Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes LindemannЧитать онлайн книгу.
öden Straßen. Kein Laut ringsum.
Fischernetze waren über dem stumpfen Sande des Ufers zum Trocknen ausgespannt. Aufs Land gezogen, warteten unter Palmendächern Fischerboote auf die abendliche Ausfahrt. Ihre Namen »Talion«∗, »Bon Garçon«, »Madonna« wirkten wie stumme Hilferufe vor den Hängen des Vulkans.
Fischer in zerlumpten Hosen und breitrandigen Strohhüten reparierten den Motor eines Bootes. Eine Mulattin wusch im gebänderten Schatten der Netze ihre Wäsche. Und ein paar nackte Kinder spielten im Lavasand.
Das geschah alles leise, weil man auf Gräbern nicht singt und schreit noch lacht. Wir grüßten. Der Gegengruß kam wie aus einer anderen Welt.
Am Abend kehrten wir nach Fort de France zurück. Schrill grüßte uns die Unbekümmertheit dieser Welt. Am Denkmal d’Esnambucs vorbei gingen wir zum Landesteg. Wir ruderten zu unserem Ankerplatz. Die Stadt zeigte ein stolzes Lichtermeer und lärmte unter den Lavakegeln der Pitons de Carbet. Auf der Reede ankerten sechzehn Schiffe.
Sodom, Gomorrha, Atlantis, Pompeji, St. Pierre – wo beginnt jene andere Welt, wo endet diese Welt? In Fort de France? Wie Seiltänzer leben wir inmitten unserer perfekten Zivilisation.
Ich baute das undicht gewordene Auspuffrohr unseres Motors aus. Es mußte an Land geschweißt werden. Als wir nach einigen Tagen zum Auslaufen klar waren, kamen die Hafenbeamten zum Einklarieren.
»C’est la France«, sagte ich wissend.
Aber sie schüttelten weise die Köpfe und sagten:
»Non, monsieur, zuviel Arbeit – c’est la vie!«
Wir segelten »Kairos« nach Norden von Insel zu Insel. Dominica sandte uns Schwefeldämpfe herüber. Die Isles des Saintes boten uns den Schutz ihres Inselringes. Dieser Naturhafen war einst Stützpunkt der französischen Westindienflotte; hier glättete der Gallische Hahn seine zerrupften Federn. Gouadeloupe bedachte uns mit heftigen Fallböen, bevor es uns die Schönheit seiner Buchten schenkte.
Schönheit überall mit den Spuren der Vergangenheit und den Zeichen der Gegenwart: immer wieder mußten wir uns zum Abschied zwingen. Auf dem Kartentisch lag unter der jeweils zu wechselnden Inselkarte die Seekarte des Großen Ozeans. Wir sahen sie immer wieder.
Unsere letzte Fahrt zwischen den Inseln führte nach Antigua. Wir liefen um Mitternacht von der Bucht Deshayes auf Gouadeloupe aus, um English Harbour hier auf Antigua am nächsten Nachmittag zu erreichen. Der Passat wehte aus Ost mit Stärke 5. Es gab viele Schauerböen. Zwischen den Inseln stand, wie gewöhnlich, unruhige See. Wir teilten den Rest der Nacht in zweistündige Ruderwachen ein.
In der Kajüte war es stickig. Die Luken konnten nicht geöffnet werden. Schwitzend lag ich im Halbschlaf und träumte, daß das Schiff sich neigt und neigt – neigt und nie wieder sich aufrichtet. Poltern, Krachen!
Ich erwache in einem Wasserstrahl, der breit durch die Ritze der Luke strömt. Ich arbeite mich zu Tode erschrocken aus der aufgestellten Koje und werde gegen den Niedergang geschleudert, als sich »Kairos« endlich wieder aufrichtet. Ich stolpere an Deck.
Das Cockpit ist wassergefüllt. Seine Abflußrohre geben schmatzende Geräusche. Elga sitzt an der Pinne mit einem mondscheinspiegelnden, marmorierten, riesenhaften Wellenrücken hinter sich. »Ich hab’ sie nicht gesehen, diese See!« sagt sie. »Sie war plötzlich da – wie aus dem Nichts. Sie hat das ganze Schiff überflutet. Da!« Das gereffte Großsegel ist bis zur halben Höhe durchnäßt, das Petroleumlicht der Hecklaterne 2 Meter über Deck ausgelöscht, ebenso das der Positionslaternen. Ich sehe benommen nach Luv. Die See im Mondschein läuft hart mit Brechern, aber da ist nichts Ungewöhnliches.
Plötzlich begreife ich. »Mein Gott – Elga!«
»Ich war angebunden«, sagt sie. »Und jetzt bin ich naß.«
»Geh gleich ’runter und zieh dich um.«
Es muß ein Roller gewesen sein, eine von diesen Gewaltseen, die entstehen können, wenn alle wellenbildenden Momente besonders günstig zusammenfallen: Wind, Strom, Dünung, Windseegang. Sie sind selten, doch gefährlich, weil sie ohne Vorzeichen kommen.
