem Tempel begleitet. Vor der Tür bleibt Er noch lange stehen und spricht mit dem Augenarzt. Mr. S. schläft im Stehen. Es ist 3 Uhr, als ich unter meinem Moskitonetz liege. Am nächsten Morgen: same procedure während der Bhajans. Der Schmerz lässt keine Chance. »Schmerz kommt von Unruhe«, höre ich …
Sehübungen
Februar bis Ostern 1999 – Seit etwa einem halben Jahr gehören die morgendlichen Sitz- und Meditationsübungen ab 4.30 Uhr zu meinem regelmäßigen privaten Tagesprogramm. Da ich Baba nie um eine Anweisung bat, mischte Er sich nicht ein. Die Konzentration auf das Mantra bewirkt, dass die Sinneseindrücke keine inneren Reaktionen von Sympathie oder Antipathie hervorrufen. Seit einiger Zeit sehe ich Baba beim Darshan hinter einem weißen Lichtschleier, oder Sein Kopf ist umgeben von einer weißen Wolke mit diffusen Konturen, die sich zwar synchron zu den Kopfbewegungen verhält, bei schnellen Bewegungen jedoch wie »hinterher schwimmt« und zeitverzögert die Kopfregion wieder »einholt«. Diese Phänomene entstehen von selbst, sie können nicht willentlich hervorgebracht werden. Im Gegenteil, je mehr die eigenen Gefühle und Gedanken schweigen und sich zurückziehen, umso mehr kann das göttliche Licht in Erscheinung treten. Und wenn es erscheint, ist es das Selbstverständlichste und Natürlichste von der Welt, denn in dem Moment ist niemand da, der es erlebt. Erst in der Erinnerung meinte ich, es notieren zu sollen.
Von Anfang an war mir Babas physische Gestalt das Schönste, Kostbarste und Zerbrechlichste, was ich je gesehen hatte.
Da der Mensch ein höchst komplexes Wesen ist, das angetrieben wird von widersprüchlichen Gefühlen und Gedanken, spiegelt der Bewegungsablauf bei jedem graduelle Störungen von Harmonie und Entspannung. Eine Wesenheit wie Balasai Baba ist aber nicht der Dualität unterworfen, darum wirken sich Antipathie, Sympathie und gehirngebundene Gedanken nicht auf seine physische Erscheinung aus. Das harmonische Fließen göttlicher Glückseligkeit und Einheit, nur dem Geistigen angehörend, bewirkt eine Schönheit, die auf dieser Erde unbekannt ist.
Die sonst größten Gegensätze vereinigen sich zu einer vollkommenen Synthese: Wenn die kleine, aufrechte Gestalt durch die Reihen geht, wirkt sie einerseits majestätisch und ehrfurchtgebietend, gleichzeitig strahlt sie eine kindlich-staunende Unbefangenheit aus, die unmittelbar zu Tränen rührt. Jede Bewegung, jedes Wort, jedes Lächeln, jede Neigung des Kopfes oder des Körpers drückt ausschließlich bedingungslose Liebe aus, schwingt sich vollkommen ein in die jeweiligen Bedürfnisse des Gegenübers und erweckt in diesem dessen schlummernde Göttlichkeit, die direkt als strahlende Freude und Dankbarkeit sichtbar wird. In jedem Moment entsteht so ein neues Bild, wie Gott Seiner Schöpfung begegnet und unablässig bezeugt, dass Er und Sie Eins sind. Die beschriebenen Lichterlebnisse waren für mich dagegen nichtssagend …
In Balasai Babas physischer Gestalt erlebe ich bis heute in jedem Augenblick alle Aspekte der formlosen Göttlichkeit – Schönheit, Liebe, Weisheit, Wahrheit – so unmittelbar und vollkommen, dass ich nur dasitzen und in dieses Bild versunken bleiben möchte.
Als an diesem Karfreitagmorgen Balasai Baba im lila Kleid auf Seinem Thron sitzt, ist mir, als sähe ich durch eine andere Brille – eine Brille, die mich sehen lässt, dass alles aus Farbe und Bewegung besteht, besser gesagt, dass Farbe und Bewegung »wirklicher« sind als die mit ihnen verbundene Materie. Dieses »Sehen« fand auch nicht mit den physischen Augen statt und war noch ganz ungewohnt und die Empfindung ganz zart, aber ich konnte deutlich unterscheiden, dass Farbe und Bewegung »unvergänglicher« sind als die physische Materie. Ich empfand diese nur als »Kulisse«, dazu da, das Unvergängliche zu »transportieren«. Erst später merkte ich, dass dieses Erlebnis nur eine abstraktere Ausgabe dessen war, was ich von Anfang an mit Balasai Babas physischer Form verband: Sie transportiert ganz real Seine formlose Göttlichkeit auf die Erde.
Ostern