Sherlock Holmes: Ein Skandal in Böhmen und andere Krimis (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch). Arthur Conan DoyleЧитать онлайн книгу.
hatte sich diesem gegenüber geäußert, er müsse sich beeilen, weil er auf 3 Uhr eine wichtige Besprechung verabredet habe; von dieser kehrte er nicht mehr lebendig zurück.
Das Pachthaus Hatherley liegt eine Viertelmeile vom Teich entfernt, und auf dem Wege dahin wurde Mc Carthy von zwei Personen gesehen: von einer alten Frau, deren Name nicht genannt wird, und von William Crowder, einem Wildhüter im Dienste Herrn Turners. Beide Zeugen sagen aus, daß Mc Carthy allein ging. Der Wildhüter fügt hinzu, er sei, wenige Minuten nachdem Mc Carthy vorübergegangen, auch dessen Sohne, John Mc Carthy, mit einer Flinte unterm Arm, auf demselben Wege begegnet, und er glaubt gewiß, der Vater müsse noch in Sicht gewesen sein, als ihm der Sohn folgte.
Er habe nicht weiter an die Sache gedacht, bis er abends von dem schrecklichen Ereignis hörte.
Auch noch später wurden die beiden Mc Carthy gesehen, nachdem sie der Wildhüter aus den Augen verloren hatte. Der Bascombe-Teich ist rings von dichtem Wald umgeben, nur hart am Ufer wächst ein Streifen Gras und Rohr. Patience Moran, die Tochter des Gutsaufsehers von Bascombe, war gerade im Walde, um Blumen zu pflücken. Sie sagt aus, daß sie von dort Herrn Mc Carthy und seinen Sohn dicht am Teich in augenscheinlich heftigem Streit gesehen habe; sie hörte, wie der Vater dem Sohn sehr harte Worte zurief, und sah auch, daß letzterer die Hand erhob, als wolle er den Vater schlagen. Über die Heftigkeit der beiden Männer erschrocken, rannte das junge Mädchen nach Hause, erzählte der Mutter, was sie bei dem Bascombe-Teich gesehen, und äußerte ihre Befürchtung, die beiden könnten zu Tätlichkeiten übergehen. Kaum hatte sie dies gesprochen, so stürzte auch schon der junge Mc Carthy herbei. Er rief, er habe seinen Vater tot im Walde gefunden, und bat den Aufseher um Hilfe. Er war sehr aufgeregt, trug weder Hut noch Gewehr, und an seiner rechten Hand und am rechten Ärmel waren Blutspuren sichtbar. Die Leute folgten dem jungen Mann und fanden die Leiche des Vaters im Grase neben dem Teich ausgestreckt. Der Schädel war durch wiederholte Schläge mit einer stumpfen Waffe eingeschlagen worden. Die Verletzungen konnten sehr wohl vom Flintenkolben des Sohnes herrühren; die Flinte lag nur wenige Schritte von der Leiche entfernt im Grase. Unter diesen Umständen wurde der junge Mann sofort verhaftet, und da nach der Voruntersuchung am Dienstag die Anklage auf »vorsätzliche Tötung« lautete, wurde er am Mittwoch der Staatsanwaltschaft von Roß zugeführt, die den Fall vor die nächste Schwurgerichtssession bringen wird. Das ist der einfache Hergang, wie er sich vor dem Untersuchungsrichter und auf dem Polizeiamt herausgestellt hat.«
»Ich kann mir kaum einen Fall denken«, bemerkte ich, »wo alle Umstände so bestimmt auf den Täter hinweisen, wie hier.«
»Mit diesen Indizienbeweisen steht es oft mißlich«, meinte Holmes nachdenklich. »Oft weisen sie sehr deutlich auf einen bestimmten Punkt hin, verändert man aber den eigenen Standpunkt nur ein klein wenig, so ergibt sich leicht, daß sie in ebenso unzweideutiger Weise ganz wo anders hinzielen. Hier freilich treten die Tatsachen sehr ernst gegen den jungen Mann auf, und es ist wohl möglich, daß er der Schuldige ist. Jedoch glauben einige in der Nachbarschaft – unter diesen auch Fräulein Turner, die Tochter des benachbarten Gutsherrn – an seine Unschuld; sie hat Lestrade, den du aus einer andern Geschichte kennst, gebeten, den jungen Mann zu verteidigen. Lestrade, dem die Sache etwas rätselhaft erschien, übertrug sie mir, und darum fahren wir zwei gesetzte Herren jetzt eben mit dem Schnellzug nach Westen, statt behaglich daheim unser Frühstück zu verdauen.«
»Ich fürchte, die Tatsachen sprechen hier so unverkennbar, daß für dich bei dieser Geschichte wenig Ruhm zu holen ist.«
»Nichts täuscht leichter als eine ›unverkennbare Tatsache‹«, erwiderte Holmes lachend. »Außerdem haben wir vielleicht Glück und stoßen auf eine andere ›unverkennbare Tatsache‹, die Herr Lestrade trotzdem verkannte. Nun – ohne ruhmredig sein zu wollen, was ich nicht bin, wie du weißt – möchte ich doch behaupten, daß ich seine Theorie entweder bestätigen oder zu nichte machen werde durch Mittel, zu deren Anwendung er nicht fähig ist, und die er vielleicht nicht einmal begreift. Nehmen wir einmal das erste Beispiel: Ich weiß genau, wenn ich dich ansehe, daß das Fenster in deinem Schlafzimmer auf der rechten Seite liegt, und doch bezweifle ich, ob Herr Lestrade selbst etwas so Unverkennbares bemerken würde.«
