Big Ideas. Das Geschichts-Buch. Филип УилкинсонЧитать онлайн книгу.
abgegrenzt. Zunächst verlief ihr Transformationsprozess langsam; im Verlauf von Jahrtausenden sollte er jedoch eine atemberaubende Geschwindigkeit entwickeln. Der Mensch wurde zum einzigen Tier mit Geschichte.
Die Entdeckung der Geschichte
Die frühe Entwicklung menschlicher Kulturen stellt für Historiker ein besonderes Problem dar – denn die erste Schrift wurde erst relativ spät, vor rund 5000 Jahren, entwickelt. Die schriftlosen Epochen gehören zur »Ur- und Frühgeschichte«, da diese Kulturen lediglich an archäologischen Quellen und nicht mittels Schriftzeugnissen erforscht werden können. In jüngerer Zeit haben zahlreiche neue wissenschaftliche Methoden – darunter die Erforschung genetischen Materials und die Radiokarbondatierung organischer Überreste – die bisherigen archäologischen Techniken erweitert und damit Forschern neue Zugänge zu schriftlosen Kulturen ermöglicht. Unsere Vorstellungen über die ferne Vergangenheit des Menschen werden permanent revidiert, da neue Erkenntnisse, die oft angezweifelt werden, die Perspektive immer wieder radikal verändern. Die Entdeckung einer Höhle, einer Grabstätte oder eines menschlichen Schädels kann unsere Kenntnisse infrage stellen. Gleichwohl lässt sich die Geschichte der ersten Menschen heute, im 21. Jh., mit relativer Gewissheit beschreiben.
Nomadische Jäger und Sammler
Historiker sind sich einig darin, dass die Menschen bis vor 12 000 Jahren als Jäger und Sammler in kleinen mobilen Gruppen lebten und Werkzeuge aus Stein benutzten. In dieser Periode – dem Paläolithikum (Altsteinzeit) – wuchs die erfolgreiche Spezies des Menschen auf eine Population von vielleicht 10 Mio. an und verbreitete sich über einen Großteil der Erde. Im Allgemeinen passte sich der Mensch gut an natürliche und klimatische Veränderungen an – auch wenn er während der letzten großen Eiszeit aus nördlichen Regionen wie Skandinavien floh.
Menschen unterhielten zu ihrer natürlichen Umgebung eine enge Beziehung, aber auch damals beeinflussten sie ihre Umwelt nicht nur positiv. So fallen die Ausbreitung menschlicher Jäger auf der Erde und die Ausrottung von Tierarten wie des Wollhaarmammuts oder des Mastodons zusammen. Obwohl Jäger keineswegs die einzige Ursache waren – ein weiterer Faktor war gewiss der Klimawandel –, erscheint dies, von heute gesehen, als beunruhigender Präzedenzfall.
Neolithische Revolution
Die »natürliche« Lebensweise der Jäger und Sammler scheint vieles für sich gehabt zu haben. Untersuchungen menschlicher Überreste aus Jäger- und Sammlergemeinschaften lassen vermuten, dass unsere Vorfahren in der Regel ohne große Mühe Essen hatten und nur wenige Krankheiten kannten. Doch wenn dem so war: Warum ließen sich dann so viele Menschen in Dörfern nieder, betrieben Landwirtschaft, bauten Getreide an und hielten Tiere? Feldarbeit war schließlich mühsam – und Epidemien verbreiteten sich zuerst in Bauerndörfern.
Welche unmittelbaren Auswirkungen die Entwicklung von Siedlungen auch gehabt haben mag: Sie führte zu immensem Bevölkerungswachstum. Diese Periode – die Zeit der Neolithischen Revolution (Neusteinzeit) – stellt einen Wendepunkt in der Geschichte des Menschen dar, sie war Wegbereiter für das Wachstum der Siedlungen, Dörfer und Städte und mündete so in ersten sesshaften »Zivilisationen«.