Nachdem Elga sich umgezogen hatte, zurrte ich das während der Inselsegelei längst vergessene Persennig über die Luke und setzte die Laternen wieder unter Licht. Den Rest meiner Freiwache verbrachte ich damit, den Inhalt der aufgesprungenen Schrankfächer aus allen Winkeln der Kajüte zu sammeln und wieder einzupacken. Als ich Elga anschließend am Ruder ablöste, fühlte ich mich wie ein pensionierter Akrobat.
Zauberhaft zart in der rosaroten Morgendämmerung kamen Backbord voraus die Umrisse der Insel Antigua, Backbord querab die von Montserrat in Sicht. Von Osten zog blau-schwarz eine Schauerbö herauf, die uns während des ganzen Vormittags zu schaffen machte und die Ansteuerung der im Regen verschwundenen Insel Antigua erschwerte. Wir hielten mit 20° ostwärts vor, da wir den westwärts setzenden Strom aussegeln mußten. Unter keinen Umständen wollten wir westlich von English Harbour an die Küste kommen, da wir dann hätten aufkreuzen müssen. Die Einfahrt von English Harbour ist außerdem sehr schwer zu finden. Sie liegt zwischen zwei Felsenkaps, die sich überlappen.
Mittags kam die Sonne durch. Der Passat wehte mit Stärke 6 nun, immer noch aus Ost. Wir segelten bis dicht unter die Küste und fielen ab. Trotz der mehrmals im Handbuch gelesenen Küstenbeschreibung konnten wir die Einfahrt nicht entdecken. Wir segelten an den schroffen Shirley Heights vorbei. Da sollten alte Kasernen stehen – zu sehen war nichts von ihnen.
»Hier, Herr Admiral!« rief Elga plötzlich. »Da ist Fort Charlotte! Und da die Batterie auf Barclay Point!« Es waren graue Ruinen aus Nelsons Tagen.
»Sehr gut«, sagte ich, »a-hm – bringen Sie mir Dreispitz, Fernrohr und Entermesser.«
Da lag die Einfahrt. Wir setzten unsere Flaggen und liefen ein. Die Bucht ist schmal und gewunden in ihrem Verlauf nach Norden. Das schützt sie vor Winden aus allen Richtungen und macht sie hurrikansicher. Mit Festungen an beiden Seiten gab sie in alten Tagen der englischen Westindienflotte einen guten Hafen. Hier pflegte der Britische Löwe seine Wunden, wenn ihm das Fell zerzaust worden war. Heute ist English Harbour Stützpunkt einer internationalen Jachtflotte von Atlantikseglern.
Wir ankern im hinteren Teil der Bucht, nicht weit von der Pier entfernt. Etwa 25 Jachten aller Größen und Takelungsarten liegen dort mit ausgebrachten Bugankern, die Heckleinen belegt auf senkrecht in die Pier gerammten Kanonenrohren. Da sind auch jene, die wir bereits an Spaniens Küsten, auf Madeira oder in Las Palmas getroffen haben. Nach der Einklarierung, als Flagge »Q« bei uns niedergeht, besuchen uns die Freunde.
Bryan mit Frau und Töchterchen kommt als erster von seiner »Askadil« herübergerudert.
»Hallo, wie geht’s euch?«
»Sehr gut. Und euch?«
»Gut, danke. Wie lange?«
»30 Tage von Las Palmas nach Barbados.«
»Wir haben’s in 26 Tagen geschafft. Kinder, ich sag’ euch, ›Askadil‹ ist gelaufen! Und der Passat war gleichmaßig und stark.«
»Wir hatten 8 Tage nur umlaufende schwache Winde. Es war eine ziemliche Quälerei.«
»Wo?«
»1000 Seemeilen ostnordöstlich von Barbados begann es.«
»Sieh an, da lag auch die ›Slocum‹ fest. Ihr habt zu weit südlich gestanden.«
Während die Frauen ihre Verpflegungs- und Stauprobleme besprechen, hängen Bryan und ich bald über der Atlantikkarte und diskutieren.
»Nicht zu weit südlich, Bryan. Wir lagen auf der gleichen Route, die Hiscock zweimal segelte …«
So weben sich Geschichten über den Ozean. Sie werden für Jachtsegler zum Bestandteil der See wie Wind, Strömung und Wolkenzug. Sie sagen nüchtern, was Segler auf kleinen Schiffen richtig und was sie falsch machten. Glück oder Unglück heben sich aus persönlicher Freude oder subjektivem Leid zum Besitz aller, die auf gleichen Kursen segeln.
Man