Dichter und ihre Gesellen. Joseph von EichendorffЧитать онлайн книгу.
in seine neumodischen Parkanlagen nachschreiten! Das rechte Alte ist ewig neu, und das rechte Neue schafft sich doch Bahn über alle Berge und – wie ich oben bemerkt – auch in diesen Gebirgskessel. Denn wenn ich nicht irre, sah ich vorhin bei dir neben dem Corpus juris die neuesten poetischen Werke des Grafen Victor stehen.“ „Nun“, sagte Walter, „meinen großen Landsmann muß ich doch in Ehren halten, seine Heimat liegt ja kaum eine Tagereise von hier.“ Fortunat sprang überrascht auf. „Da reit ich hin“, rief er, „den muß ich sehen.“ „Geduld“, erwiderte Walter lächelnd, „er ist schon seit mehreren Jahren auf Reisen.“ „Und ich reite doch hin!“ entgegnete Fortunat fröhlich, „wer einen Dichter recht verstehen will, muß seine Heimat kennen. Auf ihre stillen Plätze ist der Grundton gebannt, der dann durch alle seine Bücher wie ein unaussprechliches Heimweh fortklingt.“ Walter schien einem Anschlage nachzudenken. „Wohlan“, sagte er endlich, „wenn du durchaus hin willst, so begleite ich dich, ich bin dort wohlbekannt, und wir bleiben dann um so länger beisammen. Ich muß dir nur gestehen, ich hatte mich eigentlich schon selbst darauf eingerichtet, in diesen Tagen hinzugehen. Hier kann ich dir nicht viel Ergötzliches bieten, und wenns dir recht ist, so reisen wir morgen.“ Fortunat schlug freudig ein.
Walter aber fing nun an, einige Lieblingsstellen aus Victors Werken zu rezitieren, was Fortunat immer störte, weil ein gutes Gedicht keine Stellen, sondern eben nur das gute Gedicht gibt, gleichwie eine abgeschlagene Nase oder ein paar abgerissene Ohren der Mediceischen Venus für Kenner recht gut, aber sonst ganz nichtswürdig sind.
„Du kennst doch Victors Werke? Du liebst ihn doch auch?“ unterbrach sich endlich Walter selbst, da Fortunat schweigend ein Glas nach dem andern hinunterstürzte. „Ich liebe ihn“, sagte dieser, „wie ich ein nächtliches Gewitter liebe, das alles Grauen und alle Wunder in der Brust regt, ich kenne ihn, weil er von den geheimnisvollsten, innersten Gedanken meiner Seele, ja ich möchte sagen, von dem Waldesrauschen meiner Kindheit wunderbaren Klang gibt. – Friede dem großen dunklen Gemüt“, fuhr er sein Glas erhebend, fort, „und freudiges Begegnen mit ihm!“
Die Freunde hatten über dem lebhaften Gespräch gar nicht bemerkt, daß unterdes der Platz allmählich öde geworden war. In der wachsenden Stille hörte man nur noch eine Geige aus einiger Entfernung und dann das einförmige Stampfen von Tanzenden dazwischen herüberschallen. Beides klappte so wenig zusammen, und die Geige wurde so unaufhörlich und entsetzlich schnell gestrichen, daß Fortunat laut auflachte und ungeachtet Walters Einwendungen sogleich dem Tanzplatze zueilte. Der verworrene Klang kam aus einem niedrigen Häuschen, über dessen Tür ein Strohbüschel als Wahrzeichen eines Weinschanks im Nachtwinde hin und her baumelte. Walter war in anständiger Ferne stehengeblieben, während Fortunat durch das Fenster in die seltsame Tanzgrube hineinblickte. Ein langes dünnes Licht, das wie ein Peitschenstiel aus einem eisernen Leuchter hervorragte, warf ungewisse Scheine über das dunkle Gewölbe eines Kellers, an dessen Seitenwänden eingeschlafene Trinker über den langen plumpen Tischen umherlagen. In der Mitte tanzten eifrig mehrere Paare lustigen Gesindels, bald mit den zierlich gebogenen Armen wie zum Fliegen ausholend, bald in den auserlesensten Figuren und Windungen sich nähernd und wieder trennend, bevor sie einander endlich zum Walzer umfaßten. Der dicke Weinschenk ging mit aufgestreiften Hemdärmeln dazwischen herum, ahmte mit dem Munde den Wachtelschlag nach, schnitt den vorübertanzenden Frauenzimmern lächerliche Gesichter oder wagte zuweilen selbst einen künstlichen Sprung. Am auffallendsten aber war der Musikant: ein anständig gekleidetes, lebhaftes Männchen mit einem scharfen, geistreichen Gesicht, emsig in den wunderlichsten Läufern die Geige spielend, während seine Augen mit unverkennbarem Wohlbehagen die Tanzenden verfolgten. Vergebens riefen diese ihm zu, sich zu moderieren, der Unaufhaltsame drehte mit wahrem Virtuosenwahnsinn die Töne, wie einen Kreisel, immer schneller und dichter, die Tanzenden gerieten endlich ganz außer Takt und Atem, es entstand ein allgemeines Wirren und Stoßen, bis zuletzt alle zornig auf den Musikus eindrangen. Dieser erhob sich nun und retirierte besonnen in künstlichen Fechtparaden nach der Tür, immerfort mit dem Fiedelbogen in den dicksten Haufen stoßend. So kam er glücklich auf die Straße heraus, die Schlafmütze des Wirts, die er im Getümmel aufgespießt, hoch auf seinem Bogen. Der lustige Wirt folgte schimpfend und vermehrte den Lärm von Zeit zu Zeit durch das Prasseln von Feuerwerk, das er täuschend mit dem Munde nachmachte.
Jetzt bemerkte der Musikus plötzlich die beiden Freunde auf der Gasse und sah sie mit seinen klugen Augen durchdringend an, während der Wirt, mit der einen Hand seine wilden Gäste in den Keller zurückdrängend, mit der andern ruhig die ihm zugeworfene Schlafmütze wieder auf den Kopf stülpte. Walter war einen Augenblick in Verlegenheit, ob und wie er den ihm unbekannten Fremden anreden sollte, und äußerte endlich seine Verwunderung über diese heillose Fertigkeit auf der Geige. „Kleinigkeit! Kleinigkeit!“ erwiderte der Musikus; „nichts als Taranteln, womit ich die Leute in die Waden beiße und den St. Veitstanz erfinde.“ Mit diesen Worten empfahl er sich, nahm die Geige unter den Arm und schlenderte, noch einigemal furchtsam nach dem Keller zurückblickend, rasch durch die Nacht über den Marktplatz fort.
Fortunat, der bisher kein Auge von ihm verwendet hatte, trat nun schnell auf den Wirt zu, um etwas Näheres über das wunderbare Männchen zu erfahren. „ein Fremder“, sagte der Wirt, „ein Partikülier, wie er sich nennt, mit dem ich schon manchen Verdruß gehabt habe. Er kommt zuweilen in die Stadt, aber immer nur gerade zu mir, und wenn ich reelle Gäste habe, die nach getaner Arbeit ihr Gläschen trinken und vernünftig diskurieren wollen, setzt er sich zu ihnen, und eh ich’s mich versehe, hat er Händel unter ihnen angestiftet und hat dann keine Courage, sie auszufechten. Wenn er recht vergnügt ist, zieht er gar seine verfluchte Geige hervor und spielt tolles Zeug auf. Hol der Teufel alle Phantasten.“
Hiermit kehrte der Wirt wieder in seine Höhle zurück, und die beiden. Freunde bemerkten bei dem hellen Mondenschein, wie der unbekannte Musikus soeben zum Stadttor hinauswanderte. „Ein herrlicher Narr!“ rief Fortunat aus, dem Wanderer noch immer nachsehend. „Laß die Fledermäuse“, erwiderte Wal-
Particulier: Privatmann, Rentner.
ter, „sie geraten uns sonst noch in die Haare. Komm nun nach Haus, es ist schon spät, und ich habe noch alle Hände voll zu tun für morgen.“
Zweites Kapitel
Fortunat und Walter reiten nach Hohenstein, dem Sitz des Grafen Victor. In Gesprächen verloren, verirren sie sich und müssen die Nacht im Walde verbringen.
Wie schön, hier zu verträumen
Die Nacht im stillen Wald,
Wenn in den dunklen Bäumen
Das alte Märchen hallt.
Die Berg in Mondesschimmer
Wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer
Die Quellen klagend gehn.
Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.
Das ist das irre Klagen
In stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen
Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern gehn auf und nieder –
Wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder
Von dem verträumten Kind?
Schon rührt sich’s in den Bäumen,
Die Lerche weckt sie bald –
So will ich treu verträumen
Die Nacht im stillen Wald.
Im Morgenscheine finden sie ihr Ziel:
Immer tiefer und freudiger stiegen sie von den Bergen in das Blütenmeer, schon hörten sie von fern eine Turmuhr schlagen, zahllose Nachtigallen schlugen überall in den Gärten. Am Ausgang des Gebirges schien ein großes Dorf zu liegen, zerstreute Hügel,