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Ulrike Woytich. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.

Ulrike Woytich - Jakob Wassermann


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ihm das ohnehin schwere Leben noch schwerer zu machen. Dazu hatte er auf einmal Schwierigkeiten im Dienst, wurde durch allerlei Mahnungen und Reprimanden erbittert, was vordem nie geschehen war, und er musste seine Pensionierung befürchten, ein Gedanke, der ihn mit Verzweiflung erfüllte. Der Argwohn, dass Onkel Klemens dahinter steckte, war nicht abzuweisen, er hatte in gewissen Hof- und Militärzirkeln von früher her mächtigen Einfluss, und während mein Vater in seiner Gutmütigkeit noch schwankte, einem so hässlichen Verdacht Raum zu geben, erklärte ihm der Bruder in einem seiner Briefe ganz zynisch, dass er in der Tat der Urheber des Kesseltreibens sei. Gleich darauf kam er selbst, und zwar hatte er seinen Besuch auf einen Tag verlegt, wo er die Mutter abwesend wusste; sie fuhr sehr oft nach Krakau oder Pest.

      Dieses Tages entsinne ich mich noch genau. Ich sehe Onkel Klemens noch vor mir, als wärs gestern gewesen, wie er zur Tür hereintrat in seiner hageren Länge, den Geierkopf vornübergebeugt, in der einen Hand den Stock mit der Elfenbeinkrücke und mit der andern sich beständig das Kinn reibend, wobei er seltsam lautlos lachte. Ich seh ihn in dem endlos langen, schäbigen Gehrock, den er heut noch trägt, und der hochgeschlossenen Samtweste. Der Vater war sehr bleich, als er ihn begrüsste; ich glaube, sie hatten einander seit einem Vierteljahrhundert nicht gesehen, denn mein Vater pflegte keine Reisen zu machen, und wie er vor ihm stand: es war ein Jammer; ich hätte ihm zurufen mögen: Mann, wo ist dein Rückgrat? Sie verschwanden dann in Vaters Zimmer, und es kam, wie es kommen musste. Der brieflichen Drangsal hatte der Vater widerstehen können, Aug in Aug mit dem Bruder war er wehrlos. Er lieferte ihm die Geige aus. Er hatte einen Revers gefordert und auch erhalten, aber das Papier ist auf rätselhafte Art in Verlust geraten. Onkel Klemens gab ihm auch dreitausendfünfhundert Gulden, als Abschlagszahlung hiess es; der Wert des Instruments belief sich, wie uns später Ribeny naiv versicherte und wie wir dann auch von anderer Seite erfuhren, mindestens auf das Zehnfache. In derselben Nacht noch verlor der Vater, der sonst nie eine Karte berührte, die ganzen dreitausendfünfhundert Gulden am Spieltisch, hauptsächlich an jenen Ribeny, was sonderbar genug ist. Danach ging es rasch bergab mit ihm; nach sechs Monaten starb er.

      Die Mutter zog mit uns Töchtern nach Czernowitz, wo die Brüder lebten; sie kümmerte sich auch jetzt nicht viel um das Hauswesen, das nun in unverstellte Ärmlichkeit versank. Ich aber wollte in die Welt hinaus, ich hatte Vorsätze, den Wunsch vor allem, dass die Geschwister nicht ins Elend gerieten, und ausserdem liess mir die Geschichte mit der Guarneri-Geige keine Ruhe. Die Mutter und ich hatten oft darüber gesprochen, sie: erbittert und rachsüchtig, aber ohne Mittel und ohne Aussicht auf Entschädigung oder Wiedererstattung; wussten wir doch nicht einmal, was mit der Geige geschehen war und was der Vater mit Onkel Klemens vereinbart hatte, so dass ein Prozess zu nichts führen konnte; ich: entschlossen, nicht bloss den Hofrat aufzusuchen und ihn zu mahnen, dass sein Bruder vier unversorgte Kinder zurückgelassen hatte, sondern auch nachzuforschen, wo sich die Geige befand und unsere Rechte darauf geltend zu machen, sollte es mich gleich Jahre meines Lebens kosten. So ging ich also nach Wien.

      Onkel Klemens war höchlichst verwundert, als ich ihm eines Novemberabends von seiner Smirczinska gemeldet wurde. Er fragte barsch, wozu ich gekommen sei, was ich bei ihm wolle. Ich antwortete, die Sehnsucht nach ihm hätte mich hergetrieben. Er merkte den Spott nicht und sagte, in seinem Hause sei kein Platz für landflüchtige Nichten, ich möge zusehen, wo ich einen Unterschlupf finden und mein Brot verdienen könne. Ich begriff, dass ich mich nicht einschüchtern lassen durfte; wenn ich als die zerknirschte Bittstellerin aus der Provinz zu ihm kam, die ihm für seine Fusstritte zitternd die Hand küsste, was er jedenfalls erwartete, war meine Sache keinen Schuss Pulver wert. Ich nahm mir also kein Blatt vor den Mund und schilderte ihm, in welchen Sorgen die Mutter steckte; dass Anastasia, Schmach für die Tochter eines Obersten und die Nichte eines k. k. Hofrats, sich als Küchenmagd oder Frisiermamsell verdingen müsse, wenn er sich ihrer nicht annehme; dass er in den Augen von aller Welt die Pflicht habe, meinen Brüdern fortzuhelfen, von denen der ältere weder Lust noch Neigung zum Soldatenberuf hätte, und die in ihrer Anstalt als mittellose Stipendiaten gerade noch geduldet seien; dass ich selber auf eine gnädige Unterstützung dankend verzichte und mich auf meine Manier durchschlagen würde, dass ich ihn aber aufgesucht hätte, um ihm den Standpunkt klarzumachen und ihn daran zu erinnern, dass es ausser ihm noch einige Woytichs gäbe, die vielleicht nicht ganz ohne sein Verschulden ins Unglück geraten seien, und ich nicht eher von seiner Schwelle weichen würde, bis ich die Gewähr und Sicherheit von ihm erhalten, er werde sich um die Bruderskinder gebührlich kümmern.

