Ins Arktische Amerika. Franklin JohnЧитать онлайн книгу.
muss – aber ich werde nicht deshalb scheitern, weil es mir an Aufrichtigkeit und Entschlossenheit mangelt oder ich es an jener strengen Überparteilichkeit fehlen lasse, die mich dazu zwingt, alle Stände und Vertreter und Untertanen Seiner Majestät in dieser Kolonie unbefangen und frei von Vorurteil zu behandeln. Denn sie sind meiner Obhut anvertraut.«
Schöne Worte! Und weitsichtige …
Sie fielen zum Auftakt einer Gaunerei, die im Buch der Niedertracht einen der erschreckendsten Abschnitte füllt: ein Kapitel, bei dem sich schwerlich sagen lässt, ob es nicht genauso böse der Phantasie Shakespeares entsprungen sein könnte. Motto: »Fair is foul, and foul is fair.«
Der Auslöser war läppisch: Ein Mann hatte ein Verbrechen begangen und war von Richter Matthew Forster – der mit dem ehemaligen Gouverneur Arthur verschwägert war – zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Da aber der Täter von Beruf Koch war und da die Nummer zwei von Van-Diemens-Land, John Montagu – auch er mit dem ehemaligen Gouverneur Arthur verschwägert –, soeben einen Koch suchte, sprach er bei Forster vor. Mit dem Ergebnis, dass der Übeltäter nicht in Ketten, sondern in der Küche landete.
Der Vorgang war exemplarisch für das mafiose System, das Arthur seinem Nachfolger hinterlassen hatte. Und so zögerte Franklin keine Sekunde, die Mauschelei rückgängig zu machen.
Was er dabei unterschätzte, waren die Folgen: Er hatte nicht nur die beiden Düpierten, Montagu und Forster, gegen sich aufgebracht, sondern auch deren Paten Arthur, der in London alle Fäden in der Hand hielt, sowie die von Montagu stets mit vertraulichen Mitteilungen gefütterte Presse.
Mochte Franklin also staatlich finanzierte Schulen errichten und ein College in Aussicht stellen, mochte Lady Franklin sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der weiblichen Gefangenen verwenden, mochte das Ehepaar eine naturkundliche Gesellschaft gründen und ein Museum für die Naturgeschichte von Van-Diemens-Land bauen, mochte Franklin die Sitzungen des Lokal-Parlaments fortan öffentlich und nicht mehr im Geheimen tagen lassen und Highlights wie eine jährliche Regatta veranstalten und dafür sorgen, dass die Insel nach dem Wunsch der Siedler nicht länger Van-Diemens-Land, sondern »Tasmanien« hieß … mochte er vieles tun, um den Lebensstandard auf dem Eiland zu heben: Die Ränkespiele Montagus machten alles zunichte.
Die Zeitungen begannen sich über Franklins »visionäres Gequatsche« lustig zu machen – wozu brauchten Schafzüchter Kultur? Der Grundstein des Colleges landete im Meer. Und um Lady Franklin kursierte das Gerücht, sie sei die eigentliche Herrin in Government House. Die Amtsführung ihres Gatten nannte der CORN-WALL CHRONICLE am 18. Januar 1842 unverfroren »die verrückte Führerschaft eines Nordpol-Spinners«.
Als Franklin schließlich Montagu zur Rede stellte und an seine Zusage gemahnte, gegenüber der Presse Zurückhaltung zu wahren, leugnete Montagu, dass ein diesbezügliches Gespräch jemals stattgefunden hätte: »Während Eure Exzellenz und die Mitglieder Eurer Regierung bei zahllosen Anlässen nachprüfen konnten, warum mein Gedächtnis im Ruf steht, bemerkenswert gut zu funktionieren, sind Eure Beamten nicht ohne Ursache geblieben zu bemerken, dass Eure Exzellenz sich auf das Eure nicht immer mit derselben Sicherheit verlassen können.«
Diese Unverschämtheit brachte das Fass zum Überlaufen, und Franklin schmiss Montagu raus. Der freilich hatte dem Gouverneur solche Entschlossenheit nicht zugetraut und sah nun – zumal er überall verschuldet war und um seine Existenz bangte –, dass er zu hoch gepokert hatte. Deshalb wandte er sich um Hilfe flehend an Lady Franklin, die nach Rücksprache mit ihrem Mann erwiderte, dass die Demission, so leid es ihr tue, nicht zu revidieren sei. Sobald Lady Franklin durch diese Antwort in die Affäre mit hineingezerrt war, ließ Montagu verbreiten, endlich könne er den Nachweis dafür erbringen, dass die administrative Autorität in Van-Diemens-Land faktisch nicht John Franklin, sondern dessen Frau sei. Der CORNWALL CHRONICLE sprach seither nicht mehr von »Seiner Exzellenz«, sondern nur noch von »Ihrer Exzellenz«.
