Magie. Ines WitkaЧитать онлайн книгу.
ausschließt, kommunizieren Männer auf Augenhöhe miteinander. Gruppenzugehörigkeit aufgrund des Geschlechts ist völlig normal. Also das, was du zwischen den Beinen hast, ist entscheidend, nicht Leistung und Kompetenz. Das erzählt man uns nur, damit wir noch härter arbeiten. Ich bin dafür anzuerkennen, dass Frauen dieselben Fähigkeiten wie Männer haben und dass nicht das Geschlecht darüber bestimmt, sondern der Charakter. Ich hoffe, dass ihr hier nicht in dieses Gejammer ›Frauen sind Opfer, weil sie eine Vagina haben‹ verfallt.«
Das sitzt. Ich schaue kurz zu Esther, die bereits Luft holt: »Wenn man einen Mann beleidigen will, schimpft man ihn eine Pussy.«
»Und wenn mich einer beleidigen will, nennt er mich Schlampe oder gleich Fotze.«
Mist, jetzt rutschen die Gespräche genau auf die Ebene, wo ich nicht hin will. In diese Verachtung, in diese Empörung, in diese Scham. Davor hat Ella gewarnt, denn die Erfahrungen von verbaler sexueller Gewalt hat wohl schon jede gesammelt. Um dem etwas entgegenzusetzen, haben wir die Körperreise unternommen.
»All die üblen Diffamierungen sind uns bestens bekannt. Ich, wir, wir alle wissen, dass die Vulva in allen Ländern der Welt beschimpft wird und die Frau dann gleich mit denselben Bezeichnungen belegt wird. Das hat Tradition. Doch was ist mit den schönen Seiten? Die Vulva wurde in der Mythologie angebetet! Als Freuden- und Fruchtbarkeitsspendende! Auf der ganzen Welt gibt es Geschichten, wie das Zeigen der Vulva die Welt gerettet hat. Baubo, die bevorzugt auf einem Schwein ritt, zeigte ihre Vulva der trauernden Demeter, damit sie wieder lachte und die Welt nicht weiter verdorren ließ. Die indische Göttin Durga war herbeigeeilt, um die Menschen und die Götter im Kampf gegen Dämonen zu unterstützen. Als sie die Dämonen nicht besiegen konnte, entblößte sie ihre Vulva und zog alle Göttinnen in sich. Sie wurde zur Göttin Kali und besiegte die Dämonen mit der gebündelten weiblichen Kraft.«
»Und was ist mit dem Christentum?«, fragt Heike. »Maria ist so was von asexuell.«
»Glücklich, wer die Zeichen lesen kann«, grinse ich erfreut über die Frage. »Maria wird manchmal mit einer Art Aura dargestellt, die Mandelglorie. Und die ist …«
»… die stilisierte Form der Vulva!«, fällt mir Pia ins Wort.
»Fällt es euch nicht schwer, Vulva auszusprechen?«, fragt Lotta in die Runde. »In meinen Ohren klingt es seltsam. Ich frage mich, warum ich immer nur Vagina gehört habe.«
»Das weiß ich. Zufällig bin ich Biolehrerin«, erklärt Heike. »Andere Darstellungen und Begriffe waren nicht in den Schulbüchern und fehlen bis heute. Üblich ist eben nur die Verbindung von außen nach innen darzustellen, also zum Gebärmutterhals. Die Klitoris ist nur ein kleiner Punkt, wenn sie überhaupt dargestellt wird. Informationen darüber, dass sie ein erektiles Organ ist, wie groß sie tatsächlich ist, dass sie anschwellen kann? Fehlanzeige!
In meiner Klasse kann kein Junge oder Mädchen die weibliche Anatomie richtig zu benennen. Sie gehen alle sehr verschämt damit um. Vulva? Sagt keiner. Selbst als Erwachsene müssen viele von uns noch etwas über unsere sexuelle Anatomie lernen.«
»Kein Wunder, oder habt ihr schon mal eine Brunnenfigur mit einer Vulva gesehen? Ich nicht«, regt sich Pia auf. »Und nur wir können das ändern. Wir können ihr mehr Liebe entgegenbringen, mehr Aufmerksamkeit schenken …« Sie nimmt den schwarzen dicken Stift in die Hand und malt mit fünf Strichen zwei kräftige Oberschenkel und einen Rundbogen. Wir alle erkennen sofort: bei ihrer Zeichnung fehlt eindeutig das Geschlecht. Dann malt sie in Rot eine Vulva mit Schamlippen, Klitoris und ein paar schwarzen Haaren daneben und einen Pfeil, der darauf zeigt. Sie schreibt Honigtopf dazu und lässt ein paar Bienen drum herum schwirren. Ich schreibe »Fotze«, streiche es durch und schreibe »Lady« dahinter. Darauf bin ich stolz. Beim Vorbereitungstreffen hatte ich Ella, Sophia und Gil gestanden, dass ich mein eigenes Geschlecht mit üblen Schimpfworten belege. »Lady« ist nun mein Versuch, es mehr wertzuschätzen. Das ist keine Kleinigkeit. Ich spüre den emotionalen Unterschied, den das Wort »Lady« für mich macht. Und das Praktische ist, dass ich so eine Bezeichnung immer wieder ändern kann, wenn sie mir nicht mehr gefällt oder nicht mehr meinen Gefühlen entspricht.
