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Peter Lebegerns große Reise. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.

Peter Lebegerns große Reise - Max Geißler


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Peter Lebegern. „Es ist noch weithin bis zum Abend. Ich werde mir ein Bett beschaffen, einen Stuhl, einen Tisch, eine Lampe … was Sie wollen, Herr! Und bei dieser Lampe …“

      „Hah, bei dieser Lampe werden Sie mir einen schönen Reisebericht schreiben! Lappen, Renntiere, Schlitten, Fjeld, Mitternachtsonne …“ Er nannte auch gleich ein leidliches Honorar, das gezahlt werden sollte. Nun, als Schulmeister von Bogenbach am Rotwasser hatte er um dies Geld zwei Monate arbeiten müssen im Dienst eines kulturfördernden Idealismus — hier sollte er das in einem Abend verdienen. — Peter Lebegern verpflichtete sich. Es war ihm ungeheuer wohlig zumute.

      Der Gedanke, dass die grosse Reise für ihn leicht erst jetzt beginne, beschäftigte Peter Lebegern gemessene Zeit. — Dabei ist nicht zu vergessen, dass Peter Lebegern in einer Dachkammer sass, in der sehr viele unansehnlich gewordene Pakete um ihn herumlagen. Er gedachte aus dieser Umwelt ein gemütliches Heim zu machen, in dem er sein gerüttelt Mass von Glück leben wollte. Denn dazu stand er im Dasein. Und nun sass er hin auf den geräumigsten der Packen, in dem er das Festkleid eines Lappenfräuleins vermutete, und dachte an dem Gedanken herum, ob die grosse Reise für ihn jetzt erst beginne …

      Das kam daher: auf der Fahrt ins nordische Land waren zehntausend Türen vor ihm aufgegangen. Allenthalben sah er seitdem Welt, Welt, Welt, die von ihm entdeckt werden musste. In Bogenbach hatte er gar keine Ahnung gehabt von all diesen Türen und der vielen Welt, die dahinter lag. Auch gehörte zur Entdeckung jener Welten weder ein Schiff noch ein Schnellzug. Es gehörte dazu weder eine gefüllte Börse noch ein Berufsrock, den man erst an den Nagel hängen musste. Was er dazu nötig hatte, das war in heiterem Überfluss vorhanden.

      Peter Lebegern schlug sich vergnügt auf beide Schenkel. Er kam sich ungeheuer reich vor. Wie ein Schlosswart, der in eines toten Königs Bergsitz waltet und zu all den Sälen, Zimmern, Speichern den Schlüssel hat: ein Druck, und die Türen öffnen sich — es ist alles dein, Peter Lebegern, diese ganze flimmernde, köstliche, königliche Welt, an der die andern vorüberhasten und nach dem Wunder suchen, das sie glücklich macht! Dein, Peter Lebegern, alles dein!

      Es muss endlich einmal gesagt werden: an einem Teile dankte Peter Lebegern seine glückliche Art dem äusserlichen Umstande seines Namens.

      Wenn ein Mensch mit einem solchen Namen geboren wird, so darf er dafür schon eine Million von dem übrigen Erbe abstreichen; denn der Name Peter Lebegern ist für einen Menschen mit leidlichen Fähigkeiten solch eine Summe Geldes wert. Ein Peter Lebegern muss Philosoph werden schon in seinen ersten Schuljahren. Reizt solch ein Name nicht, das Leben von der richtigen Seite anzufassen? Und wenn die sich nicht finden lässt, so ist in jedem Augenblick die Mahnung da, aus dem Vorhandenen das Beste zu machen. Oder sich selbst herzhaft einen Narren zu nennen, wenn das Missvergnügen am Leben einmal obenaufschwimmt. — Wilhelm Lebegern war ein Schuster gewesen. Er gestand, dass er die Kunst, die ihm sein Name auferlegte, nicht immer gemeistert habe. Aber ein nachdenklicher Mann war auch er geworden an seinem Namen. Peter Lebegern wurde darüber hinaus ein glückseliger: ‚der Weise aus dem Abendlande‘ hat ihn Pius Heidvogel einmal genannt. Es war viel später.

      Hätte Peter Lebegern seine Jugendjahre und die ersten seiner Selbständigkeit in behaglichem Wohlstande verbracht, so wäre die Zeit, die nun für ihn kam, der kürzeste Weg zur Weltfeindschaft gewesen. Zur Gefrorenheit bis auf den Grund. Er jedoch hatte von einem Dorflehrergehalt sechs Jahre lang für seine Nordlandreise gespart. Dabei waren ihm zwar die Brillengläser gewachsen, aber seiner inneren Freudigkeit hatte das keinen Eintrag getan. Jetzt lebte, er in einer Stadt Mitteldeutschlands — nicht zu gross und nicht zu klein und von jener Art und Lage, in der jedweder Eigenständigkeit ein gar kümmerlich Gedeihen beschieden ist.

      Nun — eigentlich lebte Herr Peter nicht in dieser Stadt. Sondern — genau genommen — er lebte in sich selber. Er wohnte nur in einer der Dachstuben, sanft umplätschert vom Meere der Giebel und seiner guten schöpferischen Gedanken. Des Tages ein paar Stunden spazierte er in dem Gewühl der Strassen. Er suchte die Viertel der Reichen und Armen. Er atmete freier im bunten Spätsommerfeste der Anlagen und Wälle. Er studierte dort die trutzig getürmten Bauwerke, die aus anderen Zeiten sich herübergeträumt hatten und nun unverstanden in tiefem Schlafe lagen. Er lebte, was ihm in Bogenbach am Rotwasser nicht zu leben vergönnt gewesen war, und entdeckte die Wirklichkeit hinter etlichen der zehntausend Türen.

