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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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nicht eine Fata morgana sein, wird sie nicht in Wesenlosigkeit zerrinnen, wenn er den Rücken kehrt, so wie sie wesenlos war, ehe er sie gefunden hatte? Das ist seine Angst, Realitätsangst, die schrecklichste Erschütterung des Geistes; darum scharrt er Gold zusammen mit allen Mitteln, auf allen Wegen, denn Gold ist die einzige sinnfällige Wirklichkeit, mit der er sich legitimieren und verständlich machen kann, Herzextrakt des entschleierten Mysteriums und Inbild seiner Tat.

      Achtes Kapitel.

       Rückkehr und Triumph

       Inhaltsverzeichnis

      Alle großen Handelnden sind große Menschenkenner, geboren mit dem untrüglichen Instinkt für die Brauchbarkeit, den inneren wie den politischen Wert der Leute, die sie an sich fesseln und ihren Zwecken unterwerfen. Einer der auffallendsten Züge des Columbus ist seine geringe Menschenkenntnis. Wem immer er sein Vertrauen schenkt, von dem erfährt er die bitterste Enttäuschung, sei es, daß er ihm einen Verwaltungsposten oder ein Kommando oder die Vertretung seiner Interessen in Spanien überträgt. Er hat eine unglückliche Hand in der Wahl seiner Diener und Helfer, er kann sich weder Autorität noch Respekt verschaffen; um seinen Willen unter allen Umständen durchzusetzen, fehlt es ihm an Folgerichtigkeit und an Verstandeskälte, hauptsächlich aber an jener moralischen Furchtlosigkeit, die gefürchtet macht. Er wird immer belogen und hintergangen, er gibt stets dem recht, der sich zu behaupten weiß, und seine Kraft im Befehlen ist etwa die eines subalternen Beamten, der durch einen lächerlichen Zufall plötzlich zum Minister avanciert. Als seine Leute von den Eingeborenen das Tabakrauchen lernen und durch den ungewohnten Genuß des Narkotikums in ermattende Rauschzustände verfallen und dienstunfähig werden, bringt er nicht den Mut auf, ihnen das Gift zu verbieten, sondern sucht sie nur mit dem Hinweis auf die barbarische Sitte abzuschrecken, und da sie ihm antworten, es stünde nicht mehr in ihrer Macht, davon zu lassen, bemerkt er nur resigniert: »Was für einen Gewinn sie von dem glimmenden Saugrohr haben, verstehe ich nicht.«

      Am 21. November trennt sich Martin Alonzo Pinzon mit der »Pinta« von ihm und den beiden andern Schiffen und geht auf eigene Faust auf Entdeckungen aus, nicht nur ohne die Erlaubnis des Admirals, wie es im Bericht an die Königin heißt, sondern bewiesenermaßen gegen dessen ausdrücklichen Befehl. Sechs Wochen lang streift er in den benachbarten Meeren umher, es ist einfach Desertion, darüber konnte Columbus gar nicht in Ungewißheit sein; nun, er wagt es nicht einmal, ihn zur Rede zu stellen, als er eines Tages wieder erscheint. »Pinzon hat noch ganz andere Dinge getan«, ist alles, was er über die grobe Pflicht-und Gehorsamsverletzung in feigem Lakonismus zu sagen weiß.

      Eines Nachts läuft die »Santa Maria«, das Admiralsschiff, durch eine unverantwortliche Fahrlässigkeit auf den Strand. Columbus erzählt: »Es war elf Uhr abends, als der Admiral sich entschloß, der Ruhe zu pflegen, denn er hatte zwei Tage und eine Nacht nicht geschlafen. Da die See still war, legte sich der Steuermann ebenfalls schlafen und überließ das Steuer einem Schiffsjungen, was der Admiral streng untersagt hatte. Da gefiel es unserm Herrn, daß um Mitternacht, als vollkommene Windstille eintrat und das Meer so ruhig lag wie Suppe in einem Näpfchen, das Schiff von der Strömung auf eine Sandbank getrieben wurde, und zwar so sanft, daß man es kaum merkte. Der Schiffsjunge erhob ein Geschrei, der Admiral stürzte als erster an Deck, befahl das Boot niederzulassen und einen Anker auszuwerfen. Der Steuermann und mehrere andre sprangen in das Boot, und der Admiral glaubte, sie würden seinen Anordnungen folgen; statt dessen waren sie nur darauf bedacht, sich an Bord der ›Niña‹ zu retten, die eine halbe Seemeile entfernt lag …«

      Wieder die vollkommene Ohnmacht. Es ist auch nirgends von einer Bestrafung die Rede, dergleichen darf er gar nicht riskieren. Er hat ja keine geschulte und erzogene Mannschaft unter sich, sondern eine Horde von Wegelagerern und Zuchthausanwärtern. Der Verlust der »Santa Maria« hatte weittragende Folgen. Die »Niña« war zu klein, um die gesamte Mannschaft wieder über den Ozean befördern zu können, so mußte der Admiral einen Teil der Leute auf der Insel lassen und sie unter den Schutz des Kaziken Guacamari stellen, dessen Zuneigung er gewonnen hatte und dem er vertraute. Diese Zurückgelassenen waren die ersten europäischen Ansiedler der neuen Welt und gleicherweise die ersten, die den Versuch mit dem Leben bezahlten. Ob der Admiral dem Guacamari mit Recht oder Unrecht sein Vertrauen schenkte, ist niemals zu ergründen gewesen, nur so viel steht für gewiß, daß er durchaus unvermögend war, diese oder irgendwelche andere Persönlichkeiten unter den Indios zu begreifen, er bemühte sich auch gar nicht um tiefere Einsicht, sondern verschloß sich in der einmal gefaßten Vormeinung wie in einen Panzer.

