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Chefarzt Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.

Chefarzt Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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      Sonst hätten sowohl Dr. Sophie Petzold als auch Amir Merizani ihren Beruf an diesem Nachmittag an den Nagel gehängt.

      *

      Im Gegensatz zu den Ärzten, die sich nach kurzem Innehalten wieder dem Kampf um Leben und Tod stellten, stand Uwe Ruhland noch ganz am Anfang seiner Trauerzeit.

      »Ich verstehe das einfach nicht! Inga kann doch nicht einfach so weg sein! Sie hat doch gleich nach dem Unfall im Auto noch mit mir geredet.« Der Kies knirschte unter seinen und den Füßen seiner Tochter. »Hat gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen soll. Dass alles nicht so schlimm ist.« Er blieb stehen und sah seine Tochter an. »Und jetzt ist sie plötzlich tot.« Eine Falte krauste seine Nase. Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Das ist doch nicht mit rechten Dingen zugegangen. Den Ärzten muss ein Fehler unterlaufen sein.« Uwe machte einen Schritt auf Annabel zu. »Hast du gesehen, wie schuldbewusst die Ärztin ausgesehen hat? Diese Dr. Petzold? Sie hat es ja kaum geschafft, mir in die Augen zu sehen.« Seine Stimme wurde immer lauter. »Hat sich stattdessen in ihre überflüssigen Erklärungen geflüchtet. Ich gehe jede Wette ein, dass im OP etwas passiert ist. Und sie weiß es ganz genau.«

      »Unsinn, Papa. Das glaube ich nicht.«

      »Dochdochdoch. Da stimmt was nicht.« Er musterte Annabel. Plötzlich blitzten seine Augen auf. »Und du musst das für mich herausfinden.«

      »Ich? Wieso denn ich?« Annabel machte große Augen. »Ich bin keine Ärztin.«

      »Aber du bist Anwältin. Lass dir alle Unterlagen geben! Wir haben ein Recht darauf zu erfahren, was schief gegangen ist.« Uwes Atem ging schneller. Rauchwölkchen stiegen in die Luft. »Du musst es für mich tun. Bitte!« Trotz der Kälte glänzten Schweißperlen auf seiner Stirn.

      »Also schön. Ich werde sehen, was ich tun kann.« Annabel wandte sich ab.

      »Wo willst du hin?«, rief Uwe Ruhland seiner Tochter nach.

      »Na, mit dem Klinikchef sprechen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Schließlich müssen wir auch noch eine Beerdigung organisieren. Und irgendwann muss ich nach Berlin zurück.« Damit wandte sie sich endgültig ab und kehrte in die Klinik zurück, um sich bis ins Vorzimmer von Dr. Norden durchzufragen. Sie hatte Glück. Andrea Sander konnte ihr einen Termin am selben Nachmittag verschaffen. Nur eine Stunde später saß Annabel Ruhland am runden Tisch im Besprechungsraum.

      Dr. Daniel Norden war nicht allein gekommen. Die Kollegen Dr. Petzold und Dr. Merizani begleiteten ihn.

      Hände wurden geschüttelt und Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht.

      »Zuerst einmal möchte ich Ihnen danken, dass Sie sich so schnell Zeit genommen haben für dieses Gespräch«, bedankte sich Annabel und warf einen Blick in die Runde.

      Unschwer zu erkennen, dass die Tochter in die Rolle der Anwältin geschlüpft war.

      »Das ist selbstverständlich«, versicherte Dr. Merizani. »Der Tod Ihrer Mutter macht uns alle sehr betroffen. Wir möchten Ihnen und Ihrem Vater unser tiefempfundenes Beileid aussprechen.«

      »Danke.« Annabel nickte huldvoll. »Ich fürchte, der Verlust wiegt schwer für meinen Vater. Schwerer als für mich«, fügte sie hinzu und senkte kurz die Augen. Ein Luftholen. Dann fuhr sie fort. »Die beiden hatten es nicht immer leicht, bis es ihnen gelang, die Gärtnerei in den Erfolg zu führen. Jetzt könnten sie endlich die Früchte ihrer Arbeit genießen. Umso schwerer trifft meinen Vater dieser Verlust.«

      »Verständlich.« Dr. Norden nickte.

      Aller Augen ruhten auf Annabel. Worauf wollte sie hinaus?

      »Vor diesem Hintergrund bitte ich auch um Verständnis dafür, dass er mich in meiner Eigenschaft als Anwältin gebeten hat, Einsicht in die Patientenakte zu verlangen. Mein Vater fürchtet, dass den Kollegen ein Fehler bei der Behandlung unterlaufen ist.«

      Darum ging es also! Daniel hatte es bereits vermutet.

