Klara. Dirk BernemannЧитать онлайн книгу.
und vögelten zwischendurch. Damit meine Lust nicht erlahmte, achtete ich peinlich darauf, nicht zu kommen. Jedes Mal, wenn ich kurz davor war, erbat ich eine Pause. Gespräche gab es diesmal kaum, jedenfalls keine, die ernste Themen zum Inhalt gehabt hätten. Dafür wurde beim Sex viel geredet. Je häufiger wir es miteinander trieben, desto stärker beschlich mich der Eindruck, dass Klara sich am Klang meiner Stimme berauschte. Je mehr ich redete, desto schneller ging ihr Atem, je schneller ihr Atem ging, desto mehr wollte sie mich reden hören. Aber es war nicht nur die Stimme allein, es waren vor allem die Geschichten aus meiner Vergangenheit, die Klara merkbar geil werden ließen. Sicher auch, weil das, was ich von mir gab, ihrer Eitelkeit schmeichelte.
Angefangen hatte sie damit.
»Erzähl mir von der hässlichsten Frau, die du je gefickt hast«, hatte sie unvermittelt gefordert.
Ich ließ mich nicht lange bitten und warf den erstbesten Namen ins Rennen, den ich mit der Liste Sexualkontakte, für die deine Freunde dich ausgelacht hätten (oder haben) in Verbindung brachte. Natürlich übertrieb ich ein bisschen, als ich das Äußere der Frau beschrieb, ließ sie altern und aufquellen und dreihundert Mitesser mehr bekommen. Und ich übertrieb auch, als ich Klaras zweite Frage beantwortete, die sich der ersten zwangsläufig anschloss: »Und was hast du mit ihr gemacht? Erzähl mir alles, ganz genau.«
Ich trug deshalb etwas dicker auf, weil ich schnell merkte, dass Klaras Erregtheit besonders von den Stellen befeuert wurde, die nicht unbedingt unter die Kategorie sanfte Erotik fielen. Je weniger nett ich mich in meinen Erzählungen gab, desto größer wurde Klaras Bereitschaft, sich weniger nett behandeln zu lassen.
Im Laufe der Nacht griff ich immer stärker auf meine Fantasie zurück. Zum einen war es so deutlich leichter, Klaras Erwartungen zu bedienen, zum anderen gaben meine Erinnerungen irgendwann schlicht nichts mehr her.
Aber auch meine Fantasie, besser: meine Lust, dieselbe zu bemühen, ließ schließlich nach. Klara wollte das jedoch nicht gelten lassen.
»Komm, bitte. Bitte eine noch«, bettelte sie, wie ein Kind, das nach jeder Gutenachtgeschichte eine weitere hören möchte. Ihre Augen groß wie die eines Streichelzoobewohners.
Dieses naiv Unschuldige stand natürlich im krassen Gegensatz zu dem, was wir taten, war damit aber gleichzeitig auch wieder Antriebskraft unserer Triebhaftigkeit.
Ich gab ihrem Drängen nach, bis das Zusammenspiel von Hirn und Zunge wirklich gar nichts mehr hergeben wollte, bis ich mich fühlte wie ein Barpianist auf Heroin, der immer wieder dieselben drei Töne anschlägt. Aber mein Einsatz hatte sich gelohnt. Klara war glücklich.
»Für mich beim nächsten Mal bitte nur Rotwein«, sagte sie, obwohl sie, nachdem wir den Roten geleert hatten, nicht hatte erkennen lassen, dass sie den Weißen nicht mochte. Dann lächelte sie, seufzte genüsslich und schloss die Augen.
Schon am nächsten Abend war es mit der guten Stimmung allerdings wieder vorbei. Auslöser war die Bedienung des Ladens, in dem wir uns getroffen hatten, eine burschikose, etwas herbe Mittvierzigerin, irgendwo zwischen ganz schön schlau und Guns N’ Roses.
Dass etwas nicht stimmte, merkte ich allerdings erst, als wir im Taxi saßen. Die Zeitspanne davor, wir mochten etwa zweieinhalb bis drei Stunden in der schlechtbeleuchteten Kellerbar verbracht haben, hätte ich ohne zu zögern als harmonisch bezeichnet. Weder hatten wir uns von dem viel zu lauten Elektropunk stören lassen, noch von der hohen Dichte an Menschen, die so wirkten, als wären Tinder, Grindr und Co. einzig erfunden worden, um die Welt an ihrem guten Aussehen und ihrem exquisiten Geschmack teilhaben zu lassen.
Wir hatten pausenlos aneinander herumgefummelt und uns abgefüllt, Klara mit Jägermeister, Mexikaner und Wein, ich mit Tequila Sunrise und Bier. Nun wollten wir zu mir, um das Programm der letzten Nacht zu wiederholen. Klara hatte kurz nach dem Einsteigen noch daran erinnert, dass wir Zigaretten brauchten, also vielleicht eine Tankstelle ansteuern sollten. Umso überraschter war ich, als sie plötzlich sagte: »Du hast sie angebaggert, du Scheißtyp.«
Ich drehte mich um und erwartete ein Lächeln auf ihrem Gesicht, dachte, sie würde scherzen. Aber da war kein Lächeln. Da waren nur Wut und Schmerz. Die Miene versteinert, der Blick ein glühendes Brandeisen.