Dies alles erreichte am Ende auch den Kolonialminister in London, Lord Stanley, und veranlasste ihn, Franklin unter dem Datum des 13. September 1842 mitzuteilen, dass er Montagu, dem durch eine fadenscheinige Entlassung Unrecht geschehen sei, zur Wiedergutmachung den weitaus attraktiveren Posten eines Vize-Gouverneurs am Kap der Guten Hoffnung übertragen habe.
Das Government House in Hobart, Ölgemälde von 1837
Da stellte Franklin seinem Vorgesetzten anheim, ihn zu entlassen. Was dieser mit Wirkung vom 10. Februar 1843 auch tat. Und noch einmal wurden jetzt in Hobart Plakate geklebt. Aber diesmal stand auf ihnen: »Glorreiche Neuigkeiten! Sir John Franklin abberufen!«
Die Rückfahrt auf der »Flying Fish« dauerte von Januar bis Juni 1844 und gab Franklin hinreichend Zeit zu erkennen, dass sein Debakel als Gouverneur auch ein positives Element enthielt. Es bestand in der Bestätigung, dass seine von Freiheitsdenken und Aufklärungswillen geprägte Arbeit nicht im bürokratischen Raum genutzt werden konnte, weil seine Liberalität fundamental war: Sie setzte seine Ungebundenheit voraus – brauchte Reisen, Forschen und Entdecken.
Nicht umsonst waren die unbeschwertesten Tage, die er in der Kolonie verbracht hatte, jene, als zwischen August 1840 und Juni 1841 eine Expedition zur Messung des Magnetismus der Südhalbkugel der Erde Hobart besuchte. Das Ganze stand unter der Leitung der Kapitäne James Clark Ross und Francis Rawdon Moira Crozier; ihre Schiffe trugen die Namen »Erebus« und »Terror«. Franklin war buchstäblich aufgekratzt, ja: wie ausgewechselt. Seine Frau berichtete am 7. September 1840 in einem Brief an ihren Vater über die Begegnung der drei alten Seebären: »Mit einem Mal erscheint Sir John den Leuten hier in einem völlig anderen Licht – so heiter und gelöst und beschwingt ist er in der Gegenwart seiner neuen Freunde.«
Ob sie wohl schon bei dieser Gelegenheit Pläne für die Zukunft schmiedeten? Immerhin wussten sie, dass die Royal Geographical Society 1836 die Regierung in London in einer Petition gebeten hatte, das Thema »Nordwestpassage« wieder auf die Agenda zu setzen. Franklin, der seinerzeit ebenfalls konsultiert worden war, hatte damals erklärt: »Sie wissen mit Sicherheit, dass mir keine Aufgabe mehr am Herzen liegt als die Vollendung der Aufnahme der Nordküste Amerikas und damit der Nordwestpassage.«
Nun, da Franklin im Sommer 1844 nach London zurückgekehrt war, flochten sich diverse Fakten zu einem Handlungsstrang zusammen: Lord Stanleys Interesse, den Gouverneur a.D. tunlichst kaltzustellen … die Entscheidung der Admiralität, noch einmal einen Verband zur Erschließung der Nordwestpassage zu entsenden … Franklins Wunsch, die Pioniertat durchzuführen… James Clark Ross’ Vorschlag, den Freund mit der Expedition zu betrauen … und Lady Franklins Bereitschaft, für eine Weile auf ihren Mann zu verzichten. Und war es nicht ein gutes Omen, dass die beiden Dreimaster, die für das Unternehmen ausgerüstet wurden, die »Erebus« und »Terror« waren: jene Schiffe, die Franklin in seine Malaise von Van-Diemens-Land einen Lichtstrahl gesendet hatten?
Trotz allen Schmerzes der Besatzungen über den Abschied von ihren Familien war der 19. Mai 1845, als die »Erebus« unter Franklin und die »Terror« unter Crozier von einem vielstimmigen »Hurrah« und »Farewell« begleitet aus der Mündung der Themse hinaus ins offene Meer glitten, ein Freudentag für den Leiter des Unternehmens. In einem Brief aus Grönland rief er seiner Frau zu: »Wie sehr wünschte ich mir, jedem einzelnen meiner Verwandten schreiben zu können, um ihm zu versichern, wie glücklich ich mich mit meinen Offizieren, meiner Mannschaft und meinem Schiff schätze!« Und Commander James Fitzjames von der »Erebus« meldete nach Hause: »Wir sind voller Freude und sehr stolz auf Sir John Franklin.«
Frohen Mutes setzten sie die Reise fort: von der Disko-Insel nach Westen quer über die Baffin Bay, wo sie vor dem Eingang in den Lancaster-Sund auf zwei Fischtrawler trafen, die »Prince of Wales« und die »Enterprise«. Nachdem sie der »Prince of Wales« eine Visite abgestattet hatten, vermerkte deren Kapitän Dannett im Logbuch: »Beide Mannschaften sind gesund und die Stimmung ist bemerkenswert gut.« Kapitän Robert Martin von der »Enterprise« wollte noch zu einem Gegenbesuch auf die »Erebus« herüberkommen. Aber dann schlug das Wetter