Das sechste Gebot. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.
vernehmbar die leisen Schritte der Fremden auf dem Flur.
Prisca hörte, wie ‚Signore Riccardo‘ und ‚Signora Margherita‘ über die Schwelle der Gartentüre des Hauses traten und wusste, dass sie nach der Bank unter den tief herabhängenden Zweigen der grossblätterigen Feige schritten. Dann gab sie sich wieder willenlos dem süssen Rausche hin, der ihre Seele liebkoste.
Draussen im zitternden Lichte zwischen den Gartenmauern hielt der schwarzbärtige Deutsche die blonde schöne Frau in seinen Armen, und ihre Lippen lagen in langen, heissen Küssen aufeinander.
Das alles vermeinte Prisca zu sehen, und ihr Herz läutete Sturm, läutete so laut, dass sie dachte, die gute, behäbige Nina müsse in ihren Kissen sich aufrichten und horchen. Und von draussen klang das Flüstern der Glücklichen zwischen den angelehnten Fensterläden herein, das nur hin und wieder von einem lauten Worte unterbrochen ward. ...
„Dass wir einem schönen, fremden Sterne nachgingen, Margherita — ahnte ich’s nicht? Nun wollen wir hinter uns lassen, weit hinter uns, was uns bange macht — vor uns liegen die goldenen Tage! Über diesem schönen Lande leuchtet die Morgenröte unserer herrlichen Zukunft! Wir wollen diese erste glückliche Nacht wach sein und wollen die Sonne aufgehen sehen über dem Felsgebirge von Santa Croce. Magst du?“
Und die blonde sanfte Frau, die in den Armen des Mannes gelegen hatte, richtete sich empor.
Sie gingen lautlos aus dem ummauerten Hofe zurück in das Haus, gingen über den Flur und traten in den Traum der engen Gasse, die hinauf in die Vignen führte und weiter hinauf in den Zacken des Gebirges sich verlor. Die Schatten der Gartenmauern lagen in scharfen Rissen auf den Fliesen — die Bergwelt ringsum war ein silbernes Märchen.
Langsam schritten sie die Steilgasse empor. Margherita lehnte sich im Gehen an das Herz des Mannes, dem ihre Liebe, dem noch all ihr Glaube gehörte.
„O Margherita,“ sagte er, „und wenn wir alles Glück der Erde hinter uns gelassen hätten, getraust du dir, es hier von neuem zu finden?“
Einen Augenblick sanken die Lider wie in heimlicher Bangnis über die feuchten Augen der blonden Frau; dann legte sie ihre Hände auf die Achseln des Mannes: „An deiner Seite ist das Glück — ja, ich glaub’ es.“
Und weiter schritten sie und weiter, bis die Felsengasse nur noch ein schmaler, getretener Pfad war, der auf einer breiten Felsenkuppe endigte. Ringsum zitterte das Silber der Oliven; denn der Bergwind, der vor dem nahenden Tage herfliegt, wollte erwachen, und die Blauamseln begannen schon leise zu stimmen.
Von der Kuppe schauten sie hinab auf die Dächer von Santa Croce, unter denen noch alles Leben schlief. Nur die Glocken des Felskirchleins sangen einmal, und tief im Osten entglomm ein Funke Sonnenlicht. Der dehnte sich zu einem goldenen Streif, der loderte empor zu purpurnem Brande.
Und das rosige Licht der Frühe flog um die beiden Menschen auf dem Felsen.
Mit dem linken Arm umschlang Richard das Weib und den rechten hob er wie ein Sieger: „O Margherita, ich habe Jahre meines Lebens versäumt! Ich jagte nach Tand und Blendwerk und vergass über der Enge und Kleinheit, was gross und ewig ist! Aber es ist noch nicht zu spät für meinen Mut und meine Kraft. Und wenn irgend auf Erden Werke von unvergänglicher Grösse und Schönheit geschaffen werden können — hier müssen sie geschaffen werden, und ich will sie hervorbringen in dieser tiefen Einsamkeit erhabener Natur. Der Name Richard Krauss soll den Menschen geläufig und eine frohe Botschaft werden aller Willensstärke und Geistesgrösse.“
Margherita überrann bei diesen tönenden Worten des Mannes ein Schauer der Bewunderung. Sie lehnte sich so fest gegen die Brust des Geliebten und lag so sicher in seinen Armen — ein Bild willenloser Ergebung.
Richard entging die erschütternde Wirkung nicht, die seine klingenden Worte auf Margherita hatten. Sie hob ihre Augen zu ihm auf und sagte still und feierlich: „Ich glaube an dich, wie ich einst an das Glück geglaubt habe!“ ...