»Wen angebaggert? Und was heißt das überhaupt angebaggert?«, empörte ich mich. »Das Wort ist schon völlig bescheuert.«
Da ich, von Klara abgesehen, den ganzen Abend über mit nur einer Frau gesprochen hatte, war nicht schwer zu erahnen, um wen es ging: die tätowierte Tresenkraft aus der Ü40-Liga. Zu der war ich, weil gutgelaunt, ausnehmend charmant gewesen. Und auch das Trinkgeld war nicht gerade knapp ausgefallen. Es existierte in meiner Erinnerung aber nichts, was auch nur ansatzweise unter die Rubrik Flirtversuch gefallen wäre. Warum auch, wo ich doch in der Begleitung einer Königin unterwegs war? Ich war deshalb sehr gespannt, was Klara mir konkret vorwerfen würde, und – da es eben nichts gab, was zum Vorwurf getaugt hätte – auch meinerseits bereits wütend.
Aber Klara wurde nicht konkret. Klara schwieg. Und als das Taxi vor dem nächsten Rotlicht stoppte, riss sie die Tür auf und lief davon. Ich wollte ihr hinterher, musste aber ja erst noch bezahlen.
»Meine ist auch so«, ließ sich der Fahrer ungefragt vernehmen. »Vierundzwanzig Jahre verheiratet, aber wenn ich ’ne andere nur mal von der Seite anschaue, gibt’s gleich Kassandra.«
»Kasalla«, korrigierte ich ihn, während ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche friemelte und gleichzeitig aufs Taxameter schielte: 17,20 Euro. Ich drückte meinem neuen Freund und Leidensgefährten einen Zwanziger in die Hand: »Stimmt so.«
Der fühlte sich dadurch nur noch mehr animiert, mich an seinem Eheleben teilhaben zu lassen.
»Vierundzwanzig Jahre. Und verliebt wie am ersten Tag«, brüllte er, bevor ich die Tür von außen zuschlagen konnte.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ich Klara gefunden hatte. Sie saß rauchend auf der Eingangstreppe irgendeiner Bildungseinrichtung und starrte auf ihr Smartphone.
Als ich Anstalten machte, mich neben sie zu setzen, sprang sie auf und begann auf mich einzuschlagen. Unkontrolliert und nicht allzu hart, aber auch nicht so, dass ich nicht hätte reagieren müssen.
»Du Wichser! Du blöder, dreckiger Wichser! Ich hab gewusst, dass du’s mit mir nicht ernstmeinst«, schrie sie währenddessen.
Ich zog sie an mich, schlang meine Arme um sie und redete beruhigend auf sie ein.
Irgendwann gab sie nach, erschlaffte in meiner Umklammerung, aber auf das, was sie von sich gab, hatte diese körperliche Kapitulation keinerlei Einfluss: »Dass du mir das antun konntest. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie so beschämt worden. Wie die Alte mich ausgelacht hat, als wir gegangen sind. Wie eine Hyäne hat die ausgesehen.«
Ich meinte mich zu erinnern, dass die Bedienung uns zum Abschied mit einem fast schon zärtlichen Wohlwollen zugelächelt hatte. Aber das war nicht das einzige Detail, das meinen Verstand zu sprengen drohte. Verdammt, es ging doch um mich selbst, ich war doch den ganzen Abend an meiner Seite gewesen. Wie konnte die Wahrnehmung zweier Menschen, die Wahrnehmung zweier Zeugen desselben Ereignisses derart weit auseinanderliegen? Aber ich wollte, dass wir hier wegkamen. Hatte keine Lust auf weitere Auseinandersetzungen auf der Straße. Nicht, dass am Ende noch irgendwer die Bullen rief. Also riss ich mich zusammen.
Wieder und wieder beteuerte ich meine Unschuld, führte die Logik ins Feld, pries Klaras Reize, während ich umgekehrt proportional das Äußere der Bardame bis an die Grenzen der Glaubwürdigkeit herabwürdigte (der Herr möge mir diese Sünde verzeihen). Schließlich konnte ich Klara zum Weitergehen bewegen. Und als wir kurz vor meiner Wohnung waren, hatte ich sie soweit. In ihrem Blick lag der erste, zarte Ansatz eines Lächelns.
»Du bist ein alternder Playboy«, sagte sie, während sie sich von mir Feuer geben ließ. »Du bist schwanzgesteuert.«
Ich ließ das so stehen.
II.
Ein paar Tage später lud mich Klara zum ersten Mal in ihr Zuhause ein,