Magie. Ines WitkaЧитать онлайн книгу.
INES WITKA
MAGIE
Theater der Lust
Band 3
Roman
Theater der Lust, Rausch
Copyright © Ines Witka im Gatzanis Verlag, Stuttgart 2021
www.ineswitka.de; www.gatzanis.com
Copyright ©2021 by Ines Witka
Autorin: Ines Witka
Gestaltung: Ines Witka
Fotografie: ©Vince Voltage; www.vincevoltage.com/
Model: Ita – It’s art; http://ita-its-art.wixsite.com/ita-its-art Gesamtherstellung: Bookwire Gesellschaft zum Vertrieb digitaler Medien mbH, Frankfurt
Die Verwertung der Texte (im Print und digital), auch auszugsweise, ist ohne Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.
ISBN: 978-3-948161-09-5
Plüsch, Porno und Party
Um meine Erregung abzureagieren, renne ich die Zachariasstraße entlang. Es sind nur wenige Autos und noch weniger Menschen unterwegs. Als ich in die Buschallee einbiege, ist die Straße wie leergefegt. Ich jogge die Strecke mehrmals in der Woche, wenn auch selten nachts um ein Uhr. Ich weiche einem Hundehaufen aus. Die Nachtluft ist milde. Es riecht nach Gras, und morgen früh sind bestimmt die ersten Blüten der Forsythien aufgegangen. Ich bin seit einer halben Stunde unterwegs und habe es gleich geschafft. Ich hätte vom Theater aus auch ein Stadtmobil nehmen können. Doch ich wollte laufen. Laufen und schwitzen. Mich spüren und gleichzeitig betäuben. Ich hatte geglaubt, im Publikum ein bekanntes Gesicht entdeckt zu haben. Das Gesicht von Alexander. Nach dem Schlussapplaus rannte ich sofort in den Zuschauerraum – in der Reihe, in der ich ihn vermutete, sah ich allerdings nur noch leere Stühle. Und kam mir dumm vor. Beim Gedanken an Alexander wird mir eiskalt, und ich erhöhe das Tempo. Ich weiß noch genau, wie »auserwählt« ich mich gefühlt hatte, als er mir vor Jahren einen Heiratsantrag machte. Als er mir den Ring an den Finger steckte, war ich glücklich. Nun dreht sich mir schon der Magen um, wenn ich bloß daran denke, dass er im Publikum gewesen sein könnte.
Kurz bevor ich den Altbau erreiche, wo ich im dritten Stock wohne, überholt mich ein Auto und zieht abrupt nach rechts auf den Bürgersteig. Ein Mann steigt aus dem teuren Wagen und versperrt mir den Weg. Ich zucke zusammen. Gleich darauf erkenne ich ihn im orangenen Licht der Straßenlaterne: Es ist Roland.
»Hast du mir einen Schreck eingejagt!«
»Ich habe dich auf der Bühne gesehen Viktoria – schon ein gewagtes Stück! Ich war mit Alexander in der Vorstellung.«
Also doch. Meine Knie werden weich. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf.
»Bist du mir gefolgt?«
»Ich hatte Alexander beiläufig nach deiner Adresse gefragt.«
»Was willst du hier, nachts um ein Uhr?«
»Ich dachte, wir könnten noch was trinken gehen. Komm, sag Ja. Bitte!« Er nähert sich. »Ich war schon immer scharf auf dich.«
Er versucht, mich an sich zu ziehen.
»Lass mich los.«
»Und wenn ich nicht will?«
»Klar willst du. Du bist ein anständiger Kerl.«
Er lässt meine Schultern los. Was ist nur in ihn gefahren? Roland war einer der nettesten Freunde von Alexander gewesen. Er müsste jetzt knapp über fünfzig sein. Sein sich lichtendes Haar ist graumeliert. Er neigte schon immer zu einer gewissen Fülle, was sich heute deutlicher zeigt, als ich es in Erinnerung habe.