»Wie in aller Welt – – –?«
»Mein lieber Freund, ich kenne dich genau, kenne deine ganze militärische Pünktlichkeit. Du rasierst dich jeden Morgen, und zu dieser Jahreszeit rasierst du dich bei Tageslicht; da aber dein Rasieren immer mangelhafter wird, je weiter es nach links kommt, ja an der Rundung der Kinnlade geradezu nachlässig ist, so muß offenbar die linke Seite nicht so hell beleuchtet sein, wie die rechte. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß ein Mann wie du mit einem solchen Ergebnis zufrieden wäre, wenn er sich in gleichmäßigem Licht rasierte. Ich erwähne dies nur als ein geringfügiges Beispiel von Beobachtung und Folgerung. Darin eben liegt mein Handwerk, und möglicherweise wird es in der uns bevorstehenden Untersuchung von einigem Nutzen sein. Es sind einige nebensächliche Punkte in der Voruntersuchung zur Sprache gekommen, die der Betrachtung wert sind.«
»Und diese wären?«
»Wie es scheint, wurde der junge Mann nicht sofort verhaftet, sondern erst nach seiner Rückkehr im Pachthof von Hatherley. Als ihm seine Verhaftung angezeigt wurde, meinte er, das überrasche ihn nicht, er habe nichts anderes erwartet. Diese Bemerkung aus seinem Munde mußte selbstverständlich jeden Zweifel, den die Gerichtsleute noch hegen konnten, beseitigen.«
»Es war ein Geständnis,« rief ich aus.
»Nein, denn es folgten ihm Unschuldsbeteuerungen.«
»Zum Schluß einer solchen Reihe belastender Umstände war es wenigstens eine höchst verdächtige Bemerkung.«
»Im Gegenteil, Watson; für den Augenblick sehe ich es als den hellsten Lichtpunkt an, der die finsteren Wolken durchbricht. Wenn er noch so unschuldig ist, müßte er doch ein arger Dummkopf sein, um nicht einzusehen, wie schwer alles gegen ihn zeugt. Hätte er bei der Verhaftung Überraschung gezeigt oder Entrüstung geheuchelt, so wäre mir das höchst verdächtig erschienen, denn diese Empfindungen wären nach Lage der Sache unnatürlich gewesen, konnten aber doch dem Verbrecher als das Klügste erscheinen. Das offene Auftreten des Sohnes kennzeichnet entweder seine Unschuld oder seine große Festigkeit und Selbstbeherrschung. Was nun jene Äußerung betrifft, er habe nichts anderes erwartet, so war auch sie nicht unnatürlich, wenn du bedenkst, daß er vor dem entseelten Körper seines Vaters stand, und daß er zweifellos an jenem Tage seine kindliche Pflicht so weit vergessen hatte, um mit seinem Vater in Streit zu geraten, ja sogar – nach der so wichtigen Aussage des jungen Mädchens – die Hand wie zum Schlage wider ihn zu erheben. Der Selbstvorwurf und die Reue, die in seiner Bemerkung liegen, scheinen mir eher auf eine reine als auf eine schuldige Seele zu deuten.«
Ich schüttelte den Kopf. »Gar mancher wurde auf schwächere Beweisgründe hin gehenkt.«
»So ist’s – und gar mancher wurde unschuldig gehenkt.«
»Was sagt der junge Mann selbst über die Sache aus?«
»Ich fürchte, was er sagt, ist für seine Verteidiger wenig ermutigend; dennoch sind einige Punkte wohl zu beachten. Hier steht es. Lies selbst.«
Holmes suchte in seinem Aktenbündel eine Nummer des Lokalblattes von Herefordshire, und nachdem er die Seite durchflogen, deutete er auf den Abschnitt, in dem über die Aussage des unseligen jungen Mannes selbst berichtet wurde. Ich setzte mich bequem in die Ecke und las den Verhandlungsbericht mit Aufmerksamkeit:
Nunmehr wurde Herr James Mc Carthy, der einzige Sohn des Verstorbenen, vorgeführt; er sagte folgendes aus: »Ich war drei Tage von Hause abwesend und kehrte erst am Montagmorgen, am 3., von Bristol zurück. Bei meiner Ankunft traf ich meinen Vater nicht daheim, und das Dienstmädchen sagte mir, er sei mit dem Diener, John Cobb, nach Roß hinübergefahren. Kurz nach meiner Rückkehr hörte ich seinen Wagen im Hofe einfahren. Ich trat an das Fenster, sah ihn aussteigen und sich rasch vom Hofe entfernen – nach welcher Richtung hin, wußte ich selbst nicht. Da nahm ich mein Gewehr und schlenderte auf den Teich von Bascombe zu, mit der Absicht, auf der andern Seite desselben den Kaninchenbau zu durchsuchen. Unterwegs sah ich William Crowder, den Wildhüter, was derselbe bereits