      Das war ihm kurios zu hören. Er schaute mich an, als wolle er mich verschlingen oder zertreten. Er ging herum, die lange Pfeife im Mundwinkel, wie ein Gorilla im Käfig. Er werde kurzen Prozess mit mir machen, sagte er, und mich der Polizei übergeben. Ich lachte ihm ins Gesicht und antwortete ihm, er scheine zu vergessen, dass wir nicht mehr anno achtzehnhundertfünfzig lebten. Er ergrimmte und schrie: Kröte, scher dich fort, und die Smirczinska rang die Hände und schlug ein widriges Geheul auf. Ich lachte. Nachdem dies eine Weile gedauert hatte, änderte er den Ton. Er wolle sichs überlegen, wolle es beschlafen, sagte er. Die Smirczinska führte mich mit meinen Siebensachen in die Dachkammer. Am anderen Morgen schickte er mir einen altmodisch gefalteten Brief mit einer Zehnguldennote und der im umständlichsten Kanzleistil gehaltenen Aufforderung, mich ohne Zögern wieder nach Hause zu begeben. Ich strich den Zehnguldenschein glatt aufs Butterbrot und reichte es der vor Entsetzen sprachlosen Smirczinska. Onkel Klemens raste unten, ich lachte oben.

      So fingen wir an. Er bekam Respekt. Widerwillig und Schritt für Schritt liess er sich zu Verhandlungen herbei. Das zog sich wochen- und monatelang hin. Er suchte mich einzufädeln, abzulenken, zu beschwichtigen, zu vertrösten. Ich gab nicht nach. Endlich erklärte er sich bereit, meinen Bruder Franz aufs Gymnasium zu schicken und ihm die Wege zum konsularischen Dienst zu öffnen; der Erfüllung von Franzens Wunsch, Musik zu studieren, wozu er grosse Begabung hatte, setzte er ein unüberwindliches Nein entgegen; er wolle keine Zigeuner in der Familie, sagte er; Severin, der jüngere, sollte bei den Kadetten bleiben; er wurde anständig ausstaffiert und erhielt ein monatliches Taschengeld; die Mutter bekam einen Zuschuss, so dass sie, rechnete man die Pension dazu, mit Anastasia standesgemäss leben konnte. Dies alles erreichte ich unter unablässiger Bemühung, täglichen stundenlangen Streitereien, unter Schimpfen, Geifern, Feilschen und Verwünschungen von seiner Seite und kaltblütiger Geduld von meiner, mit Listen, Bitten, Drohungen und Herumzanken überdies mit der Smirczinska, die an den Türen horchte, Ränke spann und vor Angst verging, ich könnte sie in der Gunst ihres Hofrats ausstechen.

      Schwerlich hätte er sich so weit gefügig gezeigt, wenn er nicht aus meinem Benehmen den Verdacht geschöpft hätte, dass ich noch was anderes im Auge hielt, als was ich offen von ihm forderte. Es zeigte sich jetzt, wie klug ich daran getan, mit keiner Silbe von der Geige zu sprechen, obwohl sich die Versuchung oft genug geboten hatte. Er nun schien darauf zu warten. Er schien es zu fürchten. Er belauerte mich. Er witterte Unheil. Glaubte er mich arglos, so spürte ich, wie er frohlockte; meinte er mich nicht länger täuschen oder im ungewissen halten zu können, so wurde er wild und drohte wieder, mich auf die Strasse zu werfen. Aber ich verdiente mir nun durch Unterricht im Zeichnen und in Sprachen einiges Geld, so dass ich vor dem Schlimmsten nicht zu bangen brauchte; das wusste er und es imponierte ihm. Ausserdem las und lernte ich in meiner Dachkammer wie ein Student vor dem Examen; das vermehrte seine instinktive Furcht vor mir, denn im Grunde seiner Seele war ihm alles, was nach Buch und Bildung roch, ein ausgemachter Greuel.

      Eines Tages nun war ich nicht wenig überrascht, als er selber auf einmal von der Geige zu reden anfing. Und zwar erst nach endlosen Umschweifen und anzüglichen Wendungen, die mir verbargen, worauf er hinauswollte. Er könne sich schon denken, was ich bei ihm suche, sagte er dann, aber damit sei es nichts, das möge ich mir aus dem Kopf schlagen, die Geige gebe er nicht her, die sei wohlverwahrt in seinem Hause, die lasse er nicht aus der Hand. Dabei streichelte er die Katze, die auf seinem Schoss sass, lachte in der gewohnten lautlosen Art und nickte mir schadenfroh zu. Er habe auch im Sinn, noch recht lang in ihrem Besitz zu bleiben, fuhr er fort, gering gerechnet noch fünfundzwanzig Jahre, denn auf fünfundneunzig werde ers bringen, das sei ihm geweissagt worden, des versicherten ihn auch Leibesbeschaffenheit und Blutkonsistenz, und daher könne es ihm niemand verargen, wenn er sich eines solchen Juwels nicht leichtsinnig entäussere, sondern es für die späten Tage in Reserve halte. Er habe das Ding von Fachleuten taxieren lassen, selbstverständlich unter Vorweis des Dokuments,


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