      Seine beständigen Beteuerungen, wie harmlos, edelmütig und offen sich die »Wilden« gegen ihn und seine Leute betragen, arten in Geschwätzigkeit aus. Eigentlich meint er immer sich selbst, wenn er Dinge und Menschen rühmt. Den Indios werden mit der Zeit manche Zweifel an der Göttlichkeit der Fremdlinge aufgestiegen sein. Was den Spaniern Zutraulichkeit schien, war meist Neugier, jene unbezwingliche Eidechsenneugier naturhafter Wesen, die unter Umständen die Todesgefahr mißachtet. Wird doch berichtet, daß die Männer und Weiber eines Stammes die Abgesandten des Admirals in ihre Zelte trugen und sie vom Kopf bis zu den Füßen abtasteten, um sich zu überzeugen, ob es wirkliche Menschen aus Fleisch und Bein seien. Wenn sich Columbus zu der Behauptung versteigt, sie könnten es nicht erwarten, Christen zu werden, und er habe gesehen, wie sie das Kreuz schlugen und das Salve und das Ave beteten, so erfindet er ein frommes Märchen, um seiner frommen Herrin zu gefallen und den spanischen Glaubenseiferern einen schmackhaften Köder zu bereiten.

      Doch an seinem geringen Verständnis für das westindische Volk trägt nicht allein seine Unbildung die Schuld, nicht seine enthusiastische Befangenheit, nicht seine Schwäche in der Menschenbeurteilung überhaupt, auch nicht jener Verstellungszwang, von dem schon die Rede war und der das ganze Sein und Denken dermaßen durchsetzte, daß sich von vornherein ein feindlich lauernder Gegensatz zum andern Menschen ergab, sondern es ist die Epoche. Zu »verstehen« war nicht der Ehrgeiz und nicht die Richtung der Zeit. Darauf kam gar nichts an.

      Weder den einzelnen als Nebenmenschen konnte oder wollte man »verstehen«, noch die andere Natur oder das andre Gesetz oder die andere Welt. Zu sagen, es ging um Besitz, Eroberung und Raub, wäre eine zu billige Schlußfolgerung, es ging in Wahrheit um Sprengung der engen Grenzen des Ichs, wobei es wenig oder nichts verschlug, wenn das andere Ich dadurch zerstört wurde. Eine elementare Expansionsbewegung, die Königreiche sowohl wie Individuen erfaßt hatte, ohne Rücksicht auf Liebe, Humanität und Gerechtigkeit.

      Kein Europäer vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wäre mit den Indios einsichtiger verfahren als Columbus; wohl aber hätten viele, nicht so traumversponnen und so verliebt in ihre Tat, mit rauherer Faust zugegriffen; keiner wäre imstande gewesen, die menschheitsgeschichtlichen und kultischen Hintergründe zu ahnen oder zu spüren, das Geheimnis der Rasse, die Furcht, die Erwartung, die Erschütterung der Vorstellungswelt, Gefühlsabläufe, die in ihrem Verein jene fast undurchschaubare allerfeinste Verschlagenheit hervorbrachten, das Wort in seiner psychopathischen Bedeutung genommen, die ihr eigentliches Wesen wie hinter einer Maske verbarg.

      Der Kazik Guacamari, nach der oberflächlichen Beschreibung des Columbus ein schöner, kluger, anmutiger junger Mensch, hatte den Fremdlingen viel Freundlichkeit bezeigt, hatte sie mit Geschenken überhäuft und trat bald in nähere Beziehung zu ihrem Führer. Als er von dem Unglück hörte, das den Admiral betroffen, schickte er seine Leute mit geräumigen Kanoes an das Wrack, um die Ladung zu bergen. »Dies geschah außerordentlich schnell wegen des Eifers, den Guacamari selbst an den Tag legte«, erzählt Columbus; »er selbst in Person mit seinen Brüdern und Verwandten bemühte sich sowohl an Bord des gestrandeten Schiffes als auch am Lande um die Bewachung der dorthin gebrachten Gegenstände, damit für alles aufs beste gesorgt würde. Er hörte nicht auf zu weinen und den Admiral zu trösten und ihm zu sagen, er möge sich nicht kränken, er wolle ihm alles geben, was er habe.« Auch die Verwandten des Kaziken trauerten über das Mißgeschick der Schiffbrüchigen und stellten ihnen ihre Häuser zur Verfügung. Der Admiral lud Guacamari zu Tisch und bewunderte den Anstand, mit dem sich dieser benahm, der Kazik hinwiederum bewirtete den Admiral mit Fischen, Wildpret und Gebäck von Kassave und verehrte ihm einen mit Gold reich


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