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Die Fahrt zur Unsterblichkeit. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.

Die Fahrt zur Unsterblichkeit - Max Geißler


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es schwer war, auszusprechen, was ihr da fix und fertig im Munde lag. Und es war alles nicht so leicht wie der Brief, den sie in einer der letzten Nächte an den Vater des Malers in die Drenta geschrieben hatte.

      Von diesem Briefe sagte sie ihm aber kein Wort. Und er hat nie im Leben davon erfahren.

      Der Bretterbau war verwaist.

      Eines Tages, so gegen die Dämmerung hin, kam, der darin gehaust hatte, mit dem Zeichenbuche nach Hause. Er war ganz von der Herbstkälte eingenommen. Da sah er seinen Vater bei der Meisterin und dem Meister am Tische sitzen! Dieser Vater war in seinem Mannesalter Dorfpastor gewesen. Er hatte ein feines und kluges Gesicht und weisses gepflegtes Haar, über die Schläfen nach vorn gebürstet.

      „Vater?“ sagte der Sohn. Und dann noch einmal: „Vater!“ Erst war es eine Frage, dann war es ein Erstaunen. Und danach lehnte er sich gegen den Ofen und schwieg.

      So sagte die Meisterin: „Die Glieder hangen nun wieder um seinen Leib wie Flegelholz! Seit der Krankheit, die in der Borinage gewesen ist, ist das so mit ihm gekommen. Als ein Heiland ist er da unter den Leuten herumgegangen. Er hat ihnen geopfert, was er besass: seine Zudecken — ob er gleich fror; seine Heller — ob er gleich arm war; seine Speisen — ob er gleich hungerte; seinen Schlaf — ob er gleich müde war; und wohl auch sein Gebet — ob er es gleich für sich nötig hätte.“

      Während sie so von ihm redete, sah er recht jämmerlich aus.

      Es lief dem alten Mann über diesem Wiedersehen mit seinem Sohne das Wasser in den Augen zusammen. „Ich und deine Mutter dachten, es müsse wohl wieder die Zeit sein, wo wir dir etwas zugute tun könnten“, sagte er. „Ich weiss nun auch, es kommt hier ja doch keiner mehr zu dir, von deiner Klugheit zu profitieren. Du hast ihnen gegeben, was in dir war.“

      „Und das muss wahr sein! Gegeben ,hat er über das Mass“, setzte die Meisterin hinzu.

      „Du hast dich zu den Menschen gefunden und ihrem Jammer. Aber hast du dich auch gefunden zu dir selbst?“

      „Nein“, sagte er, „es ist zu mir ein so weiter Weg.“

      Der Vater berichtete: „Dein Bruder ist nun auch nicht mehr daheim. Er ist in Paris bei Monsieur Goupil, weisst du. Den Kunsthandel zu erlernen.“ Der Alte redete das so gegen den Ofen hin, um den Dämmerung lag. Weil er den Sohn noch dort vermutete. Der hatte sich zwischen Wand und Feuerstelle in die schmale finstere Lücke geklemmt. Nun kroch er hervor.

      „Ah“, sagte er, „bei Monsieur Goupil!“

      Das Eis barst unter seinem grimmigen Lachen. Er erfasste einen Stuhl, setzte sich so darauf, dass er die Lehne vor der Brust hatte, und verschränkte die Arme breit und wohlig darüber. „Eine Weltfirma, die des Monsieur Goupil“, wandte er sich an die Bäckerfrau. „Dort bin ich auch einmal gewesen. Acht Wochen oder zwölf. Ich weiss nicht mehr. Nämlich: ich sollte einmal Kunsthändler werden. Oh!“

      „Und warst zu dumm dazu?“ fragte die Frau.

      „Ja“, sagte er. „Ich konnte nicht einsehen, dass es bei jenem Geschäfte auf die Kunst nicht so sehr ankommt, sondern auf die Mode. Wer der Dame Mode huldigt, ist rasch ein Genie. Man wirft ihm das Geld haufenweis in den Schoss. Ich konnte den Wahlspruch des grossen Handelshauses nicht zu dem meinen machen.“

      „Welchen Spruch?“

      „Que voulez-vous, c’est la mode!“

      Von Stund an wartete niemand mehr auf ihn vin der Borinage; es war wieder so wie in den drentischen Hütten: was er vorhatte, das musste er nun mit sich allein ausmachen. Es fehlte ihm auch zu sehr die Teilnahme für die Dinge, von denen dieTage der anderen voll sind bis obenan . . . Es scheint solch einem: nichtige Dinge. Weil sie für ihn ohne Bedeutung sind. Oder macht es ihm etwas, dass er kein Geld hat? Keinen ordentlichen Anzug? Kein Brot? Kein bequemes Lager? Keinen Freund? Macht ihm das etwas?

