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Griechischer Frühling. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.

Griechischer Frühling - Gerhart Hauptmann


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rufen mich für Stimmen aus dem Schlaf?

      Wie ein Geschrei, ein laut Gespräch der Frauen

      Erklang mir durch die Dämmrung des Erwachens.

      Hier seh ich niemand! Scherzen durchs Gebüsch

      Die Nymphen? oder ahmt der frische Wind,

      Durchs hohe Rohr des Flusses sich bewegend,

      Zu meiner Qual die Menschenstimmen nach?

      Wo bin ich hingekommen? welchem Lande

      Trug mich der Zorn des Wellengottes zu?“

      Ich meine, wenn dieses anziehende Fragment die starke Liebe wieder erweckt, oder eine ähnlich starke, wie im Herzen seines Dichters war, so kann dies kein Grund zum Vorwurf sein. Auch dann nicht, wenn diese Liebe das Fehlende, das Ungeborene, zu erkennen vermeint, oder gar zu ergänzen unternimmt. Dieser gelassene Ton, der so warm, stark, richtig und deutsch ist, wird meist durchaus mißverstanden. Man nimmt ihn für kühl und vergißt auch in der Sprache der Iphigenie die „by very much more handsome than fine“ ist, die alles durchdringende Herzlichkeit.

      Der Rückweg nach der Stadt führt zwischen wahre Dickichte von Orangen, Granaten und Himbeeren. Eukalyptusbäume mit großgefleckten Stämmen von wunderbarer Schönheit begegnen. Hie und da wandeln Kühe im hohen Gras unter niedrig gehaltenen Orangenpflanzungen. Steinerne Häuschen, Höhlen der Armut, bergen sich inmitten der dichten Gärten. Kinder betteln mit Fröhlichkeit, starrend von Schmutz.

      Immer weiter zwischen verwilderten Hecken, mit Blüten bedeckten, schreiten wir. Ich bemerke, außer vielen Brombeeren, dickstämmigen, alten Weißdorn. Marguerits, wie Schnee über Wegrändern und Wiesen, bilden weiße, liebliche Teppiche des Elends. Erbärmliche Höfe sind von Aloepflanzen eingehegt, über deren Stacheln unglaubliche Lumpen zum Trocknen gebreitet sind, und in der Nähe solcher Wohnstätten riecht es nach Müll. Ich sehe nur Männer bei der Feldarbeit. Die Weiber faulenzen, liegen im Dreck und sonnen sich.

      Ein griechischer Hirt kommt mir entgegen, ein alter, bärtiger Mann. Die ganze Erscheinung ist wohlgepflegt. Er trägt kretensische Tracht, ein rockartiges, blaues Beinkleid, zwischen den Beinen gerafft, Schnabelschuh’, die Waden gebunden, ein blaues Jäckchen mit Glanzknöpfen, dazu einen strohenen Hut. Fünf Ziegen, nicht mehr, trotten vor ihm hin. Er klappert mit vielen kleinen Blechkannen, die, an einem Riemen hängend, er mit sich führt.

      Ein frischer Nordwest hat eingesetzt, jetzt, am Nachmittag. Zwei alte Albanesen, dazu ein Knabe, schreiten langsam über die Lespianata. Einer der würdigen Weißbärte trägt über zwei Mänteln den dritten, dessen Kapuze er über den Kopf gezogen hat. Der unterste Mantel ist von hellerem Tuch, der zweite blau, der dritte über und über bedeckt mit langen, weißlichen Wollzotteln, ähnlich dem Ziegenhaar. Der Sauhirt Eumäus fällt mir ein und die Erzählung des Bettlers Odysseus von seiner List, durch die er nicht nur von Thoas, dem Sohne Andrämons, den Mantel erhielt, sondern auch von Eumäus.

      Es scheint, daß die Zahl der Mäntel den Wohlstand ihrer Träger andeutet. Denn auch der zweite dieser imponierenden Berghirten hat drei Mäntel übergeworfen. Dabei tragen sie weiße Wollgamaschen und graulederne Schnabelschuh’. Jeder von ihnen überdies einen ungeschälten, langen Stab. Der Knabe trägt ein rotes Fez. Die Schnäbel seiner roten Schuhe sind länger, als die der Alten und jeder mit einer großen, schwarzen Quaste geziert.

      Die Hafenstraßen zeigen das übliche Volksgetriebe. Die Läden öffnen sich auf schmale, hochgelegene Lauben, aus denen man in das Menschengewimmel der engen Gäßchen hinuntersieht. Ein Mann trägt Fische mit silbernen Schuppen auf dem flachen Handteller eilend an mir vorbei. Junge Schafe und Ziegen hängen, ausgeweidet und blutend, vor den Läden der Fleischer. Über der Tür einer Weinstube voll riesiger Fässer sind im Halbkreis Flaschen mit verschieden gefärbtem Inhalt an Schnüren ausgehängt. Man hat schlechte Treppen, übelriechende Winkel zu vermeiden, vertierten Bettlern aus dem Wege zu gehn.

