Und die Maus hört ein Rauschen. Martina GrossЧитать онлайн книгу.
Erleben der Maus in diesen ersten Zeiten der gemeinsamen Reise kann manchmal gekennzeichnet sein von einem Verlust an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Dabei hinderliche Zugriffe auf Erfahrungen sind oft lange gebahnt und laufen zumeist unbewusst ab – Unsicherheiten, Angst, können im Vordergrund des Erlebens stehen, und der Organismus kann auf Schutz- oder Abwehrhaltung schalten. Die bisherigen Lösungsversuche zeigen sich oft als Teil des Problems – so wie die Maus von sich aus gar nicht auf die Idee käme zu springen, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht weiß, dass das Springen sie Dinge sehen lässt, die sie noch gar nicht kennt. Um zu verstehen, dass Springen bisher aus guten Gründen keine Option war, braucht es unserer Erfahrung nach Verständnis für die Kultur und Lebenswelt des Menschen, der dem Rauschen folgen möchte.
Auch wenn wir gemeinsam auf das Rauschen hören – wie schon oben erwähnt, kann sich das Rauschen ja auch als sogenanntes Symptom bemerkbar machen –, dann können wir uns in diesem gemeinsamen Beziehungsraum darauf einigen, mit welchem Ohr wir hinhören möchten, mit welchem Blick, welcher Haltung wir dem Rauschen gemeinsam begegnen möchten.
Schau dir dazu die Pacing-Übung im BegegnungsRaum der Ich-Welt an (S. 65).
Diese Herangehensweise kann hier verstanden werden als eine Option, möglichst im Dienste von Sicherheit für Mäuse und Waschbären in diesem gemeinsamen Kontext. Jede Frage, jede Bemerkung, jede Begegnung und Interaktion – verbal oder nonverbal – kann dann erlebt, erfahren werden und gehört und gesehen werden und überhaupt wahrgenommen werden, wenn die Basis des Begegnungsraums auf Sicherheit aufbaut, bzw. wenn, bei bleibender erlebter Unsicherheit, neue andere Erfahrungen gemeinsam in den Fokus gestellt werden können. Dies stellt aus unserer Sicht keine Technik dar – es entspricht vielmehr unserer Haltung.
In therapeutischen und beratenden Räumen begegnen sich zunächst zwei Menschen, die sich scheinbar auf den ersten Blick in einem Ungleichgewicht befinden. Mäuse, die ein Rauschen hören und dadurch vielleicht irritiert sind, nicht wissend, scheinbar noch keine Ideen dazu haben, oder denen der Zugriff auf ihre diesbezüglichen Kompetenzen noch nicht (alleine) möglich ist. Eine Situation, in der Klientinnen mit dem Erleben von Scheitern, Misserfolg und auch Ohnmacht reagieren können – wo sie ein deutliches Rauschen zumeist schon seit längerer Zeit begleitet.
Die Begegnung mit einem anderen Menschen, mit seinen Kompetenzen und Fähigkeiten, die Möglichkeit, sich in einer schwierigen Situation begleiten zu lassen, birgt oft eine große Hoffnung – Hoffnung auf Linderung, auf ein anderes Leben. Gleichzeitig und blitzschnell werden da manchmal auch andere Erfahrungen aus Beziehungen, aus Situationen aktiviert, wo sich Menschen zu anderen Zeiten schon als unterstützungssuchend erlebt haben. Erfahrungen, die ihren Erwartungen nicht gerecht wurden und ihnen Lösungen abverlangt haben, die in diesem Kontext jetzt als hinderlich beschrieben werden können. Zum Beispiel Erfahrungen, die zu Unsicherheit und Misstrauen führen, so, wie die Maus zunächst davon ausgeht, dass der Frosch sie hereingelegt hat, als sie bei ihrem ersten Sprung im Wasser landete und gerade noch mit letzter Kraft ans Ufer schwimmen konnte.
Wir wissen zu schätzen, was auftaucht (Eigenpacing)
In zahlreichen Untersuchungen aus der neurobiologischen Welt wird darauf verwiesen, dass der Mensch ein auf gelungene soziale Beziehungen orientiertes Wesen ist. Alle Begegnungen und all unsere Erfahrungen werden bereits sehr früh auf impliziter Ebene gespeichert. Schon im ersten Lebensjahr kann ein Mensch aus sich wiederholenden interaktiven Erfahrungen Regelmäßigkeiten ermitteln. Was sich daraus entwickeln kann, ist ein sogenanntes implizites Beziehungswissen auf präverbaler Ebene, wie BegegnungsRäume gestaltet sind, wie mit anderen Menschen umzugehen ist, wie am besten Kontakt herstellbar ist, wie gemeinsame Freude und Vergnügen möglich ist und wie Aufmerksamkeit erlangt werden kann (Storch, Cantieni, Hüther u. Tschacher 2010, S. 88).