      Und daher kam es auch, dass er für die anderen nun wieder ein Schiff war, das keinen Wind in den Segeln hat. Der alte Vater kam und holte den Knaben von fünfundzwanzig Jahren nach Hause. — Von solch einem schwätzen die Menschen: „Der soll ein Prinz aus Genieland sein? Es ist leichter zu denken, er sei ein Narr.“

      Im März, als das Eis auf den Seen zerbrach, iging er wieder nach Antwerpen auf die Akademie, „das Malen zu lernen“. Zuerst aber lief er einmal in die Gasse, in der er damals in nüchterner Vor-Tagstunde jenes Morgenblatt erstanden hatte. Je, war da nicht in anderer Zeit ein Wegweiser gewesen mit der Aufschrift „In die Borinage 180 Kilometer“?

      Auf der Akademie merkte er, dass gegen ihn eine grosse „Verschwörung“ im Gange sei. Oder wie wäre das sonst zu nennen gewesen? Es fing schon an, als er sein Skizzenbuch aufschlug mit den vielen mageren Grubenarbeitern und den gebeugten schmutzigen Frauen.

      Ob die Leute in der Borinage so aussähen?

      „Malt ihr die Dinge nach, wie sie für euch aussehen“, sagte er, „ich male sie, wie sie mir erscheinen: mit ihren gesteigerten Eigentümlichkeiten zu gesteigertem Leben! Sagt mir doch: sollen wir nachahmen? Ist es nicht würdiger, ist es nicht grösser, ist es nicht gotthaft, sie zu erschaffen — nach ihrem Bilde zwar, aber zu einer unerhörten Wirkung? Ist es nicht gotthaft?“

      Ein paar Wochen sah er sich die „Verschwörung“ mit an. Dann sagte er: „Diese Akademie ist ein Affenkasten! Und einen Affen wollen sie aus mir machen.“ Und ging. Und kam nicht wieder.

      Einmal nachmittags, an einem Maisonntage, Esassen seine Schwestern hinter den blanken Fenstern des kleinen Hauses in der Drenta bei ihren Nadelarbeiten. Es war lieb und festtäglich in ihnen und um sie. Und die beiden Alten in ihren Lehnstühlen dachten an den fernen Sohn. Der war nun schon seit sechs Wochen in Antwerpen . . .

      Auf einmal kam er den Gartenweg herauf in seinem vlämischen blauen Bauernkittel! Er hatte den filzenen Malerhut tief in die Stirn gedrückt und die spärrige Staffelei auf den Rücken gebunden. Die riss in dem Frühling der herniederhängenden Apfelzweige herum, dass die Blüten über sein schäbiges braunes Handköfferlein wirbelten . . .

      Er hatte wieder einmal zu sich selber gefunden — in seinem Kreislaufe zur Vollendung.

      Es gehört eine ungeheure Kraft der Liebe dazu, wenn sie sich solch einer Erscheinung gegenüber aufrechterhalten sollen daheim.

      Die anderen draussen im Dorfe sahen ihn mit härteren Augen an.

      Wenn er in diesen Tagen in ein Haus der Gegend trat, boten sie ihm unwillig den Gruss. „Ziehst du nun wieder vor, dein Leben hier zu vertun?“ Oder: „Ist das nicht der, der sich in allen Ecken der Welt versucht hat? Bist du nicht auch einmal Schulmeister gewesen?“

      „O ja, ihr Leute, auch einmal Schulmeister!“ Das war in London, bei dem Vikar, der die Privat-Erziehungsanstalt aufgemacht hatte. Dort lehrte er die Jungen das Französische. Dazu hatte er gutes Geschick. Dann aber sollte er bei den Eltern der Kinder die rückständigen Stundengelder einkassieren. Er musste dazu durch die ganze Stadt London laufen und hatte doch wenig Glück dabei. Und im Angesichte des leeren Beutels, den er heimbrachte, warf ihn der Vikar hinaus.

      „Aha“, sagten sie, „deshalb kamst du damals mit so abgelaufenen Stiefeln heim!“

      Er lachte.

      „Mit Beuteln hast du überhaupt wenig Glück.“

      „Was willst du damit sagen?“

      „Du bist doch jener, der einmal in der Kirche seine Taschenuhr in den Klingelbeutel geworfen hat statt seinen Cent?“

      „Ach so!“ sagte er kleinlaut. „Es war daran die masslose Fülle des Lichts schuld, die um den Altar wob und durch die bunten Fenster herein.“

      „Die anderen sind aber nicht irre geworden davon.“

      „Nun ja — die anderen! Die sehen das wohl nicht so wie ich.“

      „Dann musst du dir gescheitere Augen einsetzen lassen.“

      „Ich denke, so wie sie sind, sind sie ein Gottgeschenk.“

      „Ein


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