      Einer dieser Bettler nähert sich mir. Er überbietet jeden sonstigen, europäischen Eindruck dieser Art. Seine Augen glühen über einem sackartigen Lumpen hervor, mit dem er Mund, Nase und Brust vermummt hat. Er hustet in diese Umhüllung hinein. Er bleibt auf der Straße stehen und hustet, krächzt, pfeift mit Absicht, um aufzufallen, sein fürchterliches Husten minutenlang. Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes vorzustellen, als dieses verlauste, unflätige, barfüßige und halbnackte Gespenst.

       Ich verbringe die Stunde um Sonnenuntergang in dem schönen, verwilderten Garten, der dem König von Griechenland gehört. Es ist eine wunderbare Wildnis von alten Zypressen-, Oliven- und Eukalyptusbäumen, ungerechnet alle die blühenden Sträucher, in deren Schatten man sich bewegt. Vielleicht wäre es schade, wenn dieser Garten oft vom König besucht würde, denn bei größerer Pflege müßte er vieles verlieren von dem Reiz des Verwunschenen, der ihm jetzt eigen ist. Die Riesenbäume schwanken gewaltig im Winde und rauschen dazu: ein weiches, aufgestörtes Rauschen, in das sich der eherne Ton des Meeres einmischt.

      Wie ich heute morgen das Fenster öffne, ist die Sonne am wolkenlosen Himmel längst aufgegangen. Ich bemerke, daß alles in einem fast weißen Lichte unter mir liegt: die Straßen und Dächer der Stadt, der Himmel, die Landschaft mit ihren Wiesen, Olivenwäldern und fernen Bergen. Als ich aus dem Hotel trete, muß ich die Augen fast schließen, und lange, während ich durch den nördlichen Stadtteil Korfus hinauswandere, suche ich meinen Weg blinzelnd.

      Die Vorstadt zeigt das übliche Bild. Auf kleinen Eselchen sitzen Reiter, so groß, daß man meint, sie könnten ihr Reittier mühelos in die Tasche stecken. Ruppige Pferdchen, braunschwarz oder schwarz, mit Schweifen, die bis zur Erde reichen, tragen allerlei tote Lasten und lebende Menschen dazu. Vor ihren zumeist einstöckigen Häusern hocken viele Bewohner und sonnen sich. Eine junge Mutter säugt, auf ihrer Türschwelle sitzend, ihr jüngstes Kind und laust es zugleich, in aller Behaglichkeit und Naivetät. Die weißen Mauerflächen werfen das Licht zurück und erzeugen Augenschmerzen.

      Ich komme nun in die Region der Weiden und Ölgärten. Auf einer ebenen Straße, die stellenweise vom Meere bespült, dann wieder durch sumpfige Strecken oder Weideland vom Rande der großen, inneren Bucht getrennt ist. Ich ruhe ein wenig, auf einem Stück Ufermauer am Ausgang der Stadt. Die Sonne brennt heiß. Von den angrenzenden Hügeln steigt ein albanesischer Hirte mit seinen Schafen zur Straße herunter: trotz der Wärme trägt er seine drei Mäntel, oben den fließartigen, über die Schultern gehängt. Ein sehr starkes und hochbeiniges Mutterschwein kommt aus der Stadt und schreitet hinter seinen Ferkeln an mir vorüber. Es folgt ein Eber, der kleiner ist.

      Es ist natürlich, wenn ich auch hier wieder an Eumäus denke, den göttlichen Hirten, eine Gestalt, die mir übrigens schon seit längerer Zeit besonders lebendig ist. Eigentümlicherweise umgibt das Tier, dessen Pflege und Zucht ihm besonders oblag, noch heute bei uns auf dem Lande eine Art alter Opferpoesie. Es ist das einzige Tier, das von kleinen Leuten noch heute, nicht ohne große festliche Aufregung, im Hause geschlachtet wird. Das Barbarische liegt nicht in der naiven Freude an Trunk und Schmaus; denn die homerischen Griechen, gleich den alten Germanen, neigten zur Völlerei. Metzgen, essen, trinken, gesundes Ausarbeiten der Glieder im Spiel, im Kampfspiel zumeist, das alles im Einverständnis mit den Himmlischen, ja in ihrer Gegenwart, war für griechische wie für germanische Männer der Inbegriff jeder Festlichkeit.

      Es liegt in dem Eumäus-Idyll eine tiefe Naivetät, die entzückend anheimelt. Kaum ist irgendwo im Homer eine gleiche menschliche Wärme zu spüren wie hier. Es wäre vielleicht von dieser Empfindung aus nicht unmöglich, dem ewigen Gegenstande ein neues, lebendiges Dasein für uns zu gewinnen.

      Es ist nicht durchaus angenehm, außer zum Zweck der Beobachtung, durch diese weiße, stauberfüllte Vorstadt zurück den Weg zu nehmen. Unglaublich, wieviele Murillosche Kopfreinigungen man hier öffentlich zu sehen bekommt! Es ist glühend heiß. Scharen von Gänsen fliegen vor mir auf und vermehren den Staub, ihn, die weite Straße hinabfliegend, zu Wolken über sich jagend. Hochrädrige Karren kommen mir entgegen. Hunde laufen über den Weg: Bulldoggen, Wolfshunde, Pintscher, Fixköter aller Art! Gelbe, graue und schwarze Katzen liegen umher, laufen, fauchen, retten sich vor Hunden auf Fensterbrüstungen. Eselchen schleppen Ladungen frischgeflochtener Körbe, die den Entgegenkommenden das


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