Und plötzlich wird die Idee des World Cafés lebendig: Neben meiner Lady und dem Honigtopf tauchen schnell Bezeichnungen wie Kätzchen, Möse, Muschel, Paradies, geheimer Garten, Muschi, Tulpe, Mäuschen, Schmetterling und unbekanntes Land auf.
Am Nachbartisch versucht Ella, den Frauen ein paar Stichworte über ihre gelebte und geträumte Sexualität zu entlocken. An ihrem Tisch geht es heiß her. Das ist uns im Vorfeld schon klar gewesen. Ella übernahm diesen Tisch, weil sie es sich zutraute. Schade, dass ich nur einzelne Fetzen mitbekomme.
»Welche Toys mögt ihr?«, fragt Ella gerade. »Ich mag es, wenn sich der Dildo natürlich anfühlt, das ist dann wie ein zweiter Mann im Spiel. Wenn er eine durchschnittliche Länge hat, nur etwas dicker im Durchmesser. Das fühlt sich richtig gut an.« Weiter kann ich nicht zuhören, sonst verpasse ich zu viel von den Gesprächen an meinem Tisch. Da muss ich wohl auf Ellas Zusammenfassung warten. Und auf die Zeichnungen von Gil, die mit einem Skizzenblock auf dem Schoß am Tisch sitzt und mit wenigen Strichen skizziert, was erzählt wird. Das ist ihre Kunst, in der sie es zur Meisterschaft gebracht hat. Sie zeichnet rasch, während sie ganz genau zuhört. Sie korrigiert nie beim Zeichnen. Ist sie nicht zufrieden, reißt sie das Blatt heraus, lässt es einfach auf den Boden fallen und setzt neu an, sodass mehrere Skizzen nebeneinander existieren.
Da ertönt der Gong einer Klangschale.
»Wir machen eine kleine Pause von einer Viertelstunde. Zeit, um rauchen oder pinkeln zu gehen, oder was auch immer«, verkündet Ella.
Ich freue mich schon darauf, nachher die Frauen vom Orgasmus-Tisch zu begrüßen, sie haben so erregt rote Wangen.
Gil sammelt die Blätter ein und pinnt sie an die Wand. Neugierig folgen ihr ein paar Frauen. Gils rasch dahingeworfene Skizzen zeigen Frauen sitzend, stehend, kniend oder liegend, mal frontal, mal von der Seite, mal von hinten. Die Skizze mit einem Duschkopf und einer Duschwanne, die Gil dunkel schraffiert andeutet, erklärt sich wohl daraus, dass sie über Hilfsmittel gesprochen hatten. Was mich wiederum an meine intensive Erfahrung mit verschiedenen Kerzenformen erinnert, mit denen ich als Jugendliche experimentiert hatte und wie ich dann Gemüse erprobte. Was zu dem neuen Feld von Sex und Essen führen könnte. Schokolade naschen, Sahne schlecken, ausschlürfen, Eis lecken … Muss ich mir merken.
Gil deutet mir mit der Zigarette in der Hand an, dass sie kurz nach draußen gehen wird. Ich strecke mich einmal kräftig durch. Ella gesellt sich zu mir.
»Und wie ging es bei dir so?«, frage ich neugierig.
»Es war genauso, wie wir es erwartet haben! Emotionsgeladene Schilderungen, berührende Sätze. Schade, dass sie nicht alle hören können.«
Zwei Stunden später verklingt der dritte Gong der Klangschale, und Gil steigt aufs Podium.
»Erst einmal ein fettes Danke an euch alle. Ich weiß, wir haben anfangs versprochen, am Ende gemeinsam zu diskutieren. Doch es ist spät geworden. Mein Vorschlag wäre, diese Diskussion bei unserem nächsten Treffen an den Anfang zu setzen.«
Beifälliges Gemurmel.
»Vorher treffen wird uns gewiss bei der Premiere von Alice im Vulva-Land. Nehmt gern zwei Einladungskarten mit. Ansonsten sehen wir uns in sechs Wochen beim zweiten Roten Mond Salon wieder. Wer Lust hat, ein persönliches Interview mit Viktoria und mir zu führen, trägt sich hier in die Liste ein. Es kommt mir beim Interview darauf an, dass du Freude an deiner Sexualität hast.« Sie lacht. »Also habt Spaß, egal was ihr tut.«
Als die letzte Besucherin gegangen ist, holt Gil eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank. »Ich finde, die haben wir uns jetzt verdient.«
Sie entkorkt die Flasche und schenkt die Gläser ein, die Sophia geschwind bereitgestellt hat. Gil erhebt ihr Glas. »Das lief super.«
Wir stoßen an, die Gläser klingen hell.
»Ihr hattet die Gespräche gut im Griff, oder?« fragt Gil in die Runde.
»Wir können hier etwas