      Zwischendurch fiel ihm in den ersten Tagen dieses Daseins ein, was hinfüro wohl aus ihm werden solle; denn Peter war nicht einer, dem die Weisheit Salomonis von den Vögeln unter dem Himmel eine heitere Verheissung bedeutete. Er war kein Zigeuner. Und der gesunde Einschlag des Romantikers, der sieghaft durch das Leben leitet, war ihm zu jener Zeit zwar kräftig eigen, aber er war ihm nicht bewusst.

      Auch hielt er etwas auf seinen äusseren Menschen. Und dies war ein Erbteil seines Geschlechts. Die Lebegerns waren Schuster gewesen ihr Tag, und es war ihnen die Lehre geläufig, dass einer mit guten Stiefeln der Verschnupfung allerwege weniger ausgesetzt sei. Ein Lebegern, dem die Romantik für seine Art stärker im Blute lag, hatte übertreibend gesagt: ‚ein Bettler mit schönen Schuhen ist ein König; ein König mit zerrissenen Stiefeln aber ist ein Lump.‘ — Peter Lebegern gab diesem romantischen Ahnen heimlich lächelnd recht.

      Eines Tages stürmte Pius Heidvogel die gleiche Strasse entlang, auf deren Bürgersteig sich Peter Lebegern in gütiger Oktobersonne Wohlsein liess. ‚Pius Heidvogel,‘ dachte der einstige Schulmeister von Bogenbach, ‚Pius Heidvogel trägt seinen Namen gewissermassen doch auch in der Tat!‘ Das ‚gewissermassen‘ dachte er mit besinnlichem Nachdruck; denn Pius Heidvogel fuhr dahin als hätte er heulenden Westwind unter den Flügeln. Dabei sträubten sich ihm die Haarbüschel auf dem Kopfe wie Federn — was man beobachten konnte, weil er den Schlapphut mit dem angewölkten Band in der Hand schwenkte und unablässig Reden damit hielt. Dieser Heidvogel hatte eine zerdachte Stirn. Er hatte Fenster im Kopfe, aus denen wilder Geist und zermürbte Nervenkraft schauten … könnte man sagen. Aber ‚schauen‘ ist ruhevoll. Und aus den Augen Heidvogels irrlichterte es hervor. Oder es wetterleuchtete.

      Pius Heidvogel — oha, solch ein Mensch hiess Pius! — Pius Heidvogel stiess auf den Sonnenpilger Lebegern hernieder wie ein Falke.

      „Lebegern, wissen Sie, dass Ihre Aufsätze gefallen haben? Sie, Mensch, es gibt eine einzige Wahrheit in der Welt, die unverbrüchlich ist: ‚Die Not ist die Mutter der Künste!‘ Jawohl, Peter Lebegern.“

      Peter fing an, darüber nachzudenken. Aber es fiel ihm nicht ein, dass dies Wort mit Bezug auf ihn gesprochen sei. Die Sonnenseite der Strasse lang redete Heidvogel heftig auf ihn ein; dann merkte Lebegern, dass er ihn für einen hungernden Bummler halte, der an seiner jammervollen Lage tiefsinnig zu werden beginne ….

      Nun ja, sein Vermögen zählte nach Groschen. Aber seine Genügsamkeit nach Millionen. Also war er zum mindesten nicht arm. In seiner Giebelstille hauste er und liess sich von Glück und Sonne liebkosen. Dabei spreitete seine Seele so wohlig die falterbunten klaren Schwingen. Kein Staub des Alltags lag darauf.

      Da kam Pius Heidvogel, der seine Tage zerhackte wie ein Hartholzspäller! Dieser Pius Heidvogel schwätzte sein Missvergnügen über ihn dahin. Nicht das Missvergnügen an seinem zermürbten Dasein — nein, nein, Peter Lebegern, verstehe: das Missvergnügen an dir und deiner sonnenlichten Art!

      „Sie Fremdling!“ krächzte Heidvogel, „Sie reiner Tor! Sie Müssiggänger! Wenn wir Menschen wären wie Sie — erkennen Sie denn nicht, dass dann die Achsen der Welt einrosteten? Was treiben Sie? Sie träumen! Sie lassen uns schuften und spielen König. Sie lassen uns die Welt vorwärtswuchten und sehen listig lächelnd zu. Wir aber — wenn wir fertig sind mit der Arbeit des Tages, dann schnurren die Räder der Maschine weiter, die wir geworden sind, und schnurren uns um den Schlaf …“

      Heidvogel aus den ‚Neuesten Nachrichten‘ redete Zeitungsspalten. Immerzu. Und Peter Lebegern war ein Jungmann — im sechsundzwanzigsten Jahre. Er war voll allen Glaubens. Aber es fehlte ihm das wuchtige Selbstgefühl der jungen Leute, das seinen Sitz im wachsenden Schnurrbart zu haben scheint; denn in den Leistungen wurzelt es nicht — Leistungen fehlen um jene Zeit in der Regel.

      Einem Manne wie Heidvogel, einem ‚Vorwärtswuchter der Welt‘, hatte


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