      »Vor unserem Gespräch habe ich sämtliche verfügbaren Unterlagen und Aufzeichnungen zu dem Fall gründlich studiert.« Daniel Norden zögerte nicht, seine Mitarbeiter in Schutz zu nehmen. »Außerdem war ich bei der ersten Operation selbst eine Weile im OP anwesend. Ich kann Ihnen mit bestem Wissen und Gewissen versichern, dass es keinen Grund für diese Annahme gibt.«

      Annabel lächelte, wie nur ein Anwalt lächeln konnte. »Sie kennen doch das Sprichwort: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.«

      Die Stimmung im Raum veränderte sich.

      »Sie wollen gerichtlich gegen Naturgesetze vorgehen?« Sophies Stimme klirrte vor unterdrücktem Ärger. »Ihre Mutter ist an einer unbeherrschbaren Blutung nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma mit subduralem Hämatom gestorben. Außerdem hatte sie ein Thoraxtrauma mit Lungenbeteiligung, eine Rippenserienfraktur und einen Leberriss. Jede einzelne dieser Verletzungen hätte für sich schon zum Tod führen können.«

      Annabel Ruhland lauschte mit versteinerter Miene. Dr. Norden wollte ihr nicht im Gerichtssaal gegenübersitzen. Aber er verstand auch Sophie Petzold. Sie hatte um ein Leben gekämpft und verloren. Das musste man erst einmal verkraften. Auf der anderen Seite stand der trauernde Ehemann. Auch er hatte ein Recht darauf, gehört und respektiert zu werden. Es war eine Gratwanderung.

      Er schickte Sophie einen Blick in der Hoffnung, sie möge auch seine Seite verstehen. Bei Dr. Merizani war er dagegen ganz sicher. Seine Miene verriet es.

      »Natürlich werden wir Sie bei der Recherche voll und ganz unterstützen«, sagte er zu Annabel. »Sie erhalten von uns umgehend den OP-Bericht, das Narkoseprotokoll sowie alle prä- und postoperativen Befunde. Wünschen Sie eine Obduktion?«

      Annabel stutzte. Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht. »Ja. Ja, ich denke, das ist eine gute Idee.«

      »Sehr gut. Ich werde alles Nötige veranlassen.«

      »Vielen Dank.« Annabel Ruhland zog eine Visitenkarte aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. »Bitte melden Sie sich, sobald Sie die Unterlagen beisammen haben.«

      *

      Nur ein paar Minuten von der Stadtmitte entfernt lag das Benediktinerkloster. Dr. Aydin musterte die Steinsäulen und Bögen unter rot gestrichenem Mauerwerk. Doch der schöne Schein der nach frühchristlichem Vorbild erbauten Basilika trog. Das hatte er aus dem Internet erfahren. Das bestätigte der Abt kurz darauf.

      »Ora et labora, bete und arbeite …« Abt Anselm lachte. »Das Motto der Benediktiner bekommt hier zurzeit noch einmal eine ganz andere Bedeutung.« Er raffte sein Habit, winkte Milan Aydin mit sich Richtung Abtei und stapfte los. »Vorsicht. Bleiben Sie nicht im Sandhaufen stecken.«

      »Ich gebe mir Mühe.« Der Rollstuhl holperte über Steine und Kabel der Großbaustelle. »Bekommt Gott eine Luxusvilla?«

      Anselm lachte.

      »Schön wäre es. Seitdem das Kloster nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurde, gab es nur notdürftige Sanierungen. Höchste Zeit, dass endlich mit den Umbauarbeiten begonnen wird«, rief er über die Schulter. »Die Dächer und Kanalisation waren undicht, der Brandschutz eine einzige Katastrophe. Das Gewerbeaufsichtsamt saß uns wegen der Hygienevorschriften in der Küche im Nacken. Im Winter fiel häufig die Heizung aus. Und das sind nur ein paar Beispiele.« Er hielt eine Holztür auf.

      Milan Aydin bog in den Raum ab. Von einem Augenblick zum anderen fühlte er sich in eine andere Welt versetzt. Im Gegensatz zum Baustellenflair vor der Tür herrschte hier eine himmlische Ruhe. Die Holzmöbel verströmten einen Geruch nach Wachs. Weihrauch lag in der Luft. Alles wirkte wie frisch geputzt.

      Abt Anselm bemerkte die Verwunderung des Arztes.

      »Eigentlich bin ich nicht besonders pingelig. Aber in Zeiten wie diesen brauche ich einen Rückzugsort, der besonders ordentlich und sauber ist.« Er stellte einen Stuhl beiseite, damit Milan an den Tisch fahren konnte. »Einen Tee?«

      »Sehr gern.« Milan Aydin sah ihm nach, wie er in einem Kämmerlein neben dem Schreibtisch verschwand.

      Wasser


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