Abheben. Werner SchusterЧитать онлайн книгу.
stellten sich auch schnelle Erfolge ein, und eines Tages saß ich mit Liss auf der Terrasse des Bundessportheims in Faak am See und erzählte ihm begeistert von meinen Erlebnissen und Gedanken. Christian Nagiller, später Weltcupsieger, hatte sich in wenigen Wochen zur Nummer eins in meiner Trainingsgruppe aufgeschwungen, und ich bildete mir ein, ihm mit ein paar Kniffen dorthin verholfen zu haben. Liss war die Entwicklung von Nagiller nicht verborgen geblieben, und er schlüpfte wieder in die alte Trainerrolle, indem er mir väterlich mitteilte: »Werner, du kannst was!«
Gute Freunde: Alois Lipburger, genannt Liss (links) und Toni Innauer (rechts)
Das war für mich wie ein Ritterschlag, motivierte mich ungemein für die kommenden Aufgaben und brachte mir ein weiteres Stück mehr Selbstsicherheit.
Der Winter stand vor der Tür, die Wettkampfsaison begann. Auch wenn man sich für alle nur das Beste wünscht: Performance auf den Punkt zu bringen ist wieder eine eigene Qualität, und leider kann nicht jeder gewinnen. In der Realität ist man prozentuell eher von Enttäuschten umgeben als von glücklichen Siegern. Die Selektion ist gnadenlos. Hier war ich als Psychologe gefragt und schrieb mir auf die Fahnen, keinen zurückzulassen. Nach einem Wettkampf brauchen einen vor allem die Verlierer, für die Sieger ist die Welt ohnehin in Ordnung.
Diese Situation forderte mich. Ich musste anerkennen, dass es auch mit dem größtmöglichen Einsatz nicht realisierbar war, aus allen Sieger zu machen. Die Sportler Woche für Woche zu trösten und den Eltern die Situation hoffnungsvoll und respektvoll, aber auch mit der notwendigen Portion Realismus darzulegen, verlangte mir als Jungtrainer alles ab.
Ich war noch nicht einmal ein halbes Jahr im Amt, schon musste ich mein Motiv überdenken. Meine Aufgabe war es, den Talentiertesten und Motiviertesten die Möglichkeit zu eröffnen, eines Tages Weltklasseleistungen zu erbringen. Der Prozentsatz der »Gescheiterten« liegt allerdings bei weit über 90. Wenn es also gelingt, pro Jahrgang österreichweit tatsächlich einen Sportler an die Spitze zu führen, dann kann man sich schon glücklich schätzen.
Auch wenn ich sogar mehrere Jahre im Weltcup gesprungen war, als Sportler war ich im engen Sinne auch ein Gescheiterter, aber ich fühlte mich nicht so. Mein Leben hatte Inhalt, und ich genoss es zu reisen und auf meinem Level Erfolgserlebnisse zu feiern. Viele Freundschaften bauten sich über die Jahre auf, auch internationale, und gerne erinnere ich mich an das eine oder andere Erlebnis aus dem Sportlerleben zurück. Kollegen, die eine Stufe früher scheiterten, erlebten Vergleichbares. Der Sport lehrt dich Demut und Disziplin. Man lernt den Umgang mit Druck und Wettkampf, Frust und Scham. Elemente, die einem im späteren Leben auf irgendeine Art und Weise wieder begegnen. Natürlich gibt es auch Frustrierte, die nur mehr ungern über die Sport- und Ausbildungszeit sprechen. Meist hat das aber einen direkten Zusammenhang mit dem Umgang der Vertrauensperson Trainer und dem notwendigen Verständnis und Respekt, der in diesen Fällen gefehlt hat.
Hier galt es anzusetzen. Ich nahm mir vor, so zu arbeiten, dass meine Sportler zu mir sagen: »Trainer, es war eine coole Zeit in Stams!«, wenn ich sie nach vielen Jahren wieder treffen würde. Respektvoller, einfühlsamer und vertrauensvoller Umgang einerseits, aber auch die notwendige Disziplin und Konsequenz, um den Begabtesten ein Weiterkommen zu ermöglichen. Mit anderen Worten: jeden an sein persönliches Limit führen!
Das erste Jahr verging wie im Flug, drei meiner Jungs stiegen in den C-Kader auf, und ich wurde vom österreichischen Skiverband mit der Gesamtleitung dieser Nachwuchsmannschaft beauftragt. Die Leistungsdichte war enorm, und wir dominierten die Nachwuchsserie, den Alpencup, nach Belieben. In den Vereinen wurde gute Grundlagenarbeit geleistet, wir hatten eine sensationelle Dynamik im Trainerteam, die sich auf die Sportler übertrug, und führten sie Schritt für Schritt an die Weltklasse heran. Auch meine erste Junioren-Weltmeisterschaft wurde ein Triumph. Mit dem erfahrenen Trainerkollegen Harald Haim an meiner Seite gewannen wir Teamgold, und wäre das Einzelspringen nicht wegen Wetterkapriolen abgesagt worden, hätte es noch mehr Medaillen für Team Rot-Weiß-Rot gegeben.
