Outsider. Jonathan WilsonЧитать онлайн книгу.
desto besser. Obgleich er auch nur den Raum zwischen den Pfosten zu verteidigen hat und all seine Tätigkeit zwischen den Pfosten oder wenige Meter von diesen entfernt stattfindet, muss er doch bereit sein, innerhalb seines begrenzten Bereichs die größtmögliche Aktivität zu zeigen.“
Auch wenn nicht alle in ihrer Einschätzung des Torhüters so weit gingen wie Shearman, spiegelte er doch einen allgemeinen Trend wider. Mitte der 1880er Jahre besaß der Torhüter so viel Anerkennung, dass Unternehmen mit der Herstellung spezieller Torwartausrüstung begannen. Die Firma Geo. G. Bussey aus Peckham, Produzent von „Turngeräten und sämtlichen Bedarfs für britische Sportarten und Spiele drinnen und draußen“, bewarb in ihrem Katalog etwa neben „Schienbeinschützern“, „Fußball-Ohrschützern“, „Knöchelschützern“, „Fußball-Spielertaschen“ und „Fußballgürteln“ auch Torwarthandschuhe. Erhältlich waren sie entweder in „Büffelleder und schwarzem Gummi“ für fünf Schilling das Paar oder, wenn man sich nicht lumpen lassen wollte, in „weißem Leder und rotem Leder“ für fünf Schilling und neun Pence. Der Illustration nach zu urteilen, sahen sie bemerkenswert modern aus – auf jeden Fall moderner als die Dinger aus Baumwolle mit Noppengummi, die man in den 1970er Jahren bekam. Die Rückseite des Handschuhs, wahrscheinlich der lederne Teil, besaß Belüftungsöffnungen und erinnerte an einen Autofahrerhandschuh. Die Vorderseite, der Teil aus Gummi also, war zweifarbig: vier Finger in einer Farbe, Daumen sowie Handfläche in einer anderen. Shearman schrieb weiter:
„Mitunter grenzt es an ein Wunder, Torhüter wie Arthur von den Blackburn Rovers zu sehen oder McAulay, den schottischen Nationalspieler, wie sie Schuss um Schuss in schneller Folge aufhalten, von Seite zu Seite wechselnd, ohne jemals die Geistesgegenwart oder das körperliche Gleichgewicht zu verlieren. Keine leichte Aufgabe haben die Torwärter von heute, da die Angreifer gelernt haben, vor dem Tor Pässe von einem zum nächsten zu geben; und das Beste, was sich über Torwärter von heute sagen lässt, ist, dass sie sich dieser Aufgabe gänzlich gewachsen gezeigt haben. Ganz ohne Zweifel waren die Spieler auf dieser Position ebenso schneidig und mannhaft in den Zeiten, als Kirkpatrick eine halbe Stunde lang bis zum Ende eines Matches das Tor hütete, während ihm der eine Arm gebrochen von der Schulter herabhing; doch haben die Spieler von heute bessere Taktiken, mit denen sie kämpfen können, und haben ebenso großen Erfolg in ihrer Verteidigung.“
Kirkpatrick war eine der großen Persönlichkeiten in den frühen Fußballjahren. Sir James Kirkpatrick, achter Baronet von Closeburn, Dumfriesshire, war Privatsekretär von Lord George Francis Hamilton, dem Ersten Lord der Admiralität. Zugleich war er Torwart und Kapitän der schottischen Auswahl, die 1870 im Londoner Stadion The Oval auf England traf. Hier und da wird diese Begegnung als erstes Länderspiel gewertet, doch da sich die schottische Mannschaft nur aus in London wohnenden Schotten rekrutierte, wird sie offiziell nicht als vollwertiges Länderspiel anerkannt. Als Stammspieler bei den Wanderers und für sein Land beschrieb ihn das 1875er Football Annual als „einen stets hervorragenden Torwart, dem Surrey auf dieser Position vieles zu verdanken hat“. In der Ausgabe von 1879 hieß es, er sei „ein sehr patenter Torwart, gut auf dem Platz und [verlöre] niemals seinen Kopf “.
Obwohl er es in elf Jahren als Spieler auf 58 Einsätze für die Wanderers brachte, war er bei kaum einer Partie im FA-Pokal dabei. Immerhin fungierte er beim ersten Endspiel um den FA-Pokal im Jahr 1872 als Umpire. Außerdem stand er 1877/78, als die Wanderers ins Finale gegen die Royal Engineers einzogen, in sämtlichen Runden mit auf dem Platz. Das Endspiel besiegelte seinen Legendenstatus. Irgendwann in der zweiten Halbzeit hielt Kirkpatrick im Getümmel auf der Torlinie einen Ball und brach sich dabei den Arm. Da ein Wechsel ausgeschlossen war, weigerte er sich, den Platz zu verlassen oder auch nur mit einem anderen Spieler die Positionen zu tauschen und auf die Außenbahn zu gehen. Nein, er bestand aufs Weitermachen und sorgte dafür, dass die Wanderers mit 3:1 gewannen. Dass Kirkpatrick noch eine halbe Stunde mit gebrochenem Arm spielte, wie Shearman andeutet, wird von Keith Warsop in seinem 2004 erschienenen Buch über die ersten Endspiele des FA-Pokals allerdings angezweifelt. Er hält 15 Minuten für wahrscheinlicher. Auf jeden Fall war es der letzte Erfolg der Wanderers im FA-Pokal und Kirkpatricks letztes Spiel im Trikot der Wanderers.
Bei dem von Shearman erwähnten „Arthur“ handelt es sich um Herby Arthur, seines Zeichens siebenmaliger englischer Nationalspieler und von 1884 bis 1886 mit den Blackburn Rovers dreimaliger Sieger im FA-Pokal. Wie gut er auch zwischen den Pfosten gewesen sein mag, heute erinnert man sich an ihn vor allem wegen seiner Rolle im ersten großen Korruptionsfall im Fußball. 1898 berichtete ein Torhüter in einem Artikel in Football News von einem Vorfall, der sich ein paar Jahre zuvor ereignet hatte. Zwar schrieb er anonymisiert, allerdings gab er an, englischer Nationalspieler gewesen zu sein, für einen Verein aus Lancashire gespielt zu haben, der mit „B“ begänne, und dass sich das Ganze vor einem Pokal-Halbfinale in „einer für ihre Schneidwaren bekannten Stadt“ während des Trainings zugetragen habe. Der Torhüter behauptete, zehn Tage vor der Partie einen Brief erhalten zu haben, „der um meine Bedingungen nachsuchte, das Spiel hinzuwerfen“. Er habe die Sache dem Vereinssekretär gemeldet und danach so gut wie keinen Gedanken mehr daran verschwendet.
Einige Tage darauf sei er durch die Stadt gegangen und dort zufällig einem „sportbegeisterten Wirt“ begegnet. Zwar war unser Torhüter ein enthaltsamer Zeitgenosse, doch „er brachte mich dazu, in ein Wirtshaus am Wegesrande zu gehen und auf ein erfolgreiches Spiel zu trinken, und nachdem ich eine Limonade getrunken hatte, war meine Erinnerung vollkommen fort.“ Als er wieder zu sich gekommen sei, habe er sich in einer kleinen Kammer befunden, „zusammen mit zwei kräftig aussehenden Männern“. Durch das Fenster habe er nichts als raues Moorland sehen können. Nachdem sie ihn verlassen und die Tür abgeschlossen hätten, habe er sein „stabiles Taschenmesser“ herausgeholt und den Mörtel am Fenster abgemeißelt, bis er es abnehmen und die Flucht ergreifen konnte.
Irgendwann habe er in der Dunkelheit den Lärm eines Zuges gehört und sich auf das Geräusch zubewegt. So sei er an eine kleine Bahnstation gelangt. Dort angekommen, habe er den Stationsvorsteher geweckt und ein Sofa zum Schlafen bekommen. Am nächsten Morgen habe er ein Telegramm an den Klubsekretär geschickt, der daraufhin gekommen sei, um ihn abzuholen. Da nun sei einer der Entführer aufgetaucht. Der Stationsvorsteher habe diesen überwältigt und der Entführer in seiner Panik das Komplott gestanden. Demnach sei der Mittelstürmer von B bereits bestochen gewesen; zudem war der zweite Torhüter verletzt. Der Wirt nun habe eine größere Summe des Geldes auf B gesetzt – und zwar auf eine Niederlage. Damit dieses Ergebnis auch wirklich eintrat, hätte er nur noch den ersten Torhüter aus dem Weg räumen müssen. Der Wirt habe später, konfrontiert mit den Beweisen, alles zugegeben und sich aus B abgesetzt, nach Zahlung von 20 Pfund für eine wohltätige Organisation und zehn Pfund an den Klub für dessen Auslagen. Der Torhüter habe den Verein dringend gebeten, Erbarmen mit dem Mittelstürmer zu haben. Der habe danach natürlich glänzend gespielt und der Verein sowohl Halbfinale wie auch Finale gewonnen.
Diese Geschichte klingt zugegebenermaßen nicht sonderlich überzeugend. Eigentlich liest sie sich eher wie eine der weniger plausiblen Geschichten von Enid Blyton als ein Tatsachenbericht. Der Versuch, anonym zu bleiben, ist außerdem lächerlich durchschaubar. Bis 1898 hatten nur zwei Klubs mit dem Anfangsbuchstaben B den FA-Pokal gewonnen: 1883 Blackburn Olympic und 1884, 1885, 1886, 1890 und 1891 die Blackburn Rovers. Für England hatte aber nur ein Torwart der beiden Mannschaften gespielt: Herby Arthur. Nähme man diese Geschichte für bare Münze, bliebe noch die Frage, welches von den drei Endspielen, in denen er antrat, gemeint ist. Am wahrscheinlichsten ist das Finale 1885. Damals schlug Blackburn im Halbfinale in Nottingham die Old Carthusians mit 5:1. Möglich wäre auch das Endspiel 1886, als man in Derby 2:1 gegen die Slough Swifts gewann. Es scheint plausibel, dass das Training für Spiele in den East Midlands in Sheffield stattfand – vorausgesetzt, Sheffield war die besagte „Stadt der Schneidwaren“. Vor einem Match in Birmingham, Spielort des Halbfinales 1884, hätte das hingegen kaum Sinn ergeben.
Unabhängig davon, ob die Anekdote stimmt oder nicht, zeigt sie einen weiteren Grund, warum Torhütern mit Misstrauen begegnet wurde: Sie galten als bestechlich. Wollte man ein Spiel manipulieren und dabei nur einen einzigen Spieler bestechen, konnte das natürlich nur der Torhüter sein. Wer sonst hat schließlich einen so großen und unmittelbaren Einfluss darauf, ob Tore