»Roland, was soll das?«
»Aus Respekt vor Alexander habe ich dich nie angemacht. Er ist mein bester Freund, und ich bewundere ihn.«
»Und was hat sich jetzt geändert?«
»Ihr seid geschieden. Und …« Er lacht rau. »Und du bist offensichtlich nicht prüde. Bei dem was ihr im Theater so treibt!«
Ein unangenehmes Frösteln läuft mir den Rücken hinunter. »Du spinnst. Lass mich vorbei, sonst schreie ich.«
Er weicht zurück, geht zur Fahrerseite. »Was bekommst du für einen Abend im Theater? Ich zahl dir das Doppelte, das Dreifache. Denk über meinen Vorschlag nach.«
Er steigt ein, fährt sofort los und ist gleich darauf verschwunden. Allein stehe ich auf dem menschenleeren Bürgersteig und zweifle, ob dieser merkwürdige Vorgang überhaupt stattgefunden hat. Da lassen mich meine Beine im Stich. Benommen setze ich mich auf die nächste Bank.
So also denken meine ehemaligen Freunde über das Theaterstück Abendessen mit berühmten Fotografen. Zuerst war es nur ein Geheimtipp unter kulturell Interessierten oder sexuell Aufgeschlossenen. Doch allmählich entwickelte sich das Lustspiel des Liliths Secret Theatre zum Dauerbrenner. Für jede Vorstellung ist die Nachfrage zwei- bis dreimal so groß wie die Zahl der verfügbaren Karten. Ausgedacht hat sich die sinnenfreudige Performance meine beste Freundin Gil, Künstlerin und Intendantin des Liliths Secret Theatre, das sich auf experimentelle Stücke spezialisiert hat. Beim Gedanken an Gil wird es mir wieder warm ums Herz.
Es war vor knapp einem Jahr, als ich mich auf eine Anzeige des Theaters gemeldet hatte und das Wagnis eines Auftritts eingegangen war. Danach stand sie mir im enggeschnittenen roten Latexkleid gegenüber und gratulierte mir zu meinem ersten Auftritt im Liliths. »Ich bin Gil«, hatte sie gesagt. Und: »Du hast mit deinem Auftritt zu einem sehr gelungenen Abend beigetragen. Alle genießen nun völlig enthemmt das Fest.« Was sie als gelungen bezeichnete, war für mich ein Desaster gewesen. Ich wollte diese Frau mit ihrer blassen Haut, dem rot geschminkten Mund und den lackschwarzen, zu einem Bubikopf geschnitten Haaren nie wieder sehen. Und Ralf, den Mann an ihrer Seite, der mich engagiert hatte, auch nicht.
Ich sage stumm »Danke«, dass sich seitdem so vieles geändert hat. Ich wollte die beiden dann doch wiedersehen. Ralf, weil er mit seiner Größe, seinen Grübchen, seinen lockigen Haaren, seinen Lachfältchen, seinen warmen grauen Augen, seiner Kreativität und Aufmerksamkeit meiner Vorstellung von einem Traummann sehr nahe kam. Die Grübchen mochte ich auf den ersten Blick, als ich ihm für die Bewerbung im Liliths gegenüber saß.
Gil, weil sie mich in Sekunden mit ihrer Präsenz, ihrer außergewöhnlichen Kleidung, ihrem selbstbewussten Blick, ja, der Art, wie sie ihre Zigarette hielt, überwältigt hatte. Außerdem konnte mein Leben nur besser werden. Ich misstraute mir und meinen Fähigkeiten als Kommunikationsdesignerin, hatte keine Freunde, keine Arbeit und keine Zukunftsvision, saß die meiste Zeit in meiner Wohnung und grübelte.
All das hat sich geändert! Ich habe sogar zwei Jobs. Schon morgens freue ich mich auf meine Arbeit in der Agentur vibrant nerves, deren Inhaber und Geschäftsführer Ralf ist. Nachmittags gehe ich eine Tür weiter zu Gil ins Theater und präsentiere ihr meine Recherche-Ergebnisse, Texte und Ideen. Aktuell planen wir gemeinsam das nächste Stück Alice im Vulva-Land. Viele Aufgaben, vor denen ich mich anfangs so gefürchtet habe, kann ich jeden Tag besser lösen. Ralf übernimmt die Bühnengestaltung, ich recherchiere die Inhalte, und Gil kümmert sich um den ganzen Rest. Das neue Stück war ihre Idee gewesen: Wir zeigen eine szenische Reise durch die Epochen, was in verschiedenen Jahrhunderten über die Lust der Frau geschrieben und aufgeführt wurde. Ich habe bei meinen Recherchen schon überraschende Informationen gefunden. Was für eine aufregende Sache!
Die Stücke sind sehr verschieden, beide jedoch sehr erotisch und ähnlich inszeniert: