Zurück auf Gestern. Katrin LankersЧитать онлайн книгу.
den Beinen in Baggy Jeans hinauf, die neben mir aufragten, und direkt in Samuel Sauermanns Gesicht, der schallend über seinen eigenen schwachen Scherz lachte.
»Im Ernst, Mädels, braucht ihr Hilfe?« Samuel hörte auf zu lachen und lächelte uns stattdessen breit an.
»Brauchen wir Hilfe?« Ich schaute Lulu herausfordernd an, aber die hatte wie immer, wenn Samuel irgendwo auftauchte, kurzzeitig das Sprechen verlernt.
Alle Mädchen in unserer Klasse waren in Samuel Sauermann verliebt. Alle außer mir. Sogar Lulu fand ihn traumhaft, was er nach allen Maßstäben der Mister-Dream-Skala vermutlich auch war. Samuel sah spitzenmäßig aus – wie eine Mischung aus Austin Butler (der Mund), Liam Hemsworth (die Augen) und Manuel Neuer (das breite Kreuz). Seit dem Badmintonschlägerattentat hatte er eine kleine Narbe an der rechten Braue, die ziemlich sexy wirkte. Samuel war außerdem sportlich, sehr sportlich um genau zu sein. Er schwamm in der ersten Wettkampfmannschaft seines Vereins und hatte bereits jede Menge Medaillen gewonnen. Weil durch den Sport die Schule manchmal etwas kurz kam, musste er letztes Jahr eine Klasse wiederholen. Deshalb war Samuel ein Jahr älter als wir und schien der Phase, in der alle Jungs sich verhielten wie minderbemittelte Kleinkinder, schon entwachsen zu sein.
Man könnte jetzt glauben, dass Samuel arrogant wäre und sich mit uns nicht abgeben wollte, aber das Gegenteil war der Fall. Er war bei allen beliebt und zu jedem nett, sogar zu mir, obwohl ich ihn mit dem Badmintonschläger attackiert hatte. Er hielt nur seitdem einen gewissen Sicherheitsabstand zu mir ein, wenn er in meine Nähe kam.
Das Einzige, was an Samuel nicht perfekt war, war seine minimal zu hohe Stimme. Wenn er den Mund aufmachte, klang es, als hätte er versehentlich einen Zug aus einer Heliumflasche inhaliert. Ein bisschen wie Micky Maus. Niemanden außer mir schien das zu stören, auch nicht Lulu. Sie war heftig und bis auf Weiteres unglücklich in Samuel verliebt, und mir war es unter Androhung der Todesstrafe verboten, ihn Mister Micky Maus zu nennen.
»Ich glaube, wir haben schon alles aufgesammelt«, antwortete ich an Lulus Stelle.
Samuel streckte seine Hand aus, um mir hochzuhelfen, schien allerdings in letzter Sekunde zu realisieren, dass er die Badmintonschlägerattentäterin vor sich hatte, und schwenkte in Lulus Richtung um. Aber meine Freundin, zu überwältigt von Samuels unverhoffter Aufmerksamkeit, ignorierte das Angebot und kam allein wieder auf die Beine. Die Situation hätte ziemlich peinlich werden können, doch Samuel deutete einfach mit der verschmähten helfenden Hand zum Eingang der Sporthalle und erklärte: »Ich geh dann schon mal vor.«
Als Lulu und ich kurze Zeit später beladen mit den vier Tupperdosen ebenfalls die Sporthalle betraten, beendete Echtzeit, die Schulband, bei der Lucas Frontsänger und Gitarrist war, gerade den Soundcheck. Ich beobachtete ihn, wie er seine Gitarre abstellte und von der Bühne stieg, die aus ein paar Paletten zusammengebaut worden war. Überrascht und wenig erfreut bemerkte ich, dass in dem Grüppchen, das dort auf die Bandmitglieder wartete, auch Sophie und die Doppel-Ds herumstanden. Was hatte meine Stiefschwester mit Lucas und seinen Kumpels zu schaffen?
Lulus Ellenbogen landete unsanft in meinen Rippen, und mir wurde im Wortsinn schmerzhaft bewusst, dass Frau Dr. No abwartend neben uns stand.
Ihr Gesicht war wie immer starr wie eine Maske – zu viel Botox, wurde in unserer Klasse gelästert – nur ihre schmalen Brauen, die aussahen wie mit dem Bleistift gemalt, hatte sie fast bis zum Haaransatz hochgezogen. Darunter betrachtete sie mich ungeduldig, als erwarte sie von mir die Lösung für irgendeine komplizierte Gleichung.
Frau Dr. Nowottny – von uns bloß Frau Dr. No genannt – unterrichtete unsere Klasse seit Anfang des Schuljahres in Mathe. Und sie hatte es innerhalb weniger Tage geschafft, sich bei allen unbeliebt zu machen. Bei allen außer meiner Streberstiefschwester Sophie natürlich.
Das lag daran, dass Frau Dr. No am Anfang jeder Stunde eine Reihe komplizierter Gleichungen an die Tafel schrieb und jemanden nach vorne bat, der die Aufgaben dann vor der ganzen Klasse lösen musste. Lulu und mich hatte das auf die Idee gebracht, die Tafel mit Schmierseife zu wischen. Wir fanden es einfach witzig, uns vorzustellen, wie sie auf der eingeseiften Tafel vergeblich versuchen würde, die Aufgaben anzuschreiben.
Später stellte sich leider heraus, dass das Ganze keine wirklich witzige Idee war, weil Frau Dr. No unglücklich auf einer Pfütze ausrutschte und drei Wochen lang in einem Gips herumhumpeln musste. Auch wenn sie nie beweisen konnte, dass wir für den Seifenanschlag verantwortlich waren, fürchtete ich, dass sie einen Verdacht hegte. Und das verbesserte unser Verhältnis nicht unbedingt.
»Ich sagte, ihr könnt den Kuchen da vorne aufs Buffet stellen.«
Ihr Blick bohrte sich in meinen, wanderte hinab zu den Tupperdosen, schien einen Moment zu lang knapp über meinem Herz zu verweilen und kehrte zu meinem Gesicht zurück. Unter den Augen von Frau Dr. No fühlte ich mich immer wie in einem Nacktscanner am Flughafen. Prompt hatte ich Sorge, die Antwort nicht zu kennen, dabei hatte sie mir gar keine Frage gestellt.
»Viel Spaß, ihr zwei«, sagte sie genau in dem Moment, als Lulu und ich es endlich schafften, uns aus ihrem Bannblick zu lösen und zum Buffet zu steuern.
»Äh, danke«, brachte ich entgeistert heraus.
»Was war das denn?«, raunte Lulu mir zu.
»Keine Ahnung, womöglich ein unerwarteter Anflug von Freundlichkeit«, antwortete ich, als wir uns weit genug von Frau Dr. No entfernt hatten, damit sie es nicht mehr hören konnte.
»Vielleicht hat sie sich aber auch was eingefangen«, mutmaßte Lulu. »Aktuell soll ein fieser Virus rumgehen.«
»Hm«, machte ich, hatte aber Frau Dr. No bereits wieder vergessen. Denn quer durch die Halle beobachtete ich Lucas, der sich neben Sophie stellte und etwas zu ihr sagte, woraufhin meine Stiefschwester zu lachen anfing und dabei ihren Kopf mit einer Bewegung zur Seite drehte, die ihre langen blonden Haare von einer Schulter zur anderen schwingen ließ. Jetzt lachte auch Lucas. Er hatte ein wirklich schönes Lachen, das wusste ich, obwohl ich es in diesem Moment nicht hören konnte, und ich fand, dass es an jemanden wie Sophie vollständig vergeudet war. Schwungvoll knallte ich die Tupperdosen aufs Buffet.
»Weißt du, was Lucas mit Sophie zu schaffen hat?«, fragte ich Lulu, die ihre Dosen bereits abgestellt hatte und sich in der Sporthalle umschaute, die sich nach und nach mit immer mehr Leuten füllte.
»Nee, wieso?« Lulu betrachtete jetzt ebenfalls die Gruppe vor der Bühne und zog einen kleinen, spitzen Kussmund. »Aber ich finde, die zwei passen super zusammen. Mein blöder Bruder und deine fiese Schwester, ein echtes Traumpaar. Und sie lebten unausstehlich bis ans Ende ihrer Tage …« Lulu grinste.
Ich fand das überhaupt nicht lustig, doch das konnte ich ihr natürlich nicht sagen. Also beschränkte ich mich auf ein weiteres »Hm« und feuerte ein paar böse Blicke in Sophies Richtung, die eigentlich ihren Schädel hätten durchbohren und ihr grauenhafte Schmerzen hätten verursachen müssen, wovon sie leider nichts zu spüren schien.
»Hey, Mädels, da seid ihr ja wieder.« Samuel Sauermann tauchte neben uns am Buffet auf. »Habt ihr den Kuchen eingefangen?« Er ließ seine Finger über den Tupperdosen kreisen und griff dann gezielt nach dem Törtchen mit den schwarzen Sprenkeln.
»Lecker, ich mag Mohn!«
Mist! Ich hatte mich von Sophie und Lucas ablenken lassen und darüber ganz vergessen, die Dose mit den verseuchten Törtchen klammheimlich unter dem Buffet verschwinden zu lassen.
»Stopp«, rief ich in letzter Sekunde und hängte mich an Samuels Arm, sodass ihm der kleine Kuchen aus der Hand fiel und er mit offenem Mund und einem ziemlich perplexen Gesichtsausdruck zurückblieb.
»Sorry, aber die mit Mohn sind ausschließlich für die Lehrer vorgesehen«, stammelte ich, was zugegeben eine ziemlich abstruse Ausrede war, doch auf die Schnelle fiel mir keine bessere ein.
»Okay«, erwiderte Samuel zweifelnd und betrachtete mich mit einem Blick, als wäre ihm bereits seit der Sache mit dem Badmintonschläger klar, dass er eine Verrückte vor sich hatte, die man nicht übermäßig aufregen durfte.
»Hier,