Der Trainerjob beseelte mich und war meine Berufung. Ich wollte etwas bewegen und etwas vermitteln. Genau so, wie ich es erfahren durfte. Mein Anspruch war, meine Sportler besser zu machen und ihnen eine erfüllte und gewinnbringende Zeit zu ermöglichen. Ihnen Orientierung zu geben und Werkzeuge fürs Leben zu vermitteln. Jeden bestmöglich zu begleiten und die Erfahrung machen zu lassen, mit einem guten Konzept und hoher Willenskraft Berge versetzen zu können. Grenzerfahrungen zu machen und trotzdem Sicherheitsstandards einzuhalten.
2001 hatte ich zwar endlich neben dem Job mein Studium beendet, aber das Jahr 2001 brachte nicht nur Sonnenschein. Liss war inzwischen zum Cheftrainer der österreichischen Skispringer aufgestiegen und verunglückte auf der Heimfahrt vom Weltcupspringen in Willingen tödlich. Die Beisetzung in Stams in der Basilika war ein herzzerreißender Moment. Tausende Leute waren gekommen, um sich von einem weit über die Sportgrenzen beliebten und geschätzten Menschen zu verabschieden. Er hatte also nicht nur bei mir tiefe Spuren hinterlassen. Mein Trainerdasein ist stark von ihm geprägt, und darauf bin ich stolz.
Die Geburt meines ersten Sohnes Jonas im Sommer 2003 veränderte mein Leben enorm. War ich bisher in meiner Sportblase gefangen und lebte in engen Leitplanken meine Emotionen aus, brachte die Geburt und dabei speziell die gemeinsame Zeit mit meiner Frau Annika im Krankenhaus eine bisher unbekannte Intensität an Gefühlen hervor. Das Wunder Leben relativierte so manches bisher Erlebte. Die neue Verantwortung und Gewichtung in meinem Leben sollte sich auch positiv auf mein Trainerdasein auswirken. Situationen im Traineralltag, die mir extrem bedeutsam erschienen und mich zur Weißglut gebracht hatten, verlangten mir immer öfter ein Lächeln ab. Ich bekam ein besseres Gefühl durch mehr innere Gelassenheit, wann es sich lohnte, sich über etwas aufzuregen. Mein Fanatismus und meine Begeisterung für das Skispringen blieben mir erhalten, aber ich betrachtete die Menschen, mit denen ich arbeite, aus einem leicht veränderten Blickwinkel.
Im Jahr 2005 stießen zwei äußerst begabte Athleten des Jahrgangs 1990 zu meiner Trainingsgruppe in Stams: Mario Innauer und Gregor Schlierenzauer. Beide kannten sich seit ihrer Anfangszeit im Verein Innsbruck Bergisel, waren freundschaftlich miteinander verbunden und pushten sich gegenseitig zu Höchstleistungen. Sie dominierten ihre Altersklasse nach Belieben und hatten mein C-Kader-Team schon punktuell verstärkt, obwohl altersgemäß im Alpencup noch gar nicht startberechtigt. Während Mario Innauer mit einer soliden Grundtechnik, hohem athletischen Potenzial und einer enormen Willensstärke auffiel, punktete Gregor Schlierenzauer mit einer sehr feinen technischen Klinge und einem enormen Fluggefühl. Aus sportlichem Elternhaus, mit einem Vater, der gerne selber die österreichische Alpinszene als Athlet bereichert hätte, die Mutter eine warmherzige Frau, die die sportlichen Ambitionen des Kindes mit Feingefühl und gutem Instinkt unterstützte. Der Onkel ein ehemaliger Spitzensportler und Ratgeber im Hintergrund. Aufgewachsen im damals erfolgreichsten Verein Österreichs, dem SV Innsbruck Bergisel mit einem außergewöhnlich guten Schülertrainer Markus Maurberger. Zudem bekam er die eine oder andere Zusatztrainingseinheit von Toni Innauer, der früh erkannte, dass die Symbiose von Gregor und seinem Sohn Mario eine klassische Win-win-Situation sein konnte.
In den ersten Entwicklungsjahren gab es keinerlei Leerlauf in der Karriere von Gregor Schlierenzauer. Er lernte sofort die richtige Technik und wurde altersgemäß gefordert und gefördert. Körperlich und entwicklungsmäßig ein wenig hinter Mario Innauer, musste er das technisch kompensieren, um in der Pubertät Schritt halten zu können.
Diese beiden Sportler verstärkten nun meine Trainingsgruppe, und wir entfachten eine Dynamik, die ihresgleichen suchte. Ich fühlte mich sehr geehrt, die Verantwortung für diese beiden zusätzlich übernehmen zu dürfen. Gleichzeitig war es eine heikle Mission, den Sohn des Sportdirektors und den gut behüteten und von Onkel und Vater kompetent und kritisch begleiteten Gregor Schlierenzauer zu trainieren.
Zu beiden hatte ich sehr schnell einen guten Draht, und der Alltag lief problemlos. Mit Arthur Pauli, dem Juniorenvizeweltmeister von 2005, Thomas Thurnbichler und Andreas Strolz hatte ich weitere Hochkaräter in meiner kleinen Truppe, die jedes andere Team der Welt verstärkt hätten. Diese Dynamik galt es zu moderieren, um keine unnötigen