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Der Tod der Schlangenfrau. Ulrike BliefertЧитать онлайн книгу.

Der Tod der Schlangenfrau - Ulrike Bliefert


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warum um alles in der Welt dieser Kerl sie mit den harmlosesten Bemerkungen derart zu Widerspruch reizen konnte.

      »Fest steht, dass weder Hanna Runtschen noch ihre Schwester auf das, was da am Bildrand vor sich ging, in irgendeiner Weise reagiert haben. Und auch Herr Temba sitzt ja offensichtlich ruhig da.«

      »Und das bedeutet …?«

      »Das heißt, dass scheinbar nur Charlotte Paulus sich erschreckt hat, und das ist seltsam, oder?«

      »Ja, wenn Sie meinen …« Auguste wusste nicht so recht, inwieweit dieser Umstand von Belang war, doch noch bevor sie nachfragen konnte, stand Wilhelmi auf. »Dürfte ich das Bild wohl mitnehmen?«

      Auguste nickte. Als Wilhelmi in die Jackentasche griff und sein Portemonnaie hervorzog, winkte sie entschieden ab. »Behalten Sie’s. Herr Weinfurth wird die Aufnahme sowieso nicht verwenden können.«

      Auf dem Weg zurück zur Ladentür wurde Wilhelmi schlagartig wieder förmlich. »Dann bedanke ich mich hiermit bei Ihnen und Ihrem Herrn Vater für Ihre Hilfe.« Er war bereits im Begriff, seinen Hut wieder aufzusetzen, als Auguste ihn zurückhielt. »Sie könnten mir doch im Tausch gegen das Foto erzählen, was das für eine Mission ist, auf die Sie Ihr Vorgesetzter heute Abend noch geschickt hat.« Erschrocken stellte sie fest, dass sie bei ihrer Frage den Kopf kokett zur Seite geneigt hatte. Das war in keiner Weise besser als ihre Patzigkeiten; das war einfach unmöglich! Nur: Daran war im Nachhinein nichts mehr zu ändern

      Wilhelmi holte tief Luft, als wollte er etwas Bedeutungsvolles sagen, doch dann überlegte er es sich zu Augustes Bedauern wieder. »Glauben Sie mir, Fräulein Fuchs, das möchten Sie nun wirklich nicht genauer wissen.« Dann setzte er seinen Hut auf, sagte »Adieu« und verschwand im abendlichen Getümmel der Friedrichstraße.

      Im Gerichtsmedizinischen Institut trug Reginald Wündrich die Ergebnisse der inneren Leichenschau in das dafür vorgesehene Formblatt ein.

       Todesursache:

      Herzstillstand bei systolischer Kontraktion.

      Befund spricht für die Anwesenheit von Digitalis- oder Strophanthinkörpern. Schürf- und Risswunden an den Extremitäten belegen zudem den von Kollege Dr. Goldstein geschilderten, für die Einwirkung von hochdosiertem Strophanthin charakteristischen Todeskampf mit Erregung, Angstzuständen, Halluzinationen und starker Konvulsion.

      Wieder was dazugelernt, stellte Reginald Wündrich zufrieden fest. Wenn keinerlei Schäden am Herzmuskelgewebe festgestellt werden können und das Herz nicht etwa wie normalerweise in der Diastole stehen geblieben ist, kann also, wie Professor Straßmann es ausgedrückt hat: »… von einer äußeren Einwirkung auf das Organ durch Zufügen eines hochdosierten, lokal wirksamen Giftes ausgegangen werden.« In die nächste Zeile gehörte demzufolge:

      Tod durch Fremdverschulden.

      Reginald Wündrich nahm sich vor, bei der nächsten Vorlesung ein bisschen mit seinem neu erworbenen Wissen herumzuprotzen. Die bornierten Von-und-Zus unter den Kommilitonen hatten es jedenfalls nicht besser verdient. Er gähnte, streckte die Beine unter dem Tisch aus und ließ die Knöchel in seiner Schreibhand knacken. Beinahe hätte er den letzten Eintrag vergessen:

       Besonderheiten:

       Schwangerschaft, etwa Beginn des zweiten Trimesters

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      KAPITEL 4

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      He, Gustchen! A penny for your thoughts!« So wortkarg und in sich gekehrt wie an diesem Abend hatte Henrietta ihre Nichte selten erlebt. Charlotte Paulus war blutjung gewesen, im selben Alter wie Auguste. Da war es nur verständlich, dass der Tod einer Gleichaltrigen Auguste nachhaltig beschäftigte. »Wer könnte so unheimlichen Hass auf sie gehabt haben, dass er sie umbringt?«, murmelte sie, »ich meine: Was kann man als Frau schon Schlimmes anrichten?«

      »Schönheit war schon immer ein Motiv für Neid und Eifersucht«, stellte Augustes Vater achselzuckend fest. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist bei den alten Griechen wegen einer schönen Frau sogar ein jahrelanger Krieg vom Zaun gebrochen worden.«

      »Unsinn, Julius!« Henrietta warf klirrend ihr Messer auf den Abendbrotteller. »Das mit der schönen Helena und Troja und dem ganzen Drum und Dran hat sich der alte Homer doch bloß ausgedacht! Wahrscheinlich ging’s den Griechen in ihrem hölzernen Gaul nur um das Übliche.«

      »Und das wäre?«

      »Macht und Geld. Außerdem gehört Kriegführen bei euch Kerlen doch sowieso zum guten Ton.«

      »Aber Charlotte Paulus war eine Frau und hatte, wie es aussieht, keinerlei Ambitionen in Bezug auf Macht und Geld«, warf Auguste ein, bevor sich ihr Vater und Tante Hattie einen längeren Schlagabtausch liefern konnten. »Ich versteh das Ganze einfach nicht.«

      »Na, warten wir es erst mal ab«, lenkte Henrietta ein, »vielleicht findet dein flotter Kriminalassistent ja ganz schnell die Lösung.«

      Während Auguste Tante Hatties Formulierung geflissentlich überhörte und betont ausgiebig an ihrem Schinkenbrot herumsäbelte, machte sich »ihr« Kriminalassistent auf den Weg nach Treptow: die Behrenstraße entlang mit der Elektrischen bis zum Haupteingang III der Gewerbeausstellung. Als er dort ankam, schloss diese soeben ihre Pforten, und Sigismund Brändel, der als eine Art Hausmeister für die auf dem Gelände befindliche Kolonialausstellung fungierte, empfing Wilhelmi mit einem bärbeißigen »Ick dachte schon, Sie komm’ nich mehr«.

      Die »Berliner Gewerbeausstellung von 1896« – von den Veranstaltern gern als verhinderte Weltausstellung bezeichnet – war die Sensation des Jahres! Auf einem Areal von rund neunzig Hektar tummelten sich mehr als dreieinhalbtausend Aussteller. Über die üblichen Werkschauen hinaus boten sich den Besucherinnen und Besuchern etliche Restaurants und Brauhäuser zum Verweilen an, und es gab jede Menge Attraktionen wie Rundfahrten mit venezianischen Gondeln, Bartschneidenlassen bei einem »Muzajin« – einem veritablen ägyptischen Barbier – oder in die Luft gehen mit »Zekeli’s Riesen-Fesselballon«. Sogar eine Sternwarte hatte man gebaut. Allerdings hatte deren Riesenfernrohr auch vier Wochen nach der Eröffnung noch niemand zum Funktionieren gebracht. Zum pädagogisch wertvollen Amüsement gehörten außerdem die Nachbildungen deutscher Kriegsschiffe, die auf der Spree paradierten und brave kleine Matrosenanzugträger von einer Zukunft als Marineoffizier träumen ließen. Besonderer Anziehungspunkt jedoch war die »Erste Deutsche Colonialausstellung« am Treptower Karpfenteich, mit »Original-Negerdörfern« und »Straßen und Gassen in Kairo«.

      Bis dorthin waren es vom Eingang III aus nur wenige Schritte, doch Sigismund Brändel führte Jakob Wilhelmi nicht wie erwartet zum entsprechenden Ausstellungsareal, sondern weiter abseits zu einer Reihe grob gezimmerter Baracken.

      »Die könn’ wer leider nich in ihre Negerhütten übernachten lassen. Sterben ei’m bei dem Regen ja sonst weg wie die Fliegen, versteh’n Se?«

      »Natürlich. Ich hab gehört, dass tatsächlich einer der Afrikaner vorgestern Abend gestorben ist. Völlig überraschend, hieß es.«

      »Da ham Se richtig gehört. War aber nich vor Kälte, sondern war ’n Unfall. Kann jedem passieren. Aber wenn Se mich fragen, ham die hier sowieso nischt verloren: Alle naslang fällt einer wejen Dünnpfiff aus, weil die Berliner Küche nu mal nich aus Vogelfutterpampe mit Kängurukotelett besteht!«

      Jakob Wilhelmi verkniff sich die Bemerkung, dass das gemeine Känguru in Afrika selten bis gar nicht anzutreffen war und von daher vermutlich auch nicht auf den entsprechenden Speisekarten anzutreffen sein dürfte.

      »Versteh’n Se mir nich falsch«, schwadronierte Sigismund Brändel weiter, »aber die soll’n doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Meine Meinung!«


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