MINDESTENS SO BEDEUTSAM WIE KOLUMBUS’ REISE NACH AMERIKA ODER DIE APOLLO-11-MISSION
DIE ERSTEN MENSCHEN IN AUSTRALIEN (VOR 60 000–45 000 JAHREN)
IM KONTEXT
FOKUS
Wanderungsbewegungen
FRÜHER
vor 200 000 Jahren In Afrika entwickelt sich der Homo sapiens (der moderne Mensch)
vor 125 000–45 000 Jahren Der Homo sapiens breitet sich über Afrika hinaus aus
SPÄTER
vor 50 000–30 000 Jahren Im Altaigebirge (Russland) leben Denisova-Menschen
vor 45 000 Jahren Der Homo sapiens kommt nach Europa
vor 40 000 Jahren Die Neandertaler sterben aus; ihr letzter bekannter Lebensraum liegt auf der Iberischen Halbinsel
vor 18 000 Jahren Fossilien des Homo floresiensis datieren aus dieser Zeit
vor 13 000 Jahren Bei Clovis, Neu-Mexiko (USA), tauchen Menschen auf; evtl. nicht die ersten auf dem Kontinent
Der moderne Mensch ist die einzige globale Spezies unter den Säugern. Seit seinem ersten Auftauchen vor rund 200 000 Jahren in Afrika verbreitete er sich schnell über den gesamten Globus – und beweist damit seine Neugier beim Erkunden der Umgebung und seine Anpassungsfähigkeit an verschiedene Lebensräume. Viele Forscher glauben, dass die Menschen am besten in Küstenlandschaften zurechtkamen, was ihre Verbreitung entlang der Südküste Asiens erklärt. Selbst die völlig andere Flora und Fauna Australiens stellte kein Hindernis dar: Wahrscheinlich trafen die ersten Menschen bereits vor 60 000 Jahren hier ein. Auch wenn kleine Gruppen schon früher den Kontinent betreten haben, weisen zahlreiche Belege auf eine breite Besiedlung Australiens vor 45 000 Jahren hin – etwa um die Zeit, als der Homo sapiens in Europa auftauchte.
Überreste des Homo floresiensis wurden 2003 auf der indonesischen Insel Flores gefunden. Manche Forscher sehen darin eine Zwergenart; andere schreiben ihre geringe Größe einer Krankheit zu
Andere Hominini
Homo sapiens war der erste Hominin in Australien. In Teilen Eurasiens indes begegnete er seiner Konkurrenz. Als der moderne Mensch in Europa eintraf, lebten hier bereits seit 250 000 Jahren Neandertaler; sie hatten sich aus Vertretern eines Vorfahren des Menschen, des Homo heidelbergensis, entwickelt und den europäischen Lebensräumen gut angepasst. Weiter im Osten, in der Denisova-Höhle im russischen Altaigebirge, weisen Funde auf eine weitere Spezies hin: den Denisova-Menschen (der über die DNA-Analyse eines Fingerknochens identifiziert wurde). Und auf der indonesischen Insel Flores weisen Fossilien eine kleinwüchsige Spezies auf, den Homo floresiensis, der sich auf die Zeit vor rund 18 000 Jahren datieren lässt (obwohl einige Forscher meinen, die geringe Körpergröße dieses ebenfalls modernen Menschen sei einer Krankheit geschuldet).
Von diesen Spezies überlebte nur der Homo sapiens und fuhr fort, auch die Neue Welt zu bevölkern. Im Zuge der Eiszeit zog sich das Meer aus der Beringstraße zwischen Russland und Alaska zurück und ließ Menschen über die Landbrücke den amerikanischen Kontinent betreten. Eine exakte Datierung scheint indes kaum möglich: Steinwerkzeuge aus der rund 13 000 Jahre alten »Cloviskultur« hielt man lange Zeit für die der ersten Menschen in der Neuen Welt. Heute kennt man noch ältere Fundstätten, doch viele frühere Datierungen, v. a. in Südamerika, sind sehr umstritten.
»Der ›Blitzkrieg‹ des Menschen über Amerika beweist das einzigartige Genie und die unübertroffene Anpassungsfähigkeit des Homo sapiens.«
Yuval Noah Hariri Eine kurze Geschichte der Menschheit (2013)
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Vorerst bleibt das Schicksal