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Farm der Tiere. Eine Märchenerzählung. George OrwellЧитать онлайн книгу.

Farm der Tiere. Eine Märchenerzählung - George Orwell


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gewöhnlich, und als sie sich plötzlich der ruhmreichen Vorgänge erinnerten, stürmten alle zusammen hinaus auf die Weide. Etwas weiter unten auf der Weide befand sich eine kleine Anhöhe, die einen Ausblick auf den größten Teil der Farm gewährte. Die Tiere eilten hinauf und blickten sich um im klaren Morgenlicht. Ja, sie gehörte ihnen – alles, was sie sehen konnten, gehörte ihnen! Bei dieser erregenden Vorstellung tanzten sie immer wieder umher und machten vor Begeisterung große Luftsprünge. Sie wälzten sich im Tau, rupften das süße Sommergras ab, rissen schwarze Erdklumpen aus dem Boden und sogen deren würzigen Duft ein. Dann machten sie einen Rundgang über die ganze Farm und inspizierten voll sprachloser Bewunderung das [24]Ackerland, die Heuwiese, den Obstgarten, den Teich, das Gehölz. Es war, als hätten sie diese Dinge noch nie zuvor gesehen, und selbst jetzt konnten sie kaum fassen, dass all das ihnen gehörte.

      Dann marschierten sie einer nach dem anderen zu den Wirtschaftsgebäuden zurück und blieben schweigend vor der Tür des Farmhauses stehen. Auch dieses gehörte ihnen, doch fürchteten sie sich davor, hineinzugehen. Aber nach einem kurzen Moment stießen Snowball und Napoleon mit den Schultern die Tür auf, und die Tiere traten der Reihe nach ein. Aus Furcht, etwas durcheinanderzubringen, bewegten sie sich mit größter Vorsicht. Behutsam zogen sie von Zimmer zu Zimmer, hatten Angst, lauter als im Flüsterton zu reden, und besahen mit einer Art Ehrfurcht den unglaublichen Luxus: die Betten mit ihren Federmatratzen, die Spiegel, das Rosshaarsofa, den Brüsseler Teppich, die Lithographie der Königin Victoria über dem Kaminsims des Wohnzimmers. Eben kamen sie die Treppe herab, als sie entdeckten, dass Mollie fehlte. Sie kehrten um und stellten fest, dass sie im schönsten der Schlafzimmer zurückgeblieben war. Von Mrs Jones’ Frisierkommode hatte sie ein Stück blaues Band genommen, hielt es sich an die Schulter und bewunderte sich naiv im Spiegel. Die anderen tadelten sie heftig, und zusammen gingen sie wieder hinaus. Einige Schinken, die in der Küche hingen, wurden zur Bestattung nach draußen geschafft, und das Bierfass in der Spülküche schlug Boxer mit einem Huftritt ein, ansonsten wurde im Haus nichts angetastet. An Ort und Stelle fassten sie den einstimmigen Beschluss, das Farmhaus als Museum zu erhalten. Alle waren sich einig, dass dort niemals ein Tier wohnen durfte.

      [25]Die Tiere frühstückten, dann riefen Snowball und Napoleon sie wieder zusammen.

      »Genossen«, sagte Snowball, »es ist halb sieben, und wir haben einen langen Tag vor uns. Heute beginnen wir mit der Heuernte. Doch zunächst müssen wir uns um etwas anderes kümmern.«

      Nunmehr enthüllten die Schweine, dass sie sich mit Hilfe einer alten Fibel, die Mr Jones’ Kindern gehört hatte und die auf den Müll geworfen worden war, in den vergangenen drei Monaten Lesen und Schreiben beigebracht hatten. Napoleon ließ Töpfe mit schwarzer und weißer Farbe kommen und ging voran zu dem Weidetor, das zur Hauptstraße führte. Dann klemmte sich Snowball (denn es war Snowball, der am besten schreiben konnte) einen Pinsel zwischen die Klauen eines Hufs, übermalte die auf dem obersten Querbalken angebrachte Inschrift MANOR FARM und schrieb stattdessen FARM DER TIERE. So sollte die Farm fortan heißen. Danach gingen sie wieder zu den Wirtschaftsgebäuden, wo Snowball und Napoleon nach einer Leiter schickten, die sie an die Stirnwand der großen Scheune lehnen ließen. Sie erklärten, im Zuge ihrer dreimonatigen Studien sei es den Schweinen gelungen, die Grundsätze des Animalismus auf sieben Gebote zu reduzieren. Diese sieben Gebote würden jetzt an die Wand geschrieben werden; sie bildeten das unabänderliche Gesetz, nach dem alle Tiere auf der Farm der Tiere bis an ihr Ende leben müssten. Mit einiger Mühe (denn für ein Schwein ist es nicht einfach, auf einer Leiter zu balancieren) kletterte Snowball hinauf und machte sich an die Arbeit, während Squealer ein paar Sprossen unter ihm den Farbtopf hielt. In großen weißen Lettern, die man noch aus dreißig Metern [26]Entfernung lesen konnte, wurden die Gebote auf die geteerte Wand gepinselt. Sie lauteten wie folgt:

      DIE SIEBEN GEBOTE

      1  Was auf zwei Beinen läuft, ist ein Feind.

      2  Was auf vier Beinen läuft oder Flügel hat, iгt ein Froind.

      3  Kein Tier soll Kleidung tragen.

      4  Kein Tier soll in einem Bett schlafen.

      5  Kein Tier soll Alkohol trinken.

      6  Kein Tier soll ein anderes Tier töten.

      7  Alle Tiere sind gleich.

      Die Schrift war sehr ordentlich und die Schreibweise bis auf das Wort »Froind« statt »Freund« und ein seitenverkehrtes »s« durchweg korrekt. Zum Nutzen der Allgemeinheit las Snowball die Gebote laut vor. Alle Tiere nickten zum Zeichen völligen Einverständnisses, und die gewitzteren begannen sogleich, die Gebote auswendig zu lernen.

      »Jetzt, Genossen«, rief Snowball und warf den Pinsel von sich, »auf zur Heuwiese! Es sollte uns eine Ehrensache sein, die Ernte schneller einzubringen, als es Jones und seine Männer konnten.«

      Doch in diesem Moment ließen die drei Kühe, die schon seit einiger Zeit unruhig gewirkt hatten, ein lautes Brüllen vernehmen. Sie waren vierundzwanzig Stunden lang nicht gemolken worden, und ihre Euter platzten fast. Nach kurzem Nachdenken ließen die Schweine Eimer holen und melkten die Kühe mit einigem Erfolg, denn für diese Aufgabe waren ihre Hufe bestens geeignet. Bald standen da [27]fünf Eimer mit schäumender cremiger Milch, die viele der Tiere mit beträchtlichem Interesse beäugten.

      »Was wird jetzt aus der vielen Milch?«, fragte jemand.

      »Manchmal hat Jones etwas davon in unseren Brei gemischt«, bemerkte eine der Hennen.

      »Vergesst die Milch, Genossen!«, rief Napoleon und stellte sich vor die Eimer. »Jemand wird sich darum kümmern. Die Ernte ist wichtiger. Genosse Snowball wird euch anführen. Ich werde in wenigen Minuten folgen. Vorwärts, Genossen! Das Heu wartet.«

      So zogen die Tiere hinunter zur Heuwiese, um mit der Ernte zu beginnen, und als sie am Abend zurückkamen, bemerkten sie, dass die Milch verschwunden war.

      [28]3

      Wie sie schufteten und schwitzten, um das Heu einzubringen! Doch ihre Mühe wurde belohnt, denn die Ernte war ein noch größerer Erfolg, als sie sich erhofft hatten.

      Mitunter war die Arbeit hart; die Gerätschaften waren ja für Menschen und nicht für Tiere gemacht, und es war ein großer Nachteil, dass keines der Tiere Werkzeuge benutzen konnte, bei denen es auf den Hinterbeinen stehen musste. Allerdings waren die Schweine so schlau, dass ihnen für jedes Problem eine Lösung einfiel. Was die Pferde betraf, so kannten sie jeden Fußbreit Boden und verstanden sich weit besser auf das Geschäft des Mähens und Zusammenrechens als Jones und seine Männer. Die Schweine arbeiteten nicht im eigentlichen Sinne, sondern dirigierten und überwachten die anderen. Dank ihrem überlegenen Wissen übernahmen sie ganz selbstverständlich die Führung. Boxer und Clover spannten sich vor den Mähwagen oder den Pferderechen (natürlich waren jetzt keine Trensen oder Zügel mehr nötig) und stapften stetig über das Feld, während ein Schwein hinterdreinlief und je nachdem »Hüa, Genosse!« oder »Brr, Genossin!« rief. Und jedes Tier, bis hinunter zum kleinsten, beteiligte sich daran, das Heu zu wenden und einzusammeln. Selbst die Enten und Hühner plagten sich den ganzen Tag in der Sonne und trugen winzige Büschel Heu in den Schnäbeln. Am Ende schlossen sie die Ernte zwei Tage früher ab, als Jones und seine Männer es getan hätten. Überdies war es die größte Ernte, die die Farm je gesehen hatte. Es gab nicht die geringste Verschwendung; mit ihrem scharfen Blick hatten die Hühner und Enten noch den allerletzten Halm aufgepickt. Und [29]kein Tier auf der Farm hatte auch nur einen Bissen veruntreut.

      Den ganzen Sommer über lief die Arbeit auf der Farm wie am Schnürchen. Die Tiere waren so glücklich, wie sie es sich in ihren kühnsten Träumen nicht hatten vorstellen können. Jeder Bissen war ein Hochgenuss, nun da es wirklich ihr eigenes Futter war, produziert von ihnen selbst für sie selbst und nicht von einem missgünstigen Herrn an sie ausgeteilt. Seit dem Verschwinden der nichtsnutzigen, schmarotzenden Menschen hatte ein jedes mehr zu fressen. Auch mehr Muße gab es, so unerfahren die Tiere auch waren. Sie hatten mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen – als sie zum Beispiel später im Jahr das Getreide ernteten, mussten sie es nach uralter Sitte mit den


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