Unser implizites Gedächtnis speichert dabei die jeweiligen Interaktionen des gesamten Organismus mit den anderen und nicht nur die anderen als Personen. Dieses Beziehungsgedächtnis, sowohl bei Menschen, die auf dem Weg sind, ihr Rauschen zu erforschen, als auch bei den Begleiterinnen, ist immer mit im Raum. Und alle Einladungen, die gegenseitig erfolgen (und seien sie auch noch so mit guten Gründen hinterlegt), werden in dieser derzeit möglichen Wahrnehmungsspanne erlebt. Dies kann sowohl einiges eröffnen und ermöglichen, kann aber auch zu Schutz- und Verteidigungsreaktionen führen.
Um sich vor weiteren Enttäuschungen und Verletzungen zu schützen, haben Menschen oft unwillkürlich und implizit ganz unterschiedliche Strategien entwickelt, die die Hilfe anderer scheinbar verzichtbar erscheinen lassen, wobei dennoch stets die Sehnsucht nach gelingenden und vertrauens- und sicherheitsspendenden Beziehungsräumen, nach Nähe, Körperkontakt und Bindung auf unwillkürlich impliziter Ebene weiterlebt. Diese Ambivalenz deutlich zu machen und die guten Gründe dafür aus der eigenen Lerngeschichte kennenzulernen, kann ein hilfreicher Beitrag zur Raumgestaltung sein. Wir alle haben sowohl das Bedürfnis nach Autonomie (»Ich für mich«) als auch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit (»Ich für und mit anderen«), oszillieren immer wieder zwischen beiden hin und her.
Im sicheren Raum kann es gelingen, neue Balancen zu erforschen, das eigene Erleben zu verstehen und wertzuschätzen und ganz zart kleine Schritte in die gewünschte Zukunft zu gehen. Neben Sicherheit ist ein liebevoller, im ersten Schritt zumindest wohlmeinender Umgang mit sich selbst ein weiterer Gelingensfaktor für den Aufbau von BegegnungsRäumen. Und das sowohl für Mäuse als auch für Waschbären. Für letztere wird Gunther Schmidt nicht müde, immer wieder die wertvolle Erinnerung »Eigenpacing vor Fremdpacing« (Schmidt 2014) auszusprechen: Nur wenn wir als Begleiterinnen liebevoll und wertschätzend mit uns umgehen, können wir eine hilfreiche Ressource für andere sein.
Vergleiche dazu das Konzept der Bezogenen Individuation im WissensRaum der Es-Welt (S. 80).
Was verstehen wir aus hypnosystemischer Sicht unter dem Begriff »Pacing«? Eingeführt wurde er von Richard Bandler und John Grinder als eine Beschreibung und Benennung dessen, was ihnen bei der Beobachtung Milton Ericksons, des Begründers der modernen Hypnotherapie, im Umgang mit Klientinnen aufgefallen war. Erickson selbst verwendet hierfür »Establishment of a yes-set«. Dabei ging Erickson davon aus, dass Menschen sich dann sicher und wohlfühlen, wenn sie merken und spüren, dass sie in ihrem So-Sein da sein dürfen und einem Raum begegnen, der keine Gefahren birgt – Gefahren wie Abwertung, etwas stimmt nicht mir dir, du solltest anders sein … (Grinder u. Bandler 2016). Dennoch würden wir Pacing nicht als eine Intervention bzw. Methode beschreiben. Vor allem dann, wenn wir als Begleiterinnen mit unserem ganzen Erleben einen Blick von Wertschätzung, Würdigung und Wohlwollen auf Klientinnen und all ihr Tun, Denken, Fühlen und Erleben richten können, kann in unserem gemeinsamen Begegnungsraum auch eine für beide Seiten erlebbare Sicherheit spürbar werden.
Wie uns dies am ehesten gelingen kann und wie wir, wenn wir die Haltung gerade »verloren« haben, wieder hineinfinden können, kannst du mit der Haltung-Halten-Trance hier in dieser Welt im BegegnungsRaum für dich herausfinden (S. 38).
BegegnungsRaum
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In diesem Raum richten wir den Fokus auf die Begleitung von Mäusen durch Waschbären in der Phase der Erforschung des Rauschens – ihres Reisebeginns. Dafür laden wir dich ein, über unsere Gedanken zur Haltung für diese Begleitung zu reflektieren, die wir dir gerne in der »Taschentuch-Trance« sowie unter dem Begriff »Auftragsklärung« näherbringen möchten.
Den Begriff »Auftragsklärung« möchten wir gerne differenzieren in »Auftragsklärung für die Begleitung« (diese findest du hier) und in »Auftragsklärung für Anliegen und Ziel«, also