Das sechste Gebot. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.
an jedem Tage in Untertänigkeit und Dienstbereitschaft vor der sanften blonden Frau.
Signore Riccardo ward selten gesehen. Desto häufiger und angelegentlicher erkundigte sich Frau Nina nach dem Befinden des Herrn. Sie beteuerte der blonden deutschen Frau: der fleissige, kluge Signore werde sicher vor Überanstrengung einmal krank werden; denn dafür könne sie sich der Signora verbürgen, dass der Kopf immerhin ein edler Teil des menschlichen Leibes sei und dass ihn darum kein vernünftig Denkender soundsoviel Stunden des Tages in aufreibender Arbeit missbrauche.
Margherita belächelte die Besorgnisse der Padrona in ihrer milden Art. Trotz aller Sorge der Nina Zeni trat natürlich keine Änderung in der Lebensweise des dichtenden Signore Riccardo ein. Dieser schien für seine Umgebung in der grauen Spätherbstzeit mit ihrem beginnenden Segen unnahbarer denn je.
Aber Frau Nina wusste sich das sanfte Herz der Herrin allgemach so vollständig zu erobern, dass diese den grössten Teil des Tages nun in ihrer Gemeinschaft in der Nähe des Herdes verbrachte. Wenn draussen der Regen rann, lachten die Flammen so freundlich unter dem russigen Kessel; es war ein trautsames Beisammensein in ihrer Nähe. Und Nina Zeni wusste geschäftig zu erzählen, am schönsten aber von Sonnino, dem Räuberneste in den pontinischen Sümpfen, um das die Abendsonne so rot und heiss ihre purpurnen Schleier wob.
Schon ehe die Trauben reiften, erschien Margherita häufiger in der Küche; denn sie fand Gefallen an der Eigenart dieses russigen, gewölbten Raumes, an dem offenen Feuer, an dem riesigen Rauchfange, an dem blitzenden Kupfergeschirr, das an den schwarzen Wänden hing, und an den ihr bis dahin fremden Hantierungen und der landesüblichen Speisebereitung.
Und wie ihr dies alles ganz geläufig geworden war, zeigte Signora Margherita immer deutlicher Lust, sich in der Gemeinschaft Ninas und Priscas wohnlich einzurichten; denn wenn sie sich tagsüber in der Küche aufhalte, werde Signore Riccardos Arbeit noch weit raschere Fortschritte machen — sagte sie zu Nina.
Das sah Nina Zeni zwar nicht ein, aber das schlichte Wesen der deutschen Frau rührte sie zu Tränen. Sie legte ihre Hände auf die weissen, schlanken Hände Margheritas: „O Signora,“ sagte sie mit gehobener Stimme, „wie könnten wir! Und wie dürfte ich zugeben, dass Sie mit uns immerfort in diesem schlechten Halbdunkel am Herde leben?“
Aber Frau Nina fühlte sich in dem Wunsche der Signora geschmeichelt. Sie dachte auch daran, dass die Frauen von Santa Croce eine heisse Verehrung für Ritas blonde Frauenschönheit hatten, und wie sie ihr diese Freundschaft neiden würden! Und wer hätte heimlicher und freudiger für Priscas Herz und Schönheit sorgen können, als Signora Margherita?
Eines Tages — die Nebel krochen wieder aus den Schründen und verkündeten Regen — durchleuchtete ein Gedanke die Seele Ninas blitzartig, ein Gedanke, verheissungsvoll und herrlich, der die ganze Fülle der behäbigen Padrona in bewegliche Geschäftigkeit versetzte.
Einen Augenblick senkte sie die Lider, dann hob sie ihre Augen zu dem schmalen Oberlicht in der Wand gegen die Felsengasse zu, das den grossen Raum nur mit recht kärglichem Taglicht versorgte und sagte:
„Und doch — Signora Margherita, wie könnten wir Ihnen einen Wunsch unerfüllt lassen — Ihnen? Ich werde den Maurer bestellen. Heut noch soll ihn Beppino uns bringen — Beppino! Beppino! Wo ist er wieder? Lauf, Prisca, und schreie nach dem Beppino! Und der Maurer soll uns ein Fenster gegen die Gasse hin brechen, soll putzen und tünchen, und in dieser Ecke soll ein Tisch stehen und sollen Stühle sein. Wird es nicht schön werden? Und dann wollen wir sitzen und plaudern und wollen von Ihnen lernen, und Prisca soll Ihnen Ihre sanfte, stille Schönheit absehen. O, wenn Sie ihr ein wenig davon geben könnten!“ ...
Frau Nina legte den Kopf wehmütig zur Seite, und der Ton ihrer Stimme verlor in plötzlicher Wandlung die zuversichtliche laute Freude.
Prisca lief also und schrie nach dem Beppino. Eine dunkle Ahnung sagte ihr: diese bauliche Veränderung werde nicht allein der blonden Signora wegen vorgenommen. Nein, auch Ettore Torino sollte staunen, wie nett und wohlhabend es in Nina Zenis Hause geworden war.
Und wie Priscas Schuhe draussen auf dem Flure klappten, trat Nina ganz dicht an die blonde Frau heran und sagte leise: „Ich will Ihnen alles erzählen, Signora Margherita —“ Nina Zeni machte dabei rätseltiefe Augen — „auf Prisca wartet ein grosses Glück!“
Da sah Margherita das eintretende Mädchen lange an, als fragte sie sich: ‚Ein grosses Glück? Und auf dieses vermühte, einsilbige Kind mit den welken Wangen und dem versonnenen Blick, dem die heisse Art der Frauen dieser Berge zu fehlen scheint?‘
Und Frau Nina schlürfte zu Prisca, die mit dem Holze den Reis im Kessel über dem Feuer rührte: „Sei fröhlich, Prisca! Die Küche, deine finstere Küche, wird nun eine helle, freundliche Osteria werden!“
Prisca sank mit ihrer Verwunderung auf den Herdrand und sah in die erschreckten Augen Margheritas.
„Eine Weinschenke?“ fragte die und dachte mit Entsetzen an das verlorene Paradies der tiefen Stille, das Richard in diesem kleinen Hause des weltfernen Bergdorfes gefunden zu haben glaubte. „Eine Weinschenke? Aber liebe teure Padrona, das ist ja entsetzlich!“
Allein Frau Nina Zenis geschäftige Freude beruhigte sie: „Es werden wenige kommen, unseren Wein zu trinken, Signora Margherita! Sind nicht andere Schenken genug in Santa Croce, in die sie längst zu gehen sich gewöhnt haben? Aber es werden doch etliche ihre Soldi in meinen Händen lassen, unsere Armut aufzubessern. Fürchten Sie nichts! Eh, sind nicht die Mauern dick, dass kein Laut über den Flur irren kann? Lassen Sie mich sorgen, Signora Margherita! Signore Riccardo soll drüben keinen Laut vernehmen!“
Und Frau Nina Zeni erwog eifrig alle Möglichkeiten, die für den fleissigen, einsamen Signore die sichere Gewähr ungestörter Ruhe gaben.
Endlich beschied sich Signora; denn in Nina Zenis Worten war Kraft der Überzeugung — na, und es lag doch auch nicht in der Absicht Richards, sich dem Glücke der runden Alten in den Weg zu stellen, der guten, dicken Frau, die so herzzerbrechend klagen konnte. Ja, es kam sogar eine heimliche Freude über Margheritas Seele. Wenn die Küche der Nina eine Weinschenke wurde, so wartete manchmal ein wenig Zerstreuung auf den Dichter, der wortkarg und sinnierend in den letzten Tagen oft launisch und unzufrieden gewesen war.
Während die Frauen so über den Wandel der Dinge redeten und planten, was geschehen solle, damit alles recht wohnlich und hübsch werde, erschien Beppino auf der Schwelle der Küchentür — wild, mit triefender Stirn und heissen Augen. Beppino vernahm, gröhlte sein jubelndes Einverständnis, sprang davon und holte den Maurer.
Wie ein Feuer flog die Kunde durch Santa Croce: Nina Zenis Haus wird eine Weinschenke!
Und Beppino kam wieder heim und trug einen Topf mit granatroter Ölfarbe in der Hand. Er schwang den Pinsel wie eine Siegesfackel und beschwor Signora Margherita bei der Schönheit des Heiligen von Santa Croce, mit ihm hinauszugehen unter die Feige zwischen den Mauern.
Da ging sie mit ihm und musste Zeuge sein, wie er mit der roten Farbe auf ein himmelblaues Schild schrieb: Vino buono.
Diese Inschrift hing er an einem Stab über der Türe des Hauses auf, so dass sie über der Mitte der Gasse schaukelte, legte einen Lorbeerzweig aus Giulio Margiottas Hecke darüber und versicherte mit einer Stimme, mit der er die schlafenden Heiligen des Himmels hätte wecken können: „Es ist schön, Signora! Herrliche Farben und eine schöne Schrift! Eh, Signora, hab’ ich nicht drei Jahre auf den Bänken der Schule von San Tomaso leiden müssen — und sollte das nicht einmal fertig bringen?“
Da trat auch Frau Nina Zeni in die Felsengasse und stand lange in tiefer Rührung vor dem Werk ihres klugen Beppino.
Dann ging sie zu dem Sindaco und leitete in die Wege, was geschehen musste, ehe sie einen roten Soldo von dem ersten Gaste empfangen durfte. Und sie erhob angesichts der Mühsal, die ihrer Stattlichkeit aus dem Beschreiten der steilen Gassen erwuchs, ein lautes Wehklagen und schalt die Härte der Gesetze, die selbst einer armen Witwe nicht ohne weiteres zugestanden, ihr Geld zu verdienen, wie sie mochte.
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