Leicht, widerstandslos — wie die Liebe dieses vertrauenden Weibes, das, vom Leben enttäuscht, in ihm die Erfüllung ihres Hoffens suchte, dachte sich Richard Krauss mit seiner Kunst die Welt zu erobern. Es stand niemand an seiner Seite, der zu ihm sagte: „Eitler, törichter Schwärmer! Verblendeter, der seine Kraft nicht kennt!“ Ein müdegetäuschtes Weib lehnte sich an seine Brust; an dieser Frau wuchs der Wahn seiner Grösse bis an die Säume des Himmels ... Aber Frauenliebe ist ein schlechter Richter des Rechts, und die Schwäche des Frauenherzens misst die Kraft des Mannes mit trügerischem Masse.
Der Tag war inzwischen in königlicher Pracht über die Berge gestiegen.
Da schritten die beiden Menschen mit ihrem Traume von Glück hernieder in das erwachte Santa Croce.
9.
In der Türe zu der russigen Küche stand Nina Zeni in ihrer ganzen stolzen Fülle.
Sie hatte von Prisca erfahren, dass die Deutschen vor Tau und Tag aus dem Hause gegangen seien — nun ja, alle Welt weiss: diese Deutschen sind verrückt. Pah, was ficht das Nina Zeni an, wenn sie ihr nur allwöchentlich die verabredete Zahl von Liren in die begehrliche Hand zahlen!
Und Nina Zeni überschüttete die Heimkehrenden mit einer Flut von Fragen, auf deren keine sie eine Antwort zu erwarten schien. Aber über all ihren Fragen hatte sie doch noch Zeit genug, diesen stolzen, wortkargen Signore Riccardo mit dem dunklen Vollbarte prüfenden Blickes zu durchforschen, als gälte es die Lösung eines Rätsels.
Er befahl mehr, als er bat, über Frau Ninas Schulter hinweg von Prisca den Morgenkaffee und zog sich in das Zimmer zurück, als wartete eine Fülle von Arbeit auf ihn.
Die dicke Nina warf sich das Schleiertuch über und brachte das Frühstück.
Und wieder nach einer Zeit ward mit Hilfe Priscas und der Nonna eine durchgreifende Veränderung in dem Zimmer der Gäste vorgenommen, in dem die Lager noch unberührt standen.
Den Vorschlag Ninas, die Herrschaften möchten die Läden schliessen und sich der Ruhe hingeben, wies Richard Krauss mit einem fast mitleidigen Lächeln zurück.
„Schlafen?“ lachte er. „Ich bin in die Pracht dieser Berge geflohen, um zu arbeiten, Signora!“
Da war wieder das hilflose, lächerliche ‚Signora‘, mit dem diese Deutschen womöglich die Bettlerin am Wege anrufen! Gestern hatte die dicke Nina bescheiden lächelnd die Augen niedergeschlagen, heute aber wehrte sie mit beiden Händen ab: „Nicht ‚Signora‘, Herr! O, o! Das wäre eine zu grosse Ehre für die arme, einfache Nina Zeni, die Ihnen und der gnädigen Frau fortan dienen will. ‚Padrona‘, wenn es Ihnen gefällig ist, Herr!“
Diese Belehrung liess Signore Riccardo sich schweigend gefallen, während er die Hand flach auf einen Stoss beschriebener und unbeschriebener Blätter gelegt hatte. Dann forderte er Prisca und Nina auf, den einen Tisch in das Licht am Fenster zu rücken, und bedeutete sie, dass von allen Blättern, die für die Folge auf diesem Schreibtische liegen würden, nichts weggetragen, ja nicht einmal berührt werden dürfe, da jedes geschriebene Wort unersetzlich für ihn und die Mitwelt sei.
Das fand die dicke, praktische Nina noch verrückter, als in dem Mondlichte der Nachmitternacht durch die Vignen zu streifen und dann am Tage nicht einmal zu schlafen.
Aber pah — was ging sie die Narrheit der Deutschen an! Für so viel Lire liessen sich ja wohl einige Sonderheiten in Kauf nehmen. Und Nina Zeni war unweigerlich entschlossen, für den bewilligten Mietpreis alles über sich ergehen zu lassen.
„Müssen wir nicht, Prisca? Können wir nicht, Prisca?“ fragte sie, als sie wieder auf der Ecke des Herdes sass, um von der gehabten Mühe sich auszuruhen. „Wir werden nicht mehr arbeiten und haben Eier und Maccaroni, haben Reis und Huhn und Kuchen so viel wir mögen; und jene haben ihre Narrheiten. ... Ob die blonde Signora seine Frau ist, Prisca? Eh, Prisca, was meinst du?“
Sie sah in ein paar verwunderte junge Augen; die fragten: ‚Seine Frau? Ja, was soll sie sonst sein?‘
Dabei beschied sich Nina Zeni und dachte, über derartige