Chefarzt Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
alle Tassen im Schrank?«
»Jetzt schrei doch nicht so rum! Das macht die Sache auch nicht besser«, schimpfte Rebecca. Ihre Stimme schwamm in Tränen.
Vincent hob die Hand. Schüttelte die Faust vor ihrem Gesicht. Ein Glück, dass das Bett zwischen ihnen stand. Sonst hätte er für nichts garantieren können.
»Du hast mir überhaupt nichts mehr zu sagen. Und du«, die Faust schwenkte hinunter zu Moritz. »Du … du … du … Verräter.«
Spucketröpfchen regneten auf Moritz hinab. Doch er wagte nicht, sie fortzuwischen. Er wagte überhaupt nicht, sich zu bewegen. Selbst das Luftholen fiel ihm schwer. Zum Glück hielt Vincent es nicht mehr aus.
»Ich brauche Luft!« Er zerrte am Kragen seines Hemdes. Der Knopf sprang ab und tanzte über den Boden.
Niemand achtete darauf. Kurz darauf fiel die Tür krachend ins Schloss.
*
Auf den Fluren der Behnisch-Klinik herrschte Hochbetrieb. Schwestern und Pfleger eilten vorbei. Ihre Gummisohlen quietschten auf dem Vinylboden. In einer Ecke steckten zwei Ärzte die Köpfe über einer Patientenakte zusammen. Irgendwo klingelte ein Telefon.
Deniz wanderte den Gang entlang. Studierte jedes Namensschild an den Türen. Kaffeeküche. Aufenthaltsraum. Verband. Patientenzimmer. Personal. Wo versteckte sich nur das Büro der Pflegedienstleitung? Er machte der Visite Platz, die ihm entgegenkam. Hüpfte hoch, um einen Blick zu erhaschen.
Da sah er sie!
Elena stand in einer Tür. Mit hoch erhobenem Zeigefinger und verkniffenem Gesicht redete sie auf einen Mann ein, seiner Kleidung nach zu schließen ein Pfleger. Deniz wollte nicht in seiner Haut stecken. Blitzschnell sah er sich um. Lief zurück zur Tür mit der Aufschrift Verband und verschwand. Eine Minute später ging er mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Flur.
»Aaah, aua, das tut weh«, stöhnte er.
Elena sah hoch. Sein Anblick tilgte den Zorn aus ihrem Gesicht.
»Deniz! Ist etwas passiert?«
»Ja. Ja, ich fürchte schon.« Er hielt die Hand hoch. Aus einer Wunde quoll ein Tropfen Blut. »Ich war auf dem Weg zu Milan. Auf einem Flur lagen Scherben. Ich wollte nicht, dass sich jemand verletzt, deshalb habe ich sie aufgehoben.«
»Und dich geschnitten«, beendete Elena den Satz. Sie dachten nicht lange nach. »Ich sehe mir das mal an. Kommen Sie!« Sie winkte ihn in ein Behandlungszimmer und schloss die Tür. »Legen Sie sich auf bitte auf die Liege.«
»Wir waren gestern schon beim ›du‹.« Deniz lächelte sein Spitzbubengrinsen. »Erinnerst du dich nicht?«
Elena streifte Handschuhe über. Setzte sich auf einen Hocker und rollte hinüber zu ihrem Patienten.
»Gib mir deine Hand.« Sie musste ihn nicht zwei Mal bitten. Sie besprühte einen Tupfer mit Desinfektionslösung und wischte den Tropfen Blutweg. Auf den ersten Blick erkannte sie, dass die Wunde nicht von einer Scherbe stammte. »Hmm, das sieht nicht gut aus«, murmelte sie vor sich hin. »Ich fürchte, das muss ich nähen.«
»Wie bitte?« Ein Ruck, und ihre Hände waren leer. »Nicht nötig, schöne Helena. Das ist nur ein Kratzer«, versicherte Deniz hastig.
Sie lachte in sich hinein.
»Du bist ein echter Mann.« Nicht das kleinste Zucken verriet sie. »Aber wie sieht es mit deinem Tetanusschutz aus?«
»Tetanus?« Deniz hatte sich auf der Liege aufgesetzt.
Elena nickte gewichtig.
»Viele Menschen unterschätzen diese Krankheit. Dabei kann man sich selbst bei der kleinsten Verletzung, einer minimalen Schürfwunde oder dem kleinsten Kratzer mit Tetanus-Bakterien infizieren.«
Ihre Rede zeigte Wirkung. Deniz riss die Augen auf.
»Und was passiert dann?«
»Sind die Erreger erst einmal in den Körper eingedrungen, vermehren sie sich dort. Dabei geben sie ein Gift ab, das zu extremen Krämpfen der Muskulatur führt. Häufig ist zunächst die Kau-Muskulatur und später der ganze Körper betroffen. Alle Erkrankten müssen auf der Intensivstation behandelt werden.«
»Und was, wenn das nicht geht?«, fragte Deniz atemlos.
»Unbehandelt führt diese Krankheit zu einer Atemlähmung und damit zum Tod. Deshalb werde ich dich jetzt impfen.« Elena rollte hinüber zum Schrank, um alles Nötige vorzubereiten.
Blitzschnell dachte Deniz nach.
»Aber nur, wenn du danach einen Kaffee mit mir trinken gehst«, verlangte er, als sie ihn bat, den Arm freizumachen.
»Tut mir leid.« Sie versenkte die Nadel unter der Haut. »Ich habe keine Zeit.«
»Du hast Angst vor mir.« Deniz rollte den Ärmel wieder herunter. Dabei ließ er Elena nicht aus den Augen.
Sein Blick trieb ihren Blutdruck in die Höhe. Da war es wieder, das Prickeln in der Luft. Seine Aufmerksamkeit tat ihr gut. Umso mehr, als zwischen ihr und Eric am Morgen Eiszeit geherrscht hatte.
»Ja«, gestand sie leise. »Du hast recht. Ich habe wirklich ein bisschen Angst vor dir.« Sie zielte. Die Spritze landete neben dem Abfalleimer.
Mit einem Satz sprang Deniz von der Liege, ging vor Elena auf die Knie und beförderte den Müll dorthin, wo er hingehörte. Im nächsten Moment lagen seine Hände in den ihren. Sein Blick hätte einen Eisblock zum Schmelzen gebracht.
»Wovor hast du Angst?« Er schnurrte er wie ein Kater.
Dieser Blick aus den glühenden Kohleaugen! Elenas Kehle wurde eng.
»Ich bin verheiratet.« Hoffentlich bemerkte er das Zittern in ihrer Stimme nicht.
»Aber glücklich bist du nicht.«
Elena zupfte mit den Zähnen an der Unterlippe. Etwas an Deniz machte sie willenlos.
»Mein Mann und ich … Wir haben momentan Probleme.«
»Aaahh, das stimmt nicht.« Die Locken flogen hin und her. »Eine Frau wie du, aufopfernd, großzügig, mitfühlend … Du hast keine Probleme. Ich glaube, er ist derjenige, der euch das Leben schwer macht.« Er legte den Kopf schief. Eine Locke fiel ihm in die Stirn. Er blinzelte durch sie hindurch. »Wahrscheinlich ist er eifersüchtig.«
Elena stand der Mund offen vor Staunen.
»Woher weißt du das?«
Volltreffer! Am liebsten hätte Deniz die Faust in die Luft gestoßen. Was war er doch für ein Frauenkenner!
»Ich habe einfach ein bisschen nachgedacht. Und weißt du was: Du hast es nicht verdient, unglücklich zu sein.« Deniz streckte die Hand aus. Strich eine Strähne aus ihrem Gesicht. Die Berührung war kaum mehr als der Flügelschlag eines Schmetterlings. Trotzdem durchzuckte sie Elena wie ein Stromschlag. »Ich bin hier, um dich glücklich zu machen.« Sein Kopf näherte sich dem ihren.
Elena zog die Notbremse. Sie sprang auf und wandte sich ab.
»Aber … aber … das geht nicht.« Schwer atmend stand sie am Tisch.
Sie hörte Schritte. Eine Stimme dicht an ihrem Ohr.
»Was denn? Ich will dich doch nur zum Essen einladen.«
Das Blut schoss Elena in die Wangen. Was hatte sie denn gedacht?
»Ach so, ein Essen.« Hilflos lachend drehte sie sich zu ihm um. »Ein Essen ist natürlich etwas anderes.«
Deniz fühlte sich nicht nur wie ein Sieger. Er lächelte auch so.
»Wunderbar. Wann hast du heute Mittagspause? Ich koche für dich. Weißt du, wo mein Bruder wohnt?«
*
»Meine Güte. Sie sind ja schon wieder ganz schön in Fahrt!« Schwester Regine zog das Stethoskop von den Ohren und hängte es um den Hals.