Audreys Geheimnis | Erotischer Roman. Claire D. AndersonЧитать онлайн книгу.
und Tom waren schon längst auf und davon gewesen, als er begonnen hatte, die Welt zu erkunden. Von ihnen sah er wenig. Und als er mit einundzwanzig das Erbe seiner Eltern, das am Ende des langen Streites schließlich aufgeteilt worden war, ausbezahlt bekam, wollte er es besser machen – und das Geld erlaubte ihm jede Freiheit, die er sich nur wünschen konnte.
So investierte er zunächst in seine Bildung – er studierte ein paar Semester Design – und dann in neue Orte, doch immer in sein eigenes Leben. Aber weil er noch nie hatte ruhig sitzen können, hatte er gemeinsam mit Evan die Chance ergriffen und das »Sea Side« eröffnet. Da waren sie nun: beide 26, wild aufs Leben, immer auf der Suche nach Abenteuern, voller Energie, aber auch mit der Eleganz, Schönheit und der guten Erziehung wohlhabender Familien ausgestattet. Die Frauen waren hinter ihnen her, das Café lief großartig, sie lebten in einer reichen und wunderschönen Stadt am Meer und sie standen jeden Tag mit dem Gefühl auf, ganz besonders großes Glück zu haben.
Dennoch hatte Jacob auch eine dunkle Seite. Um diese wusste kaum jemand, außer denen, die dabei gewesen waren. Und das war gut so.
Jacob ging noch einmal nach oben, um zu duschen. Er freute sich auf den Tag, denn besonders Freitage waren wunderbar. Die Menschen am Markt auf dem Platz waren frisch und energiegeladen, hatten sich viel zu erzählen, freuten sich aufs Wochenende und auf gute Verkäufe und die Zeit verging schnell. An diesen Tagen arbeitete Jacob am liebsten.
Und so begann er den Tag und hörte kaum, was der Wind gerade heute in jeden Winkel Colantes zu tragen versuchte: »Audrey ist wieder da.«
***
Ungefähr zur gleichen Zeit hastete Marcus Wainwright die Stufen vom Schlafzimmer seines Landhauses hinunter in die Küche. Vor weniger als fünf Minuten war er aus dem Bett gesprungen, vor irgendwelchen dunkelgrauen Halbträumen flüchtend, die ihn in vermeintlicher Schlaflosigkeit verfolgten. Während der erste Kaffee aus der Espressomaschine lief, band er seinen Krawattenknopf. Hastig stürzte er die heiße schwarze Flüssigkeit hinunter. Ein Blick auf seine Rolex sagte ihm, er würde es gerade noch rechtzeitig zum ersten Meeting in Corrin schaffen, wenn er sich sofort auf den Weg machte. Während er nach den Autoschlüsseln kramte, wanderten seine Gedanken zum letzten Abend zurück. Wie immer, wenn er versuchte, etwas mit seiner Verlobten Ann zu unternehmen, war es gründlich schiefgegangen. Sie war am Ende betrunken in einer Ecke zusammengesackt, nachdem sie sich wieder einmal angeschrien und gegenseitig gedemütigt hatten. Es war Zeit zu verschwinden.
Wie immer empfand er maßlose Erleichterung, als er die Tür seines Porsche hinter sich zuwarf. Er genoss die Geschwindigkeit seines Autos, das zugleich Käfig und Zufluchtsort für ihn war.
Marcus war ein Getriebener. Seine Familie, seine Verlobte, sein Leben – nichts war so, wie es für ihn sein sollte. Und doch hatte er es sich so ausgesucht, sich in sein selbst gemachtes Nest gesetzt. Niemals hatte er aufbegehrt, sich niemals gewehrt oder um sich geschlagen. So nahm er seine Schlupflöcher wahr, entfloh, wann immer er konnte, in die glitzernde Welt des Scheins. Sein Ruf war tadellos. Seine Geheimnisse behielt er für sich. Nur wenige kannten den enthemmten Mann, den er sich so selten zu sein gestattete. Seine Fassade war undurchdringlich, so sehr, dass er sich selbst manchmal fremd war. Er nahm sich, was er kriegen konnte.
Und so hörte er an diesem Morgen nur das beruhigende Brummen des starken Motors unter ihm und sonst nichts. Nichts von dem sanften Wind, der vom Flughafen her die Mischung aus Salz, Kerosin und Meeresbrise zu ihm trug, gefiltert durch die Klimaanlage seines Wagens, und nichts von den leisen Worten, die er mit sich brachte, drang durch seine Mauern, Fassaden und Facetten: »Audrey ist wieder da.«
AUDREY: HEIMKEHR.
Ich sah mich in der Wohnung um. Groß war sie. Geräumig, geschmackvoll eingerichtet. Zwei Etagen. Raumhohe Fenster mit Blick aufs Meer. Und wie still es war! Niemals war es wirklich still gewesen in Fall Springs. Ich war eingehüllt gewesen in das Geschwätz und in den Stadtlärm, die Liebe meiner Tante, die Gutmütigkeit meines Onkels, die tausend Beschäftigungen, die ich mir gesucht hatte. Hatte mich in dem Roman, den ich geschrieben hatte, verloren.
Rastlos wanderte ich von einem Raum in den anderen. Ich wusste, ich hatte ein paar Tage, um mich selbst auf die Reihe zu kriegen, dann stand mir eine endlose Reihe von Terminen mit den Anwälten meiner Eltern bevor, ein Treffen mit Alexander, meinem Bruderherz, der schon wieder in irgendeiner Klemme steckte. Ich musste meine alten Kontakte reaktivieren, wenn ich meinen Schmuck wieder ausstellen wollte, wenn ich als Texterin arbeiten wollte, wenn ich meinen Roman veröffentlichen wollte. Doch diese paar Tage gehörten noch mir ganz allein.
Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste ans Wasser. Der Morgen ging langsam in den Vormittag über und ich wollte dort sein, bevor die Leute kamen. Ich brauchte einfach eine ruhige Minute am Meer. Das heißt, eigentlich wusste ich nicht genau, was ich brauchte, aber ich dachte, eine ruhige Minute am Meer wäre ein guter Anfang. Von der Wohnung war es nicht weit bis zum Wasser und ich rannte die Strecke fast.
Endlich war ich da. Die Sonne spiegelte sich verspielt in den Wellen, das Rauschen war ohrenbetäubend, die Farben wie in einem Traum. Ein paar Minuten stand ich am Strand auf einem großen Felsen und ließ mir die Gischt ins Gesicht spritzen. Tief durchatmen. Augen zu. Augen wieder auf. Es war einfach herrlich.
Dann holte ich mir am Strandkiosk einen Kaffee und spazierte die Promenade entlang, die sich wie ein hellgraues Band vor mir ausbreitete und sich in einem weiten Bogen bis zum Flughafen verlor.
Ich weiß heute nicht mehr, wie und warum, aber ich landete am Ende auf dem großen Marktplatz von Colante, der »Old Box«, wie die Leute hier liebevoll dazu sagten, direkt vor einem Café, das sich »Sea Side« nannte – wo zuvor ein alter, heruntergekommener Buchladen gewesen war. Es war später Vormittag. Ich schaute mich um, der Markt war in vollem Gange. Eine sanfte Brise wehte über den Platz, eine Mischung aus Sand, Meeresluft und Gewürzen, und die Windspiele an einem nahen Stand begannen zu singen.
Ich weiß nicht, wie lange ich vor diesem Café stand, bis mir klar wurde, dass ich hineingehen musste. Durch die Glasscheiben der Vorderfront sah ich gemütliche Polstermöbel und als die Tür aufging, strömte entspannende Loungemusik zu mir heraus. Als ich das Café betrat, erklangen über mir ein paar wild gewordene Glöckchen. Ich musste lächeln. Als ich mich an einer Ecke der Bar niederließ, fielen mir als Erstes die vielen Bilder an den Wänden auf. Augenscheinlich war es immer dieselbe Stadt auf einem Hügel, die da in Aquarellen und Ölbildern abgebildet war ... wo sie sich wohl befand?
»Normalerweise bringen unsere Gäste nicht ihren Kaffee mit in meine Bar«, riss mich eine angenehme Stimme mit amüsiertem Unterton auf der anderen Seite des Tresens aus meinen Gedanken.
Ich wirbelte herum und blickte zuerst auf meine Hand, die immer noch den Kaffeebecher vom Strand umklammert hielt, bevor ich in die dunklen Augen eines großen Mannes schaute. Es dauerte mehrere Sekunden, bis ich meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte, und noch ein, zwei weitere, bis mir endlich dämmerte, wen ich da tatsächlich vor mir hatte:
»Jacob!«
Ich sprang auf und konnte es kaum glauben. Jacob de Vries, der Junge, mit dem ich meine halbe Jugend auf den Felsen vor Colante verbracht hatte, mit dem ich im Alter von sechs Jahren nackt im Pool im Garten seiner Großmutter geplanscht hatte, der mich meine ganze Pubertät lang wegen meiner Pickel gehänselt hatte, mit dem mich meine Eltern gezwungen hatten, auf ihren Benefizveranstaltungen zu tanzen (Audrey, das gehört sich so. Die Familie de Vries gehört zu unseren ältesten Freunden!). Der Typ, mit dem mich auch eine dunkle Seite meiner Vergangenheit verband, und den ich zuletzt auf der Beerdigung meiner Eltern vor mehr als drei Jahren gesehen hatte – Jacob de Vries stand vor mir und breitete mit einem Lächeln im Gesicht die Arme aus, während er um den Tresen herumgerannt kam:
»Audrey Greene, ich glaub’s ja nicht!«
Ich konnte kaum Luft holen, da lag ich schon an seiner breiten Brust, umfangen von seinen starken Armen. Unwillkürlich atmete ich ein. Er duftete nach einer Mischung aus Kaffee, einem unglaublichen Eau de Toilette und Jacob, und mir wurden die Knie weich. Was war denn das?
»Audrey, ich wusste gar nicht, dass du hier bist! Warum hast du dich